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Vom Dilemma der Bildungspolitik

Von Florian Ruttner und Thomas König

(erschienen in Context XXI, Nr. 6, 2000)

 
Bildungspolitik heute heißt offiziell dafür Sorge zu tragen, daß dem nationalen Standort genügend Eliten entspringen, die ihrerseits wiederum dafür Sorge tragen, daß der Standort selbst in Zukunft attraktiv bleibt. Studierende sind diesem nationalen Konsens mehr oder weniger ausgeliefert oder treiben diesen in gar nicht so wenigen Fällen voran. Allerdings korreliert die neue Anforderung an die Bildung, vor allem an die höhere Bildung, von der hier die Rede sein soll, mit dem Umstand, daß Universitäten, als Orte der Wissensproduktion, per se eine Autonomie einfordern. Das ist ein Verdienst der bürgerlichen Aufklärung, gekoppelt mit der Erkenntnis, daß die sogenannte freie Wissenschaft immer noch die besseren Ergebnisse zu erzielen wußte denn eine eingesperrte. So entstand das Bild einer autonomen Universität.


Natürlich haben sich die Anforderungen beträchtlich verändert: eine Reihe von Fachhochschulen sorgen in Österreich dafür, daß gezieltes Technologie- und Produktionswissen vor allem an den Mann gebracht wird. Diese Facharbeiter der New Economy sind ein Teil der Elite von morgen; sie sind aber nicht deren Essenz. Forschung und Wissenschaft passieren immer noch hauptsächlich auf der Universität. Die Autonomie der Universitäten besteht in diesen Fällen dann hauptsächlich darin, sich selbst um die sogenannte Drittmittelfinanzierung umzusehen, das heißt Firmen zu finden, die diese Wissenschaft finanzieren.


Freilich: wenn wir von Wissenschaft sprechen, so sind wir genötigt, dem gesellschaftlich bedingten Schisma zwischen Natur- und Sozialwissenschaften sogleich Rechnung zu tragen. Wenn die Universität auch letztlich der Ort bleibt, an dem Wissenschaft gelehrt wird, so zeichnen sich schon jetzt die Unterschiede ab, die in Zukunft die beiden unversöhnlichen Stränge ausmachen werden: Ist es für eine Naturwissenschaft eben qua des ihr eigenen Erkenntnisinteresses ein Leichtes, die Kooperation mit privater Seite zu suchen, liegt in den Sozialwissenschaften das Problem darin, daß entweder gesagt wird, was von Sponsorenseite aus hörenswert scheint, oder eine kritische Sozialwissenschaft, die sich buchstäblich kein Blatt vor den Mund nimmt, keine Sponsoren bekommen wird.


Hier wird nun in der Regel der Staat gefordert: Dieser hätte die (ökonomische) Unterstützung zu gewähren, wonach die Sozialwissenschaft ihre Forschung betreiben könnte. Die Universitäten, zumindest im deutschsprachigen Raum, sind bis heute auch die Plätze geblieben, an denen die kulturelle Revolution von 68 erfolgreich war und ist. Erfolgreich nämlich in dem Sinne, daß nicht nur die normativen Werte umgepolt wurden — erinnert sei an die muffige Stimmung und den elitären Charakter der Unis in der Nachkriegszeit —, sondern ein ehrgeiziges Projekt, genannt Demokratisierung, über weite Strecken durchgezogen wurde. Wenn also heute von Seiten der Universität, zumal ihrer sozialwissenschaftlichen VertreterInnen, von Autonomie die Rede ist, dann ist damit zumeist — in aller Diffusion — dieses 68er Modell der Universität gemeint.


Dagegen hat die aktuelle Regierung, wie schon ihre Vorläuferinnen, eine andere Idee von Autonomie. Sie besteht in der Entlassung all ihrer Bringschuld und faktisch in der Verwandlung der Unis in Kapitalgesellschaften. Die Programmatik im Diskurs ist dabei nicht ohne Esprit innerhalb der neoliberalen Fassade:
1. weg von der Massenuni, weil der Grund ihrer Einführung, nämlich die Öffnung für Kinder aus armen Schichten, nie wahr geworden wäre. Tatsächlich geht es aber darum, angeblich teure Sozialtransfers abzuschaffen, denen der faule Studierende im allgemeinen Ressentiment entspricht.
2. Hierarchisierung statt Demokratisierung, weil angeblich der Verwaltungsaufwand zu groß wäre und Entscheidungen ewig verschleppt würden, es an Flexibilität mangle, etc. Tatsächlich sind die Verwaltungsapparate, die mit dem UOG 93 nun implementiert werden, so riesig und kostenaufwendig, daß keine "demokratische“ Einrichtung diesbezüglich mit ihnen konkurrieren könnte. Hier geht es darum, Verwaltung gegenüber Mitbestimmung und somit ökonomische Rationalität gegenüber politischen Einspruchrechts zu etablieren.
3. Förderung des Leistungsprinzip anstatt Gleichmacherei, was zum Beispiel durch Studiengebühren wahrgemacht werden soll. Dem Schlendrian, daß Benotungen nur noch formal ausgeführt werden und daß Studierende nur nebenbei auf die Uni gehen, soll Einhalt geboten, die Attraktivität des schnellen Studierens demgegenüber angehoben werden. Tatsächlich unterliegt gerade die aktuelle Regierung sehr stark dem Glauben, daß, wer schnell studiert, auch ein besseres wirtschaftliches Leistungsprofil mit sich trägt. Das Gegenbild dieser Vorstellung, der "Bummelstudent" wird wieder einmal Haßobjekt und Ziel der medialen Hetze. So dichtete Wolf Martin in der Krone: "Kann er nicht mehr gratis studieren/ mag mancher dran den Spaß verlieren/der faul sein Studium verbummelt/und sich nur auf den Demos tummelt." Hier ist auch eine für den Staat angenehme Nebenwirkung des erhöhten Leistungsdrucks ausgeführt, die Reduzierung kritischen Potentials. Aber nicht nur die Geschwindigkeit, auch das Angebot der Fächer soll sich vor den Kriterien dieses Leistungsprofils bewähren. Die abschätzige Rede von den "Orchideenstudien", mit denen nicht direkt verwertbare Studien bezeichnet werden macht wieder die Runde, und der Finanzminister denkt schon einmal an, dort solle man "Ordnung machen".


Diese Mischung aus Ressentiment und Ordnungsdenken macht seit einiger Zeit die Bildungspolitik der jeweiligen Regierungen und der österreichischen Ministerialbürokratie aus. Doch von universitärer Seite steht dem nicht viel mehr gegenüber als oben skizzierte 68er-Sentimentalität, die sich allzu oft paart mit dem staatlichen Konsens, daß Leistungsträger für die Gesellschaft geschaffen werden müssen. Ja, aber wie? Daran scheiden sich dann allenfalls noch die Geister.


Nicht daß das universitäre Personal und studentische Vertretung hier in die Pflicht genommen werden sollen, selbst bildungspolitische Konzepte auszuarbeiten. Es ist schwierig genug, dem Lavieren und der katastrophalen Politik der Bundesregierungen zu folgen und eine Kritik daran zu formulieren. Nur wäre es im Mindestmaß und bei aller Ohnmacht gescheit, diese Kritik zu formulieren, indem die Widersprüche der politischen Maßnahmen mit deren versprochener Wirkung aufgezeigt werden und die tatsächliche Intention dahinter bloßgelegt wird.


Seitdem Andreas Khol und seine KollegInnen mit dem Spruch werben gehen: "Was nichts kostet, ist auch nichts wert", offenbart sich zumindest, wes Kind diese Bildungspolitik eigentlich ist. Zunächst zur unsäglichen Dummheit des Spruches selbst: Daß, was nichts kostet, oftmals sehr viel wert, nämlich existentiell notwendig ist, haben John Locke und Adam Smith am Anfang der bürgerlichen Wissenschaft von der Ökonomie gelehrt. Konfrontiert mit dem Problem, daß Luft und Wasser zum Beispiel zum Leben gebraucht würden und doch keinen unermeßlichen Tauschwert haben, zeigte bei diesen frühbürgerlichen Theoretikern die Aporien der Ökonomie, aber auch den ehrlichen Versuch, das Problem zu lösen.


Mittlerweile ist daraus reine Ideologie geworden. Ohne auch nur einen Moment anzunehmen, daß die Gegenseite zu denken in der Lage wäre, wird der Spruch, der Studiengebühren legitimieren soll, verbreitet, ja, ist bereits zum Standardslogan geworden, wo immer prinzipieller Einspruch besteht gegen die unsinnigen Gebühren. (...)


Gegen diese Aussichten den besseren Staat als Retter ins Treffen führen zu wollen, ist illusorisch, da es die Aufgabe des staatlich organisierten Bildungswesens, die Produktion von Fachkräften für den Arbeitsmarkt ignoriert. Daß diese Regierung kein gescheites Konzept dazu hat, sollte nicht ermutigen, es ihr auch noch vermitteln zu wollen.
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