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Antiemanzipatorisches Ressentiment

Der Antizionismus als Kampf gegen die "künstliche Zivilisation"

von Alex Gruber

(Context XXI 6-7/2004)

 
Wie schon der Untertitel des Marxschen Hauptwerks - Kritik der politischen Ökonomie - verrät, ist die kapitalistische Gesellschaft nur als staatlich verfasste adäquat zu fassen. Der Staat ist entgegen der gängigen marxistischen Ansicht keineswegs ein Überbauphänomen, der sich über einer ökonomischen Basis erhebt, er ist vielmehr ein notwendiges Moment der gesellschaftlichen Totalität. Die spezifische Verfasstheit der Gesellschaft selbst erfordert es, dass sich deren Wesen in ein ökonomisches und ein politisches Verhältnis verdoppelt. "Zwischen Staat und Kapital kann daher ein Verhältnis der Ableitung nicht bestehen, vielmehr: Die Souveränität ist das politische Verhältnis des Kapitals, wie das Kapital nur das ökonomische Verhältnis der Souveränität ist." [1])
So wie die Wertform als allgemeine nur möglich ist, wenn ein allgemeines Äquivalent, das Geld, existiert, so muss notwendig ein Drittes der Vermittlung existieren, damit die einzelnen Warenbesitzer sich aufeinander beziehen können. Die für den Warentausch notwendige wechselseitige Anerkennung als Freie und Gleiche [2]) der sich durch nichts als den Besitz gleichartiger Wertquanta auszeichnenden kapitalen Subjekte muss durch eine von ihnen getrennte Instanz vermittelt werden. Dieses Dritte ist der staatliche Souverän, der sowohl durch das Recht als auch durch das Gewaltmonopol charakterisiert und nicht auf eines der beiden Elemente zu reduzieren oder einseitig aufzulösen ist. Die Gleichheit vor dem Recht ist so gleichzeitig eins mit Unterwerfung unter unableitbarer Gewalt.
Auch der Souverän ist also sinnlich-übersinnliche Erscheinung der warenproduzierenden Gesellschaft. Er ist die ebenso notwendig erscheinende abstrakt-allgemeine Form der Subjekte, wie das Geld die notwendig erscheinende Wertform der Waren ist. Die Souveränität des Werts, die im als Kapital fungierenden Geld eine ihrer Eigengesetzlichkeit entsprechende Existenz findet, verlangt nach einer ebenso universalen politischen Souveränität. Die kapitalen Subjekte müssen den Staat wollen. Er ist die notwendige Voraussetzung ihrer Existenz als Warenbesitzern wie das Resultat ihres gesellschaftlichen Verkehrs.

Substantialisierung der Staatlichkeit

So wie Politik und Ökonomie also nur an der Oberfläche der Gesellschaft gegeneinander verselbständigte Sphären sind, als solche aber auf dasselbe Wesen, die gesellschaftliche Synthesis, verwiesen sind, so stellt sich auch auf der Ebene der Staatlichkeit die dem systematischen Verkehrungs- und Verblendungszusammenhang der wertverwertenden Gesellschaft entspringende Aufspaltung dar. Die fetischistische Dissoziation der gesellschaftlichen Totalität in "Zivilisation der Zirkulation" und "Kultur der Produktion" erscheint hier als Entgegensetzung von abstrakt-künstlichem Recht einerseits und konkret-organischer Souveränität andrerseits. Die Einzelnen rationalisieren ihre allgemeine und immanent unaufkündbare Inanspruchnahme durch den Souverän als konkrete, ihnen von Natur aus zukommende Verbindung mit "ihrem" Staat. Der Souverän erscheint so als "Staat des Volkes", zu dem die Einzelnen qua Geburt gehören und der diese "natürliche Ordnung" zu garantieren und zu exekutieren hat. Dem wird das künstliche, universale und "bodenlose" Recht des abstrakten Staatsbürgers gegenübergestellt, das die Verbindung des Einzelnen zum staatlichen Zusammenhang vermittelt über das individuelle Rechtssubjekt regelt. [3])
So wie das Geld ist auch das Recht die hochvermittelte Erscheinung eines dahinterliegenden gesellschaftlichen Verhältnisses. So wie die Kategorien Ware und Geld nichts über die Form der ihnen notwendig zugrundeliegenden mehrwertschaffenden Produktion aussagen, ja diese geradezu verhüllen, woraus der gesellschaftlich notwendige Schein entsteht, das Geld, der abstrakt gewordene Reichtum, habe okkulte und usurpatorische Macht und sei die "Wurzel allen Übels", so erscheint das abstrakte Recht des Staatsbürgers im Antisemitismus als ein künstliches, jüdisches Werkzeug, das die organische Einheit des Volkes mit sich und seinem Staat zersetze.
Dies lässt sich etwa an Carl Schmitt demonstrieren, der sich in seinen rechtstheoretischen Arbeiten der Substantialisierung des Souveränitätsbegriffes widmete. Der als "leer und formal" bezeichneten Forderung nach Gleichheit aller vor dem Gesetz, die ein Werkzeug und eine Waffe von "Fremden und Betrügern" und deren "fremder und feindlicher Legalität" sei, stellte Schmitt den Terminus der "Gleichartigkeit" als einen "sachlichen und substanzhaften" Begriff entgegen. [4]) Er setzte dem liberalen Rechtsstaat, dem bloß das Prinzip, "Mark war ja auch Mark, und getauft war getauft" gegolten habe, das "gute Recht der guten deutschen Sache" entgegen. [5]) "Wir suchen eine Bindung, die zuverlässiger, lebendiger und tiefer ist, als die trügerische Bindung an die verdrehbaren Buchstaben von tausend Gesetzesparagraphen." [6]) Der Rechtstaat mit seinem formalen Recht des Staatsbürgers galt ihm als Ausdruck jüdischer Legalitätsvorstellungen. Gegen dieses formale Recht setzte Schmitt letzten Endes das "konkrete Ordnungsdenken" und den Nomos-Begriff, die das deutsche Rechtsdenken vom jüdisch geprägten Gesetzesbegriff befreien sollten. Dem Nomos-Begriff, der das Deutsche darstellen sollte, konnte Schmitt, in der Logik der Sache liegend, sich nur negativ annähern, in der Polemik gegen das "Artfremde", das "Jüdische", gegen das der Kampf aufgenommen werden müsse, weil es mit seinem formalen Gesetzesbegriff eine Gefahr darstelle, indem es sich "eifrig bemüht, eine Gespensterwelt von Allgemeinbegriffen über der konkreten Wirklichkeit aufzurichten." [7]) Dies sei so aufgrund "der Eigenart des jüdischen Volkes, das seit Jahrtausenden nicht als Staat und auf einem Boden, sondern nur im Gesetz und in der Norm lebt, also im wahrhaften Sinne des Wortes ‚existenziell normativistisch' ist." [8])
Das abstrakte Recht wird also - homolog der fetischistischen Dissoziation des Verhältnisses von Ware und Geld sowie von Produktion und Zirkulation - als von außen an ein natürliches, in organischer Einheit sich befindliches Kollektiv herangetragenes, die ursprüngliche Harmonie auflösendes Phänomen verstanden. In all diesen, dem systematischen Verkehrungszusammenhang der warenproduzierenden Gesellschaft entspringenden Aufspaltungen wird eine Seite der erscheinenden Antinomien affirmiert und verklärt: Die gegenständlich erscheinende einzelne Ware, der Produktionsprozess, der als reiner Arbeitsprozess erscheint, oder die konkret sich darstellende Staatlichkeit, der "organische Volksstaat". Es werden damit die grundsätzlichen Formen der warenproduzierenden Gesellschaft bejaht, denen, gegen als äußerlich und abstrakt hinzutretend verstandene Störfaktoren, zu ihrem Recht verholfen werden soll. Diese Denkform wäre als konformistische Rebellion gegen das Kapital auf der Grundlage des Kapitals zu charakterisieren, [9]) die als großangelegte Rettungsaktion des Konkret-Natürlichen gegen das Abstrakt-Zivilisatorische auftritt.

Konformistische Rebellion als Kampf gegen die Juden

Dieser Rettungsversuch der natürlichen Gemeinschaft vor der künstlichen Zivilisation hat sich bereits früh auch gegen die Möglichkeit eines jüdischen Gemeinwesens gewandt, also antizionistisch argumentiert. Bereits 1922, also 26 Jahre vor der Gründung Israels, veröffentlichte Alfred Rosenberg seine Schrift Der staatsfeindliche Zionismus, in der er so gut wie alle Argumente vorwegnimmt, welche die Feinden Israels heute gegen den jüdischen Staat vorbringen und somit implizit die Schutzbehauptung Lügen straft, die Israelkritik, als welche der Antizionismus sich bemäntelt, sei eine Reaktion auf die politische Praxis dieses Staates.
"Alle arabischen Proteste, die gegen die gewaltsame Judaisierung Palästinas gerichtet waren, halfen nichts. Palästina, ein Land mit 500 000 Moslems, 65 000 Christen - und 63 000 Juden erhielt keine Selbstverwaltung, sondern wurde rücksichtslos den Wünschen der Zionisten ausgeliefert" [10] weswegen "sich die Araber gegen die zwangsweise Verjudung des Landes energisch zur Wehr (setzten)." [11] Die Zionisten seien also eine "Nation, die sich gerade anschickt, das arabische Volk aus seinem Lande zu vertreiben und mit Hilfe anderer Soldaten niederzuknüppeln!" [12] "(U)nter dem Banner der Freiheit lassen sich die Völker ihre Freiheit aus der Hand reißen.
Denn sobald der Jude irgendwo das Übergewicht besitzt, setzt mit notwendiger Konsequenz eine Unterdrückung alles Nichtjüdischen und Antijüdischen ein." [13] Durch "abgezwungene wirtschaftliche und politische Vorrechte soll die kleine (jüdische; A.G) Minorität (in Palästina; A.G.) von vornherein herrschend gemacht werden und Juden aller Länder anlocken, das neue jüdische Zentrum zu besiedeln, nach alter Methode, die eigentlichen, Jahrtausende hier lebenden Bewohner auf ‚legalem' Wege auszuwuchern, zu verdrängen und ein rein jüdisches (…) Sammelbecken für eine weit ausgreifende Orientpolitik zu schaffen. (…) Wenn jüdische Politiker vom zukünftigen Musterstaat Palästina sprechen, so weiß jeder Kenner, daß dies nie eintreten wird. Denn auf keinem Gebiet des Wissens, der Kunst, des Lebens ist der Jude wirklich schöpferisch gewesen. Sein ‚Staat' wird genau so lange dauern, als die Millionen des den Völkern der Welt abgewucherten Geldes ihm künstlich Lebenskraft einpumpen. An dem Tage, wo die Judenfrage im Sinne der jeweiligen von den Hebräern ausgeplünderten Völker gelöst sein wird (dieser Tag ist nicht mehr allzufern), fällt Palästina als Judenstaat in sich zusammen. (…) Zionismus ist, bestenfalls, der ohnmächtige Versuch eines unfähigen Volkes zu produktiver Leistung, meistens ein Mittel für ehrgeizige Spekulanten, sich ein neues Aufmarschgebiet für Weltbewucherung zu schaffen." [14]
Alle antizionistischen Topoi sind in diesem Text bereits versammelt: Von der unberechtigten Landnahme, die einem seit Jahrtausenden in diesem Land lebenden Volk das "Recht auf nationale Selbstbestimmung" raubt, über den Vorwurf, der jüdische Staat sei ein Instrument des Imperialismus zur Beherrschung und Kolonialisierung des Nahen Ostens, bis zu der Vorstellung, der jüdische Staat sei kein "echter" Staat und könne das auch nicht sein, was sich in der bis heute beliebten Verwendung der Anführungszeichen niederschlägt, wenn von Israel die Rede ist. Die Argumentation ist also, dass durch einen künstlich geschaffenen Fremdkörper, der von außen in die harmonische arabische Welt "eingepflanzt" werde, Zersetzung, Ausbeutung und Unterdrückung in den organischen Kollektiven Einzug halte. Der Antizionismus erweist sich damit als so neu nicht und war notwendig schon Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie.
Die im Antizionismus sich manifestierende, eher politisch argumentierende Form wohnt dem Antisemitismus von Anbeginn an inne: Als Mobilisierung der konkreten Gemeinschaft des Volkes gegen die abstrakte Gesellschaft des Rechts; nach der Gründung Israels muss diese sich schließlich geradezu zwangsläufig am jüdischen Staat festmachen. Diesem gilt die altbekannte Projektion: War der Vorwurf den Juden und Jüdinnen gegenüber früher stets der, ein separater Fremdkörper in ihrer jeweiligen Nation zu sein, so wird nun ihre als Schutzhafen für die weltweit von Antisemitismus Verfolgten und damit als Präventivmaßnahme gegen die Wiederholung des 1945 militärisch gestoppten Vernichtungsprojekts gegründete Nation zum bürgerlich-nationalen Fremdkörper in einer Welt der Völker und Kulturen erklärt. [15]
Sowie die Jüdinnen und Juden dem Antisemiten und der Antisemitin das "Gegenvolk" sind, so gilt Israel als das Gegenbild zu "ordentlicher" Staatlichkeit: Als "künstliches Gebilde". [16] In allem, was nationaler Identität, wo auch immer in der Welt, v.a. aber in Deutschland, Österreich und Palästina, im Wege steht, wittert der antisemitisch-antizionistische Wahn die Juden und ihren "rassistischen Siedlerstaat" am Werk. Die Ausrottungswünsche, welche europäische Antizionisten bislang nur verbrämt aussprechen, und die von den Protagonisten der Intifada und des Jihad bereits in die Tat umgesetzt werden, erscheinen so immer nur als Notwehr, als vielleicht überzogene, aber doch irgendwie verständliche Reaktion auf die permanente Kränkung, welche die Existenz Israels für die völkischen Kollektive darstellt. Noch das schlimmste antisemitische Massaker wird aufgefasst als "irgendwie ja doch gerechtfertigte Selbstverteidigung gegen das Überstülpen der westlichen Kultur und Ökonomie, das gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker verstößt." [17]
Israel sei der "Brückenkopf" der imperialistischen Unterdrückung des Nahen Ostens. "Die Errichtung Israels in den späten 40er Jahren war nur möglich mit Hilfe des US-Imperialismus, der sich auf diese Weise einen verlässlichen Handlanger im Nahen Osten geschaffen hat." [18] Permanent wird von Imperialismus gesprochen und damit nur bekundet, dass die Kritik der politischen Ökonomie völlig unverstanden geblieben ist. Der Imperialismus ist als historisch notwendiges Phänomen der Entstehung und Durchsetzung der kapitalistischen Weltgesellschaft zu analysieren. Er war Teil der historischen Bewegung der Transformation vormals nicht-kapitalistischer Weltgegenden in der Verwertung des Werts unterworfene. Als solcher schloss er historisch die Epoche der ursprünglichen Akkumulation - der Verwandlung des naturalen Reichtums in das Material kapitalistischer Verwertung und des Hineinfolterns der Einzelnen in die Verkehrsformen der warenproduzierenden Gesellschaft - auf internationaler Ebene ab und leitete den Übergang zur kapitalisierten Weltgesellschaft ein, womit er sich zugleich seinen eigenen Untergang bereitete. [19]
In Zeiten des global durchgesetzten Weltmarktes existiert der Imperialismus folglich nur noch im antiimperialistischen Weltbild und erweist sich somit als Form des Ressentiments und nicht als Kategorie der kritischen Durchdringung der Wirklichkeit. Dementsprechend wird er auch nur noch aufgefasst als angemaßte Herrschaft, die Usurpation und damit ein Fremdkörper im homogenen Kollektiv des Volkes sei, womit gleichzeitig der "guten", weil "eigenen" Herrschaft, sprich dem Volksstaat, die Absolution erteilt wird.
Israel als die Gesellschaft, die zwangsläufig im stärksten Gegensatz zu den völkisch verfassten Kollektiven steht, muss als die Projektionsfläche herhalten, an der all diese Ressentiments abreagiert werden, [20] an der all das exorziert wird, was die kapitalen Subjekte als Hinderungsgrund für die erstrebte Einheit mit "ihrem" Staat, auffassen - egal, ob dieser Grund Imperialismus, "natürlicher New Yorker Tropismus der Tel Aviver Eliten" [21], westliche Arroganz oder neoliberale Globalisierung genannt wird. So heißt es etwa in Artikel 6 der "Erklärung des attac-Ratschlags zu Antisemitismus und zum Nahostkonflikt": "Der Kampf gegen die neoliberale Globalisierung und der Wille, ‚die Zukunft unserer Welt wieder gemeinsam in die Hände zu nehmen', sind mit dem Kampf für den Frieden, für die Menschenrechte und für das politische Selbstbestimmungsrecht der Palästinenserinnen und Palästinenser untrennbar verbunden." [22]
Die Ansicht, Staaten hätten die Umsetzung des "Rechts auf nationale Selbstbestimmung" in die Wirklichkeit zu sein, folgt der völkischen Vorstellung, Souveränität gründe im Boden des Territoriums, als dessen Anhängsel die als Volk bezeichneten und damit von vornherein entindividualisiert und zwangshomogenisiert gedachten Menschen somit gesetzt sind. Diese Vorstellung hat keinen Begriff davon, dass die politische Einheit eines Volkes kein Erstes, Ursprüngliches und Natürliches ist, sondern sich aus der Installation eines politischen Souveräns herleitet, der in der Lage ist, die Bevölkerung eines Territoriums als Volk, sprich als Material des Staates überhaupt erst zu konstituieren. [23] Das Volk ist der vom Staat zum Ausdruck gebrachte Zwang zur Homogenität und es gibt kein unmittelbares, quasi natürliches Volk ohne Beziehung auf einen Souverän, der die Einheit überhaupt erst dar- und herstellt, die eine Bevölkerung zum Volk macht. Dieses ist somit weit entfernt davon, eine Kategorie der Emanzipation zu sein, es ist vielmehr der Zusammenschluss von zu kapitalen Subjekten konstituierten Individuen zu Staatszwecken.
Solcherart materialistische Kritik liegt der Linken jedoch fern. Lieber fahndet sie besten Wissens und Gewissens, da doch mittlerweile geradezu formelhaft bei jeder Gelegenheit das Existenzrecht Israels anerkannt wird, nach ursprünglichen Kollektiven, die von abstrakten Mächten an ihrer Selbstbestimmung gehindert werden, und in Identifikation mit welchen sie ihre antizivilisatorischen Ressentiments ausleben kann. Am stärksten trifft die Identifikation dabei jene Kollektive, die den bewaffneten Kampf gegen diese Mächte, verkörpert im "künstlichen Gebilde Israel", dem Staat gewordenen Einspruch "gegen das friedliche Zusammenleben der Völker" [24], bereits aufgenommen haben, jenen Kampf welchen die europäischen Feinden Israels bislang größtenteils nur publizistisch, diplomatisch und finanziell ausfechten.
Nicht die palästinensische Nationalbewegung also, die ihren Anspruch auf einen "organischen Volksstaat" in Blut- und Boden-Manier aus der Scholle ableitet und diesen im Kampf gegen den "zionistisch-imperialistischen Aggressor" zu etablieren trachtet, wird also als völkisch kritisiert, sondern die bürgerliche Gesellschaft der Jüdinnen und Juden und ihr Staat sollen die rassistische Anmaßung sein, die den Fremdkörper darstelle und die "organische Einheit" in Palästina zerstört habe. Dies ist die Grundlage auf der etwa der ArbeiterInnenstandpunkt Israel als "Apartheid-Staat", der das "palästinensische Volk (...) der blutigen Vernichtung" aussetze [25] brandmarkt und so als unterstützende Organisation die ideologische Begleitmusik zu der am 25. September 2004 vom Austrian Social Forum veranstalteten Demonstration Weg mit der Mauer in Palästina gegen den als Schutz vor - vom ASF als "Recht der Völker auf umfassenden Widerstand gegen Unterdrückung und Besetzung" [26] rationalisierten und gerechtfertigten - Selbstmordattentaten errichteten israelischen Sicherheitszaun orchestriert. Dies alles ist Ausdruck dessen, dass der antizionistische Wahn sich in der Herausbildung einer Antisemitischen Internationale manifestiert, die zum Vorgehen gegen den jüdischen Staat sowie in weiterer Folge gegen Jüdinnen und Juden weltweit mobilisiert. So war das Austrian Social Forum gemeinsam mit etwa zweihundert weiteren Organisationen aus dem Umfeld der Antiglobalisierungs- und Friedensbewegung im Rahmen der internationalen Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Konferenz Where Next for the Global Anti-War and Anti-Globalization Movements? tätig [27], welche am Wochenende des 18. und 19. September 2004 in Beirut stattfand, mit dem Ziel der Stärkung der "weltweiten Bewegung gegen Krieg und Besatzung". Veranstaltet wurde diese Konferenz von der Hisbollah, die nicht nur zu Suicide Bombings aufruft, sondern deren Satellitenkanal offene antisemitische Hetze verbreitet und die Protokolle der Weisen von Zion erst kürzlich als Fernsehfilm ausstrahlte. [28]
Die der Kritik der politischen Ökonomie sich verpflichtet fühlende Staatskritik dagegen, welche die Komplizenschaft der globalisierungskritischen Bewegung mit säkularen panarabischen Nationalisten und islamistischen Faschisten als das zu denunzieren hat, was sie ist, resultiert nicht in einer abstrakten Negation, einer antinationalen Äquidistanz zu allen Nationalstaaten, welche die Singularität Israels, seine unauflösbare Verbindung mit der Vernichtung des europäischen Judentums, die angesichts der globalen Intifada neue Aktualität gewinnt, verschwinden macht. Materialistische Staatskritik, die ihre Erkenntnisse ernst nimmt, hat vielmehr unbedingte Solidarität mit dem jüdischen Staat, der bewaffneten Emanzipationsgewalt der Jüdinnen und Juden in einer nationalstaatlich verfassten Welt zu einem notwendigen Moment ihrer selbst.



[1] Initiative Sozialistisches Forum: Abschaffung des Staates. Thesen zum Verhältnis von anarchistischer und marxistischer Staatskritik. In: Dies.: Das Ende des Sozialismus, die Zukunft der Revolution. Analysen und Polemiken. Freiburg i. Br. 1990, S. 100.
[2] "Da das Geld nur Realisierung des Tauschwerts ist und entwickeltes Tauschwertsystem Geldsystem; so kann das Geldsystem in der Tat nur die Realisierung dieses Systems der Freiheit und der Gleichheit sein." (Karl Marx: Fragment des Urtextes von "Zur Kritik der politischen Ökonomie"; in Ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1974 (1857), S. 914.) "Gleichheit und Freiheit sind also nicht nur respektiert im Austausch, der auf Tauschwerten beruht, sondern der Austausch von Tauschwerten ist die produktive, reale Basis aller Gleichheit und Freiheit." (Ders.: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie; in: MEW 42, Berlin 1983 (1857), S. 170.) "Die Sphäre der Zirkulation oder des Warentausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft sich bewegt ist ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was alleine hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum (…)." (Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals. Berlin 1993 (1872), S. 189.)
[3] Diese ressentimentgetriebene Aufspaltung ist es, die den Antiamerikanismus charakterisiert: Die Vereinigten Staaten werden als bürgerliche Gesellschaft ohne Souverän imaginiert, als jenes Land, in dem nur das abstrakte Recht regiert, welches aufgrund seiner universalistischen Form sich die gesamte Welt unterwerfen wolle. Es sind der Universalismus und der Individualismus, die das abstrakte Recht charakterisieren, welche der Antiamerikaner so hasst, und die er mittels Projektion exorzieren möchte. Diese Denkform entspricht dem Ressentiment, welchem Amerika als die Gesellschaft gilt, in der nur das Geld, der Run nach dem abstrakten Reichtum zähle, wohingegen die soziale Marktwirtschaft den Vorrang des Gemeinnutzes vor dem Eigennutz zu garantieren habe, eine Aufgabe, die durch die "neoliberale Globalisierung" - vulgo: Schaffung "amerikanischer Verhältnisse" - zunehmend in Gefahr gerate.
[4] Zitate aus: Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden. Eine deutsche Rechtslehre. Frankfurt/M. 2000, S. 62 f.
[5] Schmitt, Carl: Das gute Recht der deutschen Revolution. In: Westdeutscher Beobachter. Amtliches Organ der NSDAP. 12.3.1933, S. 1. Zit. in: Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden, a. a. O., S. 64.
[6] Carl Schmitt: Staat, Bewegung, Volk. Die Dreigliederung der politischen Einheit. Hamburg 1933, S. 46.
[7] Carl Schmitt: Nationalsozialistisches Rechtsdenken. In: Deutsches Recht, Nr. 4. 1934, S. 225. Zit. in: Raphael Gross: Carl Schmitt und die Juden, a. a. O., S. 75.
[8] Ebd., S.76.
[9] Vgl. Gerhard Scheit: Bruchstücke einer politischen Ökonomie des Antisemitismus. In: Streifzüge Nr. 1/1997, S. 7.
[10] Alfred Rosenberg: Der staatsfeindliche Zionismus. München 1943 (1922), S. 23.
[11] Ebd., S. 43 f.
[12] Ebd., S. 48.
[13] Ebd., S. 77.
[14] Ebd., S. 86; Hervorhebung im Original.
[15] Vgl. Uli Krug: Europas "neuer" Antisemitismus. Oder: Die Notwehr der "Opfer der Opfer" gegen den "jüdischen Rassismus". In: Bahamas Nr. 44, 2004, S. 24.
[16] Das antizionistische Argument, dass Israel kein echter Staat sei, die Juden also zur Staatsgründung nicht fähig wären, erweist sich als komplementär zu der antisemitischen Vorstellung, die Juden seien unfähig zur Arbeit, zu produktiver und schöpferischer Tätigkeit überhaupt.
[17] Info-Radio Berlin vom 9.10.2002
[18] Stellungnahme der AGM zu Palästina: Solidarität mit dem palästinensischen Aufstand! Nein zu Antisemitismus!
[19] Vgl. Initiative Sozialistisches Forum: Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie. Freiburg i. Br. 2000, S. 65 ff.
[20] Die Vereinigten Staaten spielen in diesem Zusammenhang eine ähnliche Rolle im psychischen Haushalt der ressentimentgetriebenen Subjekte, was auf den engen Zusammenhang von Antiamerikanismus und Antizionismus verweist.
[21] Thomas Coutrot: Israel und das neue Paradigma der Globalisierung. In: Sand im Getriebe. Internationaler deutschsprachiger Rundbrief der attac-Bewegung Nr. 21, 2003, S. 12.
[22] Erklärung des attac-Ratschlags zu Antisemitismus und zum Nahostkonflikt
[23] Vgl. Initiative Sozialistisches Forum: Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten, a. a. O., S. 53.
[24] Autonome Nahostgruppe Freiburg. Zit. in: Thomas Haury: Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus. In: Léon Poliakov: Vom Antizionismus zum Antisemitismus. Freiburg i. Br. 1992, S. 143.
[25] Stoppt den israelischen Staatsterrorismus! Verteidigt die Intifada!
[26] Aufruf zum Aktionstag gegen Besatzung und Krieg am 25. September 2004: Weg mit der Mauer in Palästina! Besatzungstruppen raus aus dem Irak!
[27] Eine Liste der teilnehmenden Organisationen findet sich auf IMC-Europe. Auch auf der offiziellen Seite des European Social Forum wurde für die Konferenz mobilisiert.
[28] Vgl.: Thomas von der Osten-Sacken: Die Hisbollah ruft und alle kommen. Antiglobalisierungskonferenz in Beirut www.juedische.at bzw. Wadi e.V.
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