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Mozart, Freud und Hitler

Die offiziellen Feierlichkeiten in Wien

von Ljiljana Radonic

Jungle World, Nummer 18

 

Jubiläen sind eine merkwürdige Sache. Wie schon im "Adorno-Jahr" 2003 ist auch im Zusammenhang mit Sigmund Freuds 150. Geburtstag zu befürchten, dass sich die Anzahl der Veranstaltungen und Publikationen umgekehrt proportional zu einer vernünftigen Auseinandersetzung mit der Aktualität der Psychoanalyse verhalten wird. Besonders heikel ist die Sache mit den Jubiläen in Österreich, wo das "Freud-Jahr" mit dem "Mozart-Jahr" konkurriert. Also geben sich die Verantwortlichen alle Mühe, die Serie der Freud-Veranstaltungen unbedingt fortzusetzen und die beiden Jubiläen notfalls zu verbinden.

Weil man in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung nichts von der Aktualität der Freudschen Psychoanalyse wissen will, wird zu beliebigen Verknüpfungen gegriffen. So verbinde Freud und Ludwig Wittgenstein die Frage nach "Sprache und menschlicher Natur", denn "bekanntlich" stehe im Zentrum des Freudschen Werkes "eine Theorie der Sprache", lässt die Sigmund-Freud-Privatstiftung wissen. Ihre Einladung zu einer Soiree zu Freuds 150. Geburtstag in der Wiener Volksoper beginnt gar mit dem Eingeständnis, "Freud hat sich über Singen und Musik weitgehend ausgeschwiegen". Dennoch dient Freud als Aufhänger dafür, wenn Musikstücke "ein amüsantes wie tiefsinniges Gespräch begleiten und illustrieren", in dem "Querverbindungen zwischen Freud und den Vorgängen im Musiktheater" gezogen werden.

Besonderes Augenmerk verdient der Höhepunkt der Wiener Feierlichkeiten, nämlich die Ausstellung des Sigmund-Freud-Museums mit dem Titel "Die Couch - Vom Denken im Liegen"«. Die Psychoanalyse wird dabei, wie es im Katalog heißt, "»mit künstlerischen und wissenschaftlichen Experimenten auf der Couch, aber auch mit der Geschichte eines Möbels verknüpft". Allerlei Couches und Diwane sind dort zu besichtigen, die Tatsache aber, dass das Original im fernen London ausgestellt ist, erfährt man nur zwischen den Zeilen des Ausstellungstextes. Auch auf der Veranstaltung mit dem viel versprechenden Titel "Österreich und Sigmund Freud" wird auf den Nationalsozialismus vor allem bei der Präsentation einer Umfrage über Freud in der österreichischen Wahrnehmung indirekt Bezug genommen: "Die Umfrage unter 500 Österreichern zwischen 15 und 70 Jahren ergab, dass Freuds Bekanntheit bei 99 Prozent gleichauf mit Adolf Hitler liegt."

In Wien wird also wie eh und je alles dafür getan, um das Revolutionäre an der unbequemen Psychoanalyse zurückzunehmen, anstatt die Frage nach ihrer Aktualität zu stellen. Zwar meinte Herbert Marcuse bereits im Jahr 1963, dass die Psychoanalyse veraltet sei, da es kein Individuum als "Verkörperung von Es, Ich und Über-Ich" mehr gebe. "Je mehr die gesellschaftlichen Antagonismen anwachsen, desto mehr verliert offenbar der durch und durch liberale und individualistische Begriff der Psychologie selber seinen Sinn. Die vorbürgerliche Welt kennt Psychologie noch nicht, die total vergesellschaftete nicht mehr", ergänzte Theodor W. Adorno. Dieses Veralten nehme der Psychoanalyse jedoch nichts von ihrer Bedeutung, denn "die Psychoanalyse in ihrer authentischen und geschichtlich bereits überholten Gestalt gewinnt ihre Wahrheit als Bericht von den Mächten der Zerstörung, die inmitten des zerstörenden Allgemeinen im Besonderen wuchern". Deshalb ist für den Oktober in Wien eine Gegenkonferenz geplant. Der Titel lautet: "Why live, if you can be buried for ten Dollars? Mit Freud. Gesellschaftskritik und Psychoanalyse."

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