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Die Arbeit nieder!

Ein Plädoyer zum 1. Mai

Von Stephan Grigat

(erschienen im Standard am 30. April 2010)

 
Arbeit macht krank, Arbeit schändet, Arbeit ist Mühsal und macht hässlich. Karl Marx wusste das und hat allen Kritikern gesellschaftlicher Elendsproduktion ins Stammbuch geschrieben: „Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört.“ Die sich merkwürdigerweise immer wieder auf Marx berufende Arbeiterbewegung hat die Vernutzung der Arbeitskräfte zum Zwecke der Verwertung des Kapitals hingegen zur anbetungswürdigen Selbstverwirklichung geadelt. Das proletarische Schaffen sei gut, und der eigentliche Skandal des Kapitalismus bestünde darin, nicht jedem Menschen einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Ob Sozialdemokraten oder Bolschewisten, ob christliche Soziallehre oder faschistischer Produktivitätswahn, ob Leninisten oder Strache-Fans – sie alle konnten und können sich für die elende Parole „Die Arbeit hoch“ begeistern. Anstatt sich an Paul Lafargue, den Schwiegersohn von Marx zu erinnern, der das „Recht auf Faulheit“ hochhielt, soll es ein „Recht auf Arbeit“ sein, für das am 1. Mai gestritten wird.

Hitler proklamierte in „Mein Kampf“ „den Sieg des Gedankens der schaffenden Arbeit, die selbst ewig antisemitisch war und antisemitisch sein wird.“ Wie ernst der Führer das gemeint hatte, konnte man später über den Toren der Vernichtungslager nachlesen. Die Linke hingegen polemisierte gegen die schmarotzenden Müßiggänger und wünschte sich „Arbeiter- und Bauernstaaten“, anstatt die Menschen vom elenden Dasein als Arbeiter zu befreien. Der Arbeitsfanatismus von links bis rechts sieht die ehrliche Arbeit um ihren gerechten Lohn betrogen, sei es durch die „Zinsknechtschaft“ oder die keineswegs nur von der Antiglobalisierungsbewegung so inbrünstig gehassten „Spekulanten“. Die Agitation geht gegen „die da oben“, gegen die „Bonzen und Parasiten“, die lieber konspirieren als durch anständige Arbeit etwas zum Volkswohlstand beizutragen.

Der Hass auf das unterstellte oder tatsächliche arbeitslose Einkommen ist nicht nur eine falsche, sondern angesichts seiner Ressentimenthaftigkeit und seiner Verherrlichung des Staates eine äußerst gefährliche Antwort auf gesellschaftliche Krisenerscheinungen und ungleiche Reichtumsverteilung. Der in jedem arbeitsfetischistischen 1.Mai-Aufruf artikulierte Sozialneid ist das exakte Gegenteil von dringend notwendiger Sozialkritik.

Das zynische Achselzucken des Liberalismus, der angesichts der schlechten Einrichtung der Welt erklärt, die Menschen seien nun einmal so, und der über seine eigenen Konstitutionsbedingungen nichts wissen will, ist aber nicht viel besser als das linke Geraunze. Gegen liberale Konkurrenzverherrlichung und linken Staatsfetischismus ginge es um eine Kritik der Arbeit, die weder mit dem traditionellen Marxismus noch mit alternativen Verzichtsideologien etwas zu tun hat. Ihr geht es nicht um eine gleichmäßige Verteilung des Elends, sondern um seine globale Abschaffung. Sie will nicht Konsumverzicht, sondern Luxus für alle. Solch eine Kritik skandalisiert, dass Luxus und Genuss den meisten Menschen vorenthalten werden, obwohl das angesichts der entwickelten menschlichen und gesellschaftlichen Fähigkeiten nicht notwendig wäre. Für diese Vorenthaltung bedarf es nicht des bösen Willens von „Heuschrecken“, wie die Charaktermasken des Finanzkapitals, welche die vermeintliche Würde der Arbeit beschmutzen würden, in zahlreichen Reden am 1. Mai in sehr eindeutiger Tradition wieder tituliert werden dürften, sondern allein der Logik eines Systems, das sich nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern der Verwertbarkeit des Kapitals orientiert.

Eine Kritik der Arbeit richtet sich nicht gegen das Glücksversprechen der Bürger, sondern versucht, seinen ideologischen Gehalt aufzuzeigen und zu verdeutlichen, dass dieses Versprechen in der bürgerlichen Gesellschaft kaum eingelöst werden kann. Solcherart Gesellschaftskritik will keinen falschen Kollektivismus oder gar Gemeinschaftssinn, sondern die verwirklichte Freiheit des Individuums, das sich über seine gesellschaftliche Konstitution bewusst ist. Dementsprechend verachtet solch eine Kritik die Parole „Die Arbeit hoch!” und setzt dagegen die Vorstellung Theodor W. Adornos von einem befreiten gesellschaftlichen Zustand: „auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen”, was übrigens auch eine schöne Alternative zu den drögen Gewerkschaftsaufmärschen oder der Klassenkampfsimulation linker Splittergruppen am 1. Mai ist.
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