The London Review of Palestine

Knapp einen Monat ist es her, seit die britische Zeitschrift London Review of Books (LRB) ihren Lesern erklärte, weshalb der Westen die Hamas stärken müsse. In der aktuellen Ausgabe stellt sie nun unter Beweis, wie „ausgewogen“ ihre Berichterstattung über den Nahostkonflikt ist. Getreu dem Motto, Palästinenser und Israelis haben die gleichen Rechte: beide dürfen die Palästinenser bejubeln und Israel verdammen, ist nach der zuletzt veröffentlichten Werbung für die Hamas diesmal die Zeit wieder reif für zünftige „Israelkritik“.

Und wieder wurde ein Autor gefunden, der ganz dem Geschmack des sich intellektuell dünkenden, antizionistischen Zeitgeistes entsprechen dürfte. Henry Siegman wird als langjähriger Mitarbeiter und Nahostexperte des in New York ansässigen Council on Foreign Relations vorgestellt. Darüber hinaus hat er noch einen unüberbietbaren Vorteil vorzuweisen: Als Flüchtling vor dem Nationalsozialismus und ehemaliger Leiter des American Jewish Congress kann er von sich geben, was der aufgeklärte Antisemit von heute sich selbst nur selten zu sagen traut.

Der gesamte Friedensprozess, so führt Siegman aus, war ein einziger Betrug an den Palästinensern, und nicht nur das: „The Middle East Peace process may well be the most spectacular deception in modern diplomatic history“! So perfide sind die Israelis, dass sie das Schauspiel eines Friedensprozesses bloß inszeniert hätten, „to provide cover for its systematic confiscation of Palestinian land“. Kein Argument aus dem antizionistischen Repertoire darf fehlen: So habe etwa der Rückzug aus dem Gazastreifen nur auf die Schaffung eines ersten palästinensischen „Bantustans“ abgezielt. Wen stört es da, dass der gleiche Henry Siegman noch im Oktober 2004 einwandfrei begründet hatte, warum sich Israel niemals aus dem Gazastreifen zurückziehen werde, und allgemein als Experte für haarsträubende Fehler und einseitige Verzerrungen gelten muss?

Mit der üblichen „israelkritischen“ Berichterstattung, die man tagtäglich etwa im Guardian lesen kann, gibt sich die LRB nicht zufrieden, Innovationen sind gefragt, und Siegman ist dafür der richtige Mann.  Im Unabhängigkeitskrieg habe Israel mehr Land erobert, als im Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen für die Schaffung des jüdischen Staates vorgesehen gewesen wäre. Wenn es aber verboten sei, Gebiete kriegerisch zu erobern, „then the question now cannot conceivably be how much additional Palestinian territory Israel may confiscate, but rather how much of the territory it acquired in the course of the war of 1948 it is allowed to retain.” Die arabische Bevölkerung des Mandatsgebietes sowie die arabischen Staaten können, antizionistischer Sichtweise zufolge, einen Anlauf nach dem anderen unternehmen, um den jüdischen Staat dem Erdboden gleichzumachen; wenn die Israelis schon nicht bereit sind, bei diesem Schauspiel die ihnen zugedachte Rolle zu übernehmen, so müssten sie sich wenigsten wieder auf ihre unhaltbare Ausgangsposition zurückziehen und den Beginn der nächsten Runde abwarten. Zugeständnisse und Kompromisse seien jedenfalls nicht von den unterlegenen arabischen Aggressoren zu erwarten, sondern von den Juden, die sich erdreisteten, sich gegen die eigene Vernichtung zur Wehr zu setzen: “At the very least, if ‚adjustments’ are to be made to the 1949 armistice line, these should be made on Israel’s side of the line, not the Palestinians’.”

Die Palästinenser hätten jedenfalls nur zur Gewalt gegriffen „to rid themselves of Israel’s occupation“. Selbstverständlich will Siegman damit nicht etwa Verständnis für palästinensische Terroristen zum Ausdruck bringen, sondern nur, ganz allgemein, simple Wahrheiten aussprechen: „It is not to sanction the murder of civilians to observe that such violence occurs, sooner or later, in most situations in which a people’s drive for national self-determination is frustrated by an occupying power.“ Ausgerechnet die Israelis müssen nun als Beleg für diese Verharmlosung herhalten: Gerade sie müssten dafür Verständnis haben, da doch ihr Kampf um nationale Selbstbestimmung keine Ausnahme von dieser „Wahrheit“ gewesen sei. Unter Rückgriff auf Benny Morris meint Siegman, der Aufschwung des palästinensischen Terrors 1937 habe Bombenattentate des revisionistischen Irgun zur Folge gehab. Die Araber hätten auf Autos und Fußgänger geschossen, Granaten geworfen und des Öfteren Juden verletzt oder getötet; der Irgun habe darauf mit Bomben auf arabische Märkte etc. reagiert, „introducing a new dimension to the conflict.”

Die Beweisführung besticht durch eine vollkommene Abwesenheit von Logik, aber das ist den LRB-Redakteuren in ihrem Eifer, Israel für den palästinensischen Terror verantwortlich zu machen, offenbar gar nicht aufgefallen: Wenn die Anschläge des Irgun, wie Siegman selbst schreibt, eine Reaktion auf arabische Scharfschützen, Granaten und sonstigen Terror gewesen sind, wie kommt er dann zu der Behauptung, „it was the Irgun that first targeted civilians“? Die Zionisten sind schuld, sie haben als erste zurück geschossen?

Bei Benny Morris ist dergleichen jedenfalls nicht zu finden. Siegman ist einer jener „Experten“, denen man – ähnlich wie Noam Chomsky oder Norman Finkelstein – kein einziges Zitat glauben darf, ohne es selbst nachzuprüfen. In Righteous Victims, auf das Siegman sich ausdrücklich bezieht, schreibt Morris: „Until mid-37 the Jews had almost completely adhered to the policy of restraint.” Auf terroristische Angriffe arabischer Freischärler wurde nicht mit Vergeltungsschlägen geantwortet, sondern am Konzept der passiven Verteidigung festgehalten. Erst auf die Terrorwelle von 1937 reagierte der Irgun tatsächlich mit Gegenterror. Siegman zitiert Morris: „now ‘for the first time, massive bombs were placed in crowded Arab centers, and dozens of people were indiscriminately murdered and maimed.’“ Doch anders als Siegman den Lesern weismachen will, endet der Satz im Original nicht an dieser Stelle, sondern Morris fährt fort: „for the first time more or less matching the numbers of Jews murdered in the Arab pogroms and rioting of 1929 and 1936.”

Siegman verzerrt nicht nur Zitate und unterstellt damit Anderen die eigenen kruden ideologischen Vorstellungen, auch die simple Schilderung historischer Tatsachen bereitet ihm arge Schwierigkeiten. „The Palestinians agreed at the Camp David summit to adjustments to the pre-1967 borders that would allow large numbers of West Bank settlers – about 70 per cent – to remain within the Jewish state, provided they received comparable territory on Israel’s side of the border. Barak rejected this.”

Genau genommen war es ja eigentlich nicht Barak, der diese Kompromisslösung ablehnte, sondern Arafat, der den Verhandlungstisch verließ und im September 2000 einen Terrorkrieg gegen Israel vom Zaun brach, aber seit wann darf die Realität der Ideologie widersprechen?

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