Europas Dialog mit Islamisten

Im Oktober letzten Jahres gab Javier Solana in seiner Eigenschaft als höchster Repräsentant der EU-Außenpolitik der Jerusalem Post ein bemerkenswertes Interview. Aufhorchen ließ er vor allem mit der Aussage, die islamistische Hamas wolle nicht Israel zerstören, sondern die Palästinenser „befreien“ – dass diese beiden Ziele in eins fallen können, störte nicht weiter. Er könne sich nicht vorstellen, dass jemand aus religiösen Gründen ein Land vernichten wolle, denn das sei ein Missbrauch der Religion. Solanas „Erkenntnisse“ müssen für große Verwunderung gesorgt haben, nicht zuletzt bei der von ihm angesprochenen Hamas selbst. Immerhin lassen deren Vertreter kaum eine Gelegenheit aus, gerade jene Ziele öffentlich zu proklamieren, die der höchste europäische Diplomat einfach nicht zur Kenntnis nehmen will. Lange hatte sich die Europäische Union geweigert, die Hamas auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Andere Terrorgruppen, etwa die libanesische Hisbollah, sind darin immer noch nicht zu finden.

 Wer wissen will, wie Solana zu derartig faktenresistenten Einschätzungen gelangt, dem sei ein Blick in die Ausgabe des London Review of Books vom 5. Juli 2007 empfohlen. Das LRB hat sich über Jahre hinweg einen Ruf als publizistische Bastion des Antizionismus erarbeitet. Es ist durchaus kein Zufall, dass Walts/Mearsheimers Auslassungen über die vermeintliche Macht und den schädlichen Einfluss der „Israel-Lobby“ ausgerechnet hier veröffentlicht wurden. Doch nicht nur der Antizionismus gehört zur politischen Agenda des LRB, auch im Bemühen um ein politisches Bündnis mit Islamisten fast jeglicher Couleur sind die Londoner in vorderster Front zu finden. Eugene Goodheart schlug kürzlich vor, das Blatt in London Review of Hezbollah umzubenennen, nachdem in einem Jubelartikel Hassan Nasrallah und seine Mörderbanden für ihren „intelligenten“ Einsatz von Autobomben, Raketen und Selbstmordattentätern gelobt wurden, ohne den eliminatorischen Antisemitismus der libanesischen Gotteskrieger auch nur zu erwähnen.

Islamism’s Moderates

So kann es nicht verwundern, dass die jüngsten Ereignisse im Gazastreifen im LRB auf einschlägige Art und Weise Erwähnung finden und mit Alastair Crooke – seines Zeichens ehemaliger Berater Javier Solanas in Nahostangelegenheiten – ein Autor gewonnen werden konnte, der die an ihn gestellten Erwartungen nicht enttäuscht: „Our Second Biggest Mistake in the Middle East“, so der Titel seines Beitrages, sei einfach auszumachen: Er bestand nicht etwa darin, Druck auf Israel auszuüben, um eine islamistische Terrororganisation an den palästinensischen Wahlen teilnehmen zu lassen, sondern darin, dass der Westen die Machtübernahme der Hamas nicht vorbehaltlos unterstützt hat. Denn für Crooke handelt es sich bei der Hamas nicht um eine Gruppe, deren Selbstmordattentäter seit Mitte der neunziger Jahre Blutbäder unter Israelis anrichteten und so jede Chance auf Frieden zunichte machten, sondern um „moderate Islamisten“, die der Radikalisierung der Palästinenser entgegenwirken wollten. In der ausgebreiteten antizionistischen Parallelwelt spielen Fakten keine Rolle: Die Palästinenser hätten aus Enttäuschung über den stockenden Friedensprozess für die Hamas gestimmt. Die Fatah habe bis zuletzt versucht, die Forderungen Israels und der USA zu erfüllen und sich damit in den Augen ihrer Wählerschaft diskreditiert. Kein Wort darüber, dass es eben jene Fatah war, die im September 2000 einen Terrorkrieg vom Zaun gebrochen hat, anstatt Frieden zu schließen; kein Hinweis darauf, dass die umworbene Hamas den Oslo-Prozess von Anbeginn an als Verrat an der palästinensischen Sache denunzierte und an einem Frieden mit Israel nicht das geringste Interesse hat. Crooke räsoniert über die Perspektiven einer Zweistaatenlösung, ohne auch nur zu erwähnen, dass keiner der „moderaten Islamisten“ daran auch nur zu Denken bereit ist. Nur Gutes sei hingegen durch eine Machtübernahme der Islamisten, in den palästinensischen Gebieten wie im Libanon, zu erwarten, bemühten diese sich doch um „good governance“, bekämpften Korruption und würden „radikale Kräfte“ in Schach halten können. Sollte die Lage im Nahen Osten eskalieren, hätten dafür einzig die USA, Europa und Israel die Verantwortung zu tragen, weil sie die „moderaten Islamisten“ nicht unterstützen würden.

Bei Crooke mutieren Hamas und Hisbollah von militanten Antisemiten zu islamischen Bürgerrechtsbewegungen. Dass dabei die Bedrohung Israels vollkommen aus dem Blick gerät ist kein Zufall, sondern Zweck des ganzen Unterfangens. Geschwiegen wird aber nicht bloß über den zur Tat drängenden Vernichtungswahn gegen Juden, sondern auch über die massive Gewalt, durch die etwa die Hamas innerhalb der palästinensischen Gesellschaft selbst in Erscheinung getreten ist – lange bevor sie zum ersten Mal Suicide Bombers nach Tel Aviv oder Jerusalem entsandte. Bereits in den frühen achtziger Jahren gingen bewaffnete Schlägertrupps unter dem Befehl des späteren Hamasgründers Jassin gegen die vermeintlichen Feinde des Islams in der palästinensischen Gesellschaft vor, verwüsteten Lokale, zündeten Videotheken an oder schütteten Frauen, die sich den rigiden islamistischen Kleidervorschriften nicht beugen wollten, Säure ins Gesicht.<!–[if !supportFootnotes]–>[i]<!–[endif]–> Wie sich die „moderaten Islamisten“ der Hamas verhalten, wenn sie die Gesellschaft nach ihren islamischen Werten ummodeln, wird auch an der folgenden Geschichte aus dem Gazastreifen deutlich: Am 8. April 2005 war die palästinensische Studentin Yusra al-Azzami mit ihrem Verlobten, ihrer Schwester und deren Verlobtem gemeinsam mit dem Auto unterwegs, um Vorbereitungen für ihre bevorstehende Hochzeit zu treffen. Für die Sittenwächter der Hamas ein klarer Fall von unmoralischem, weil unislamischem Verhalten. Palästinensischen Zeitungen zufolge wurde mit Maschinenpistolen das Feuer eröffnet, anschließend wurden die Insassen aus dem Wagen gezerrt und mit Knüppeln verprügelt. Als Azzamis Verlobter wieder zu Bewusstsein kam, lag die 20jährige Palästinenserin auf der Straße, hingerichtet durch einen Kopfschuss. Keiner der Mörder wurde dafür jemals zur Rechenschaft gezogen. Die Leser des LRB werden mit den Auswirkungen der Herrschaft „moderater Islamisten“ freilich nicht konfrontiert. Wenn beim besten Willen keiner der üblichen Verdächtigen verantwortlich gemacht werden kann, ist die Geschichte uninteressant – tote Palästinenser zählen nur, wenn Juden schuld sind.

Nicht Appeasement, sondern KollaborationWerfen wir nun einen Blick auf den Mann, der dem ehemaligen EU-Nahostgesandten Miguel Morratinos als Sicherheitsberater und Javier Solana als Berater in Nahostangelegenheiten diente. Alastair Crooke war dreißig Jahre lang als Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes tätig, bevor er verschiedene Jobs für internationale Organisationen (UN, EU) übernahm. Seine wahre Bestimmung fand er 2004: Er war Mitgründer einer Organisation namens Conflicts Forum, die über Niederlassungen in Washington, London und Beirut verfügt. Der Selbstdarstellung zufolge ist es das Ziel des Conflicts Forum, ein neues Verhältnis zwischen dem Westen und der muslimischen Welt zu schaffen. Kritisiert wird der Westen, der sich weigere, mit der „most significant indigenous political force“ der muslimischen Welt zu sprechen – dem Islamismus. „We [der Westen] don’t talk to Hamas, Hezbollah, or the Muslim Brotherhood. We shun Iran, Syria, and others”, derweil die Probleme im Irak, in Afghanistan, dem Libanon usw. immer größer würden. „We immobilize ourselves by turning away from the homegrown political forces that have the power to resolve these crises. “ Das Conflicts Forum geht einen anderen Weg. Stolz wird verkündet, die Organisation arbeite mit Islamisten nicht bloß im Nahen Osten, sondern auf der ganzen Welt zusammen. „Conflicts Forum engages the entire spectrum of Islamist societies – in cultural and economic realms as well as the political. “ Diese Zusammenarbeit führt zu einer überraschenden Erkenntnis: “The overwhelming majority of Islamists are striving to create just societies and bring about political reform in a region entrenched with inequity that has long suffered the overbearing influence of foreign powers.” Ziel des Conflicts Forum sei es, “to engage and listen to Islamists, while challenging Western misconceptions and misrepresentations of the region’s leading agents of change.”

Das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet “Dialog”, wobei auf das sonst üblicherweise voran gestellte Adjektiv “kritisch” getrost verzichtet werden kann. Nur wenige Wochen nachdem ein Suicide Bomber der Hamas in Netanya auf einer Pessachfeier bei einem der schrecklichsten Anschläge der letzten Jahre 30 Menschen getötet und über 140 verletzt hatte, traf Crooke im Juni 2002, damals noch in Diensten der EU, mit einer hochrangigen Delegation der Hamas in Gaza zusammen. Mit dabei u.a.: Ahmed Jassin, der zwei Jahre später bei einer gezielten Tötung durch die IDF ums Leben kam, und dessen Nachfolger Abdelaziz Rantisi, der dank der israelischen Armee Jassin alsbald ins Paradies folgen sollte. Crooke bat zwar darum, das Treffen geheim zu halten – weil, wie er betonte, er den Amerikanern oder Israelis keine kompromittierenden Informationen zukommen lassen wolle –, doch fiel ein Protokoll der Besprechung der israelischen Armee in die Hände, die es prompt veröffentlichte.

Gleich zu Beginn lobte Crooke die Hamas für ihre Volksnähe, bestätigte ihr, dass sie ein bedeutender politischer Faktor sei und das Problem der gesamten Region in der „israelischen Besatzung“ bestehe. Die Europäer würden klar für die Palästinenser Partei ergreifen. Die anwesenden Hamasführer konnten nur zustimmen. „We agree with you that the problem is the occupation.” Um erst gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, betonten sie: „We are talking about Palestine that was occupied in 1948 and then in 1967“. Und in diesem Tonfall ging es weiter: Während Jassin dem EU-Vertreter die weitverbreitete Verschwörungstheorie auftischte, wonach die Zionisten hinter den Anschlägen vom 11. September stünden, versicherte Crooke seinen Gesprächspartnern, er lehne das Wort „Terrorismus“ ab und spreche lieber von „Freiheitskämpfern“ – mit Sicherheit haben sich die Hamasmänner, in deren Auftrag hunderte Israelis auf Märkten, in Diskotheken oder Autobussen buchstäblich zerfetzt wurden, über diese Erläuterungen erfreut gezeigt.

Drei Jahre nach dem Gespräch in Gaza traf Crooke in Beirut wieder einmal mit einer Runde führender Islamisten auf einen Plausch zusammen. Mit dabei diesmal: Hamas, Hisbollah, die Moslembruderschaft sowie die pakistanische Jamaat e-Islami . Die Stimmung dürfte entspannt gewesen sein, berichtete ein britischer Journalist: „Invited to dinner with the participants in the Beirut talks, and sharing jokes with the Hamas men over tiger pawns, avocado, pasta and cherry tomatoes, I wondered privately how one would explain all this intimacy to the mother of a child killed by a suicide bomber.”Wie weit die angesprochene Intimität mit islamistischen Mörderbanden bereits geht, wird anhand eines weiteren Treffen zwischen dem Conflicts Forum, einigen britischen Abgeordneten und dem Sprecher der Hamas im Libanon deutlich, das letzten Juni in Beirut stattfand, bereits nach den dramatischen Ereignissen im Gazastreifen. Zur Begrüßung fragte der konservative Abgeordnete Michael Ancram den Hamassprecher: „Good to see you. Lots has happened since we last met. I guess you have been busy, Gaza has been interesting, I’m keen to hear what has been going on. How do you think things will go?”Alastair Crooke und das Conflicts Forum gehören zu jenen, bei denen von Appeasement gegenüber Islamisten nicht mehr gesprochen werden kann. Hier handelt es sich um offene Kollaboration. Ein Beobachter brachte es auf den Punkt: „What happened to Crooke is what happened to many researchers who make research on biology. He fell in love with the microbes he was researching.”Auch wenn Crooke mittlerweile seinen Liebesdienst für antisemitische Rackets nicht mehr als offizieller diplomatischer Vertreter der EU leisten kann, ändert das nicht viel an dem Skandal, dass er bis 2003 als Berater von Solana tätig war und bis heute gute Kontakte zu EU-Institutionen pflegt: Im Januar 2007 beschloss die EU im Rahmen ihres Partnership for Peace-Programmes die Finanzierung eines 500.000 Euro-Projektes, an dem auch das Conflicts Forum maßgeblich beteiligt ist. Ziel dieses Projekts: „to help develop more inclusive and legitimate approaches to transforming the Middle East conflict”.

Kann sich angesichts all dessen noch irgendjemand wundern, wenn Javier Solana sich einfach nicht vorzustellen vermag, dass die Hamas Israel vernichten will?


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<!–[if !supportFootnotes]–>[i]<!–[endif]–> Vgl. Croitoru, Joseph: Hamas. Der islamische Kampf um Palästina, München 2007, S.53ff.

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