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Auschwitz als Märchen

Über Müllproduktion, Kulturindustrie und Auschwitz.

von Tobias Ofenbauer

Abgeändert erschienen in: Jungle World 15/99

 
Vor etwa einem halben Jahr ist der Film "Das Leben ist schön" von und mit Roberto Begnini in den Kinos angelaufen. Mittlerweile ist er mit 3 Acadamy Awards ausgezeichnet worden - ein Kultfilm. Der Konsens im Auditorium war perfekt. Die noch vor Veröffentlichung des Filmes erwarteten Kontroversen blieben aus. Ausschwitz ist endgültig als verwertbares Thema der Kulturindustrie etabliert.

Holocaustklamauk und Donald Duck


Benignis Auftritt bei der Oscarverleihung in Los Angeles war eine umjubelte Show. Nach einigem Gehüpfe und Geblödle galt sein Dank all jenen Menschen, die an diesem Tag nicht anwesend sein konnten. Wen er da bloß gemeint hat? Eigentlich kann die Auszeichnung bloß als der "krönende" Abschluß der gesamten Rezeption von "Das Leben ist schön" bezeichnet werden. Der Umfang der Misere war allerdings bereits in den ersten Rezensionen nach der Veröffentlichung des Filmes abzulesen. In ihren überschwänglichen und begeisterten Kritiken erfanden die Zeitungen geradezu atemberaubende Wortkreationen, von einer "grausig-schöne Holocaustkomödie", ja von "Holocaustklamauk" war die Rede. Die Mühe, der Frage nachzugehen, ob diese Neologismen bloß dem, im alltäglichen Medienbetrieb zerrütteten Sprachgebrauch oder durchaus dem Film selbst geschuldet waren, hat sich bis heute kaum jemand gemacht. Die Aussagen von Roberto Benigni selbst über seinen Film sind zumindest widersprüchlich: Er habe sich gefühlt wie Donald Duck in Auschwitz. Ab dem Zeitpunkt, da der Film im Lager spielt, sei er nur noch tragisch. Sein Werk sei ein Film über die Liebe und nicht über den Holocaust. Das Thema sei das so unfaßbare Verbrechen. Der Film erzähle ein Märchen. So falsch hat das Publikum und die Presse den Film also nicht verstanden.

Befreiung von der Unerträglichkeit

Bei soviel überschwänglicher Begeisterung sollte man sich den Film jedoch noch einmal genauer ansehen. Über den ersten Teil des Filmes mögen "Cineasten" diskutieren. Ob die Pointen dieser ersten Stunde wirklich originell sind, ist eine Geschmacksfrage, und über diese kann und soll man bekanntlich lang und ausgiebig streiten. Zumeist wird darauf verwiesen, daß dieser Teil des Films nur dazu dient, die Tragik des Zweiteren heraus zu streichen. Komik soll umschlagen in unsagbare Tragik. So hat sich das Roberto Benigni zumindest gedacht. Aber entspricht diese Vorstellung wirklich dem Gezeigten? Während der Deportation versucht der Vater seinem Sohn die bedrohliche Realität dadurch zu rationalisieren, daß folgendes nur ein Spiel zu seiner Unterhaltung sei. Der Sieger des Spiels erhält einen Panzer. Dieses Motiv zieht sich bis zum Ende des Films durch. Bis zur billigen Schlußpointe.
Benigni zeigt Figuren wie sie platter nicht sein können. Die Opfer sind Abziehbilder, die Täter sind Dämonen. Die Darstellung lädt zu unreflektierter Parteinahme und bruchloser Identifizierung geradezu ein. Das Publikum definiert sich selbst über die Opferrolle und "leidet mit". Die Frage, warum diese Menschen ermordet werden, stellt sich an keinem Punkt. In den Szenen zwischen Vater und Sohn wird die Grausamkeit eines Vernichtungslagers wenigstens angedeutet. Die bedingungslose Ausgelieferheit der Opfer gegenüber dem Vernichtungsprozeß, die Gesellschaftslosigkeit der "umgekehrten Fabrik" Auschwitz, ist aber nur ein unbedeutender Nebenschauplatz.
Benigni selbst meinte, es ginge ihm um Liebe und die Kraft des Humors.
Das entscheidende Moment, das Auschwitz von anderen Verbrechen trennt, die vollendete Sinnlosigkeit des Leidens, hat in der Kulturindustrie keinen Platz. Der Kinobesucher muß das Kino mit einem Gefühl der Versöhntheit verlassen können. Die Unerträglichkeit der Barbarei würde dabei nur stören. Auschwitz muß in der Kulturindustrie zu einer für jeden kommensurablen Ware werden. So wird aus Vernichtung Kultur. Darum ist von allen Besonderheiten der Shoah abzusehen. Dieses Eskamotieren der unerträglichen Sinnlosigkeit schlägt um ins genau Gegenteil, in sinnstiftenden Humor. Die logischen Inkonsistenzen haben Methode. Mit Humor und guten Willen läßt sich alles aushalten, auch Auschwitz. "Lachen rettet uns", meint Benigni. Er betreibt die endgültige Rationalisierung von Auschwitz, mit den Mittel der totalen Irrationalisierung. Das Verbrechen, daß die ganze bestehende Ordnung in Frage stellen würde, wird in sein Gegenteil verkehrt. Die Unerträglichkeit muß immer weiter ausgelöscht werden. Deswegen war es nur eine Frage der Zeit, bis jemand Slapstick und die Shoah zusammenführte. Humor ist wenn man trotzdem lacht. Das ist die eigentliche Bedeutung des Titels "Das Leben ist schön". Man lacht nicht trotz, sondern wegen der Vernichtung. Höhepunkte dieser Farce sind die Szenen in denen "Italiens Starkomiker den KZ-Alltag verulkt". Offenbachs Barkarole wird in Auschwitz gespielt, über die Sprechanlage schickt auf diese Weise der KZ-Insasse Guido Liebesbekundungen an seine ebenfalls inhaftierte Frau. Mit solchen komisch-rührenden Bildern, so absurd sie auch sind, kann das Publikum sich anfreunden. Das kalte und leere Vergessen, von dem Adorno noch sprach, weicht einer beliebigen Geschwätzigkeit. Nur ein einziges Mal wird der Zuseher mit dem Massenmord konfrontiert. Der von Benigni gespielte Guido verirrt sich im Vernichtungslager. Eine vielsagende Szene. Er durchdringt einen undurchsichtigen Nebel und bleibt erschrocken vor einem Massengrab stehen. Ein Insasse eines Vernichtungslagers, der im Nebel über ein Massengrab stolpert? Wie ernst kann man eine solche Szene nehmen? "Das Leben ist schön" macht die Vernichtung zu einem Gerücht. Im Grunde vollendet Benigni allerdings nur das, was bereits in den Siebzigern mit der TV- Serie Holocaust begann. Doch während Schindlers Liste durch Emotionalisierung noch betroffen machen wollte, gibt es in bei Benigni nur noch Sachen zum Lachen. Die ritualisierte Betroffenheitskultur wird abgelöst durch das gleichmäßige Rauschen kulurindustrieller Pointen.

Ein Käfig voller Narren

Die Täter haben in der Darstellung kaum einen Platz. Nur eine Täterfigur wird etwas genauer gezeichnet: der KZ- Arzt, den man bereits aus der ersten Hälfte des Films kennt. Hilfe kann man von ihm nicht erwarten. Doch warum kommt es nicht zur erhofften Erlösung? Der Arzt ist offensichtlich ein pathologischer Fall, salopp ausgedrückt: er ist reif für die Klappsmühle. Seine Täterschaft ist keine freiwillige Entscheidung. Das die deutschen und österreichischen Täter realiter alles andere als irre waren und Eichmann und Co. sich alles andere als "gestört" verhielten, interessiert dabei überhaupt nicht. Die Exkulpierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Auschwitz zeitigten, funktioniert wie von selbst.
Keine Wahnsinnigen, kein Massenmord folgert der "gemeine Hausverstand", nicht ganz zu unrecht. So wie die Shoah aber nicht durch ein paar durchgebrannte Sicherungen zu erklären ist, genauso ist der Antisemitismus der bürgerlichen Gesellschaft nicht auf einen Mangel an Vernunft und Aufklärung zurück zu führen. Er ist vielmehr als Folge der widersprüchlichen Konstitution von Subjektivität in den modernen, warenproduzierenden Gesellschaften zu begreifen. Antisemitismus und Rassismus sind eben nicht bloße Spinnerei, oder gar dasselbe wie der Haß auf "Chinesen und Giraffen", wie die Figur Guido seinem Sohn erklärt. Auch der Rassismus der italienischen Faschisten war kein neurotischer Spleen, den man durch Spott beseitigen könnte. Insofern relativiert sich auch Benignis furchtbar gut gemeinter Auftritt als römischer Schulinspektor. Die Täter waren willige Vollstrecker des fetischistischen Wahns des modernen Antisemitismus. Sie glaubten das Böse der Welt, die Personifikationen des Abstrakten, für immer aus der Welt zu schaffen. Dies taten sie im vollen Umfang ihrer geistigen Fähigkeiten. Zu den Problemen für die Darstellung der Shoah, die sich aus dieser Erkenntnis ergeben, dringt "Das Leben ist schön" nicht annähernd vor.

There's no buisness like shoahbuisness


Von der postulierten Zweiteiligkeit des Films kann keine Rede sein. Die Witzchen folgen am laufenden Band. Benigni zieht Grimassen, verkleidet sich, macht ulkige Verrenkungen, treibt Scherze mit anderen Häftlingen. Das Publikum versteht die Botschaft. Ottonormalverbraucher, in Deutschland und Österreich Ottonormalvergaser, lacht erst vorsichtig, dann aus Überzeugung. Der schon lange fällige Tabubruch ist geglückt. Menschen, die nicht in den allgemeinen Freudentaumel einfallen, werden mit aggressiver Abwehr konfrontiert. In der Rezeption wird gebetsmühlenartig immer wieder darauf verwiesen, daß jüdische Organisationen den Film begrüßt haben. Klassischere Stereotypen des sekundären Antisemitismus gibt es nicht. Eine derartiger Philosemitismus ist nur die neue Erscheinungsform der Sonderbehandlung. Solange sich die Opfer für die eigenen Belange instrumentalisieren lassen, sind sie heißbegehrte Legitimationsfiguren. Benigni hat davor gewarnt "Realistisches in seinem Film zu suchen." "Wie sollte ich realistisch das zeigen, von dem zu reden ich nicht einmal den Mut hatte?" Den Mut, einen Film darüber zu machen, hatte er jedenfalls. Das einzige Argument, daß man für einen Film über Auschwitz angeben könnte, wäre, das dieser zur Reflexion über das Geschehene und die Verhältnisse, die es hervorbrachten, zwingt. Gemessen an diesem Anspruch scheitert "Das Leben ist schön" kläglich. In der fulminanten Schlußszene wird der Film auf seinen Begriff gebracht. Der Junge bekommt seinen heißersehnten Panzer. Der Auszug der Überlebenden aus dem Lager wird von einem Siegesmarsch untermalt. Mutter und Sohn finden einander wieder und sind glücklich vereint. Freudestrahlend wird in die Kamera gegrinst. Die 6 Millionen Toten werden weggewischt. Die noch während und nach der Befreiung Gestorbenen existieren nicht. Es gibt doch noch Hoffnung, und das kleine Familienglück wird plötzlich riesengroß. So viel Freude war noch nie. Auschwitz sie dank.
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