Die USA und der Terrorismus der al-Qaida

Die Liste der Übel, die Stephen Walt und Walter Mearsheimer in ihrer Kampfschrift gegen die „Israel Lobby“ anführen, ist lang. Im Grunde umfasst sie so ziemlich jedes Problem, mit dem die USA im Nahen Osten konfrontiert sind, und stereotyp lautet die Antwort: Die Juden sind unser Ungl…! Verzeihung, so darf man das nicht formulieren: Der Einfluss Israels und seiner Lobby hat dazu geführt, dass die amerikanische Politik dauernd die eigenen nationalen Interessen sabotiert und Amerika wegen der Unterstützung des Judenstaates überall gehasst wird. Das klingt wie eine dummdreiste Verschwörungstheorie, und genau das ist es auch. Erstaunlich ist aber, wie einseitig, verzerrend oder einfach falsch Walt/Mearsheimer bisweilen argumentieren, um diesen Unsinn zu „belegen“.

Nehmen wir z.B. die Bedrohung der USA durch djihadistische Terrorgruppen. Für die beiden Politikwissenschafter ist klar, dass die amerikanische Unterstützung Israels eine der Hauptursachen der Terroranschläge der al-Qaida war. Zwar geben sie zu, dass es auch andere Gründe für den Hass gibt (freilich ohne diese auch nur zu nennen), aber die Kernaussage lautet, dass Israel nicht nur kein hilfreicher Verbündeter im Kampf gegen den Terrorismus sei, sondern ganz im Gegenteil dafür (mit-)verantwortlich zeichnen müsse, dass es antiamerikanischen Terrorismus überhaupt gibt. Nun ist niemand verpflichtet, sich ausführlich mit islamistischem Terrorismus zu beschäftigen, aber man könnte von Wissenschaftern erwarten, dass sie sich zumindest ein wenig mit der Geschichte und Entwicklung eines Phänomens vertraut machen, über das sie schreiben.

Unter anderem hätten sie bei der Lektüre der einschlägigen Publikationen erfahren können, dass der Entschluss zum Angriff auf die USA das Resultat eines Prozesses war, der mit Israel (oder gar den Palästinensern) herzhaft wenig zu tun hatte. Über Jahre hinweg hatten islamistische Gruppierungen im Nahen Osten den Kampf gegen den „nahen Feind“ geführt. Terroristische Anschläge sollten der Machtergreifung der Islamisten in den von ihnen verabscheuten arabischen Diktaturen den Weg bereiten. Als diese blutige Strategie an der Repression der in dieser Hinsicht sehr erfahrenen Regime gescheitert war, fand in Teilen der islamistischen Bewegung eine Neuorientierung statt. Die gewalttätige Machtergreifung, so das Ergebnis dieses Nachdenkprozesses, sei zum Scheitern verurteilt gewesen, weil die arabischen Staaten von den USA unterstützt würden. Erst wenn es gelänge, den „fernen Feind“ zu treffen und von der Unterstützung der ägyptischen, saudischen, jordanischen usw. Herrscher abzubringen, könne der Kampf gegen die arabischen Despoten wieder aufgenommen werden. Daraufhin begann die Serie von Angriffen auf amerikanische Ziele, die mit den Anschlägen vom 11. September ihren schrecklichen Höhepunkt fand. Wohlgemerkt: All das hatte mit der „Unterdrückung“ der Palästinenser oder der amerikanischen Hilfe für Israel nichts zu tun – es ging um die amerikanische Unterstützung arabischer Staaten. Nebenbei bemerkt: In der eben veröffentlichten Videoansprache bin Ladens zum Jahrestag der Anschläge von New York und Washington spricht dieser vom Irak und Afghanistan; von amerikanischer Innenpolitik, dem Holocaust und dem Klimawandel; er zitiert Noam Chomsky und versichert den Amerikanern, dass im Islam das Verbrennen von Lebewesen, selbst von Ameisen, verboten ist – am Jahrestag von 9/11 mit Sicherheit ein großer Trost für die Hinterbliebenen der Opfer, die in den Flammen des World Trade Centers und des Pentagons umkamen. Israel oder die Palästinenser werden von Bin Laden hingegen nicht erwähnt und nur einmal indirekt angesprochen.

Dass bin Laden & Co abgesehen davon eingefleischte Antisemiten und Feinde Israels sind, ist genauso wenig überraschend wie die Tatsache, dass in verschiedenen al-Qaida-Erklärungen scharfe Attacken gegen Israel geritten wurden. Wie Matthias Küntzel eben erst betonte, waren die Mitglieder der Hamburger Zelle der 9/11-Attentäter vom Hass auf Juden beseelt und hofften, möglichst viele Juden zu töten. New York schien ihnen ein geeignetes Ziel zu sein, nicht weil die USA Israel unterstützen, sondern weil Mohammed Atta und seine Mitstreiter überzeugt davon waren, dass die Juden Amerika beherrschen. Die Djihadisten kämpfen nicht gegen Israel, weil sie mit dessen Politik gegenüber den Palästinensern nicht einverstanden sind, sondern weil sie Antisemiten sind. Es kann bezweifelt werden, dass das Buch von Walt und Mearsheimer einen Beitrag dazu leistet, sie und ihre Unterstützer von diesem Wahn abzubringen.

Gänzlich absurd wird es, wenn Walt/Mearsheimer suggerieren, den USA hätten die Terrorangriffe möglicherweise erspart bleiben können, wenn sie nur in der Vergangenheit Druck auf Israel ausgeübt und einen Frieden mit den Palästinensern erzwungen hätten. Einerseits ist es bestürzend, dass zwei amerikanische Universitätsprofessoren zwar selbst Terrorismus mit Sicherheit ablehnen, mit der von ihnen als zentral betrachteten Motivation der Mörder – der Kritik der amerikanischen Unterstützung Israels – aber voll und ganz übereinstimmen. Andererseits entbehrt die Vermutung, 9/11 hätte nicht stattgefunden, wenn z.B. der Oslo-Friedensprozess erfolgreich gewesen wäre, jeglicher Grundlage. Als vor wenigen Monaten die Hamas eine Regierung der nationalen Einheit mit der Fatah einging, erhielt sie umgehend Post von Ayman al-Zawahiri. Die Erklärung der Nr. 2 der al-Qaida enthielt eine erzürnte Warnung an die Hamas, nur ja keinen Zentimeter vom Weg des Djihad bis zum Endsieg gegen Israel abzuweichen. Die Vorstellung, es ginge bin Laden und seinen Mitstreitern um einen Frieden zwischen Israel und den Palästinensern, zeugt von geradezu unglaublicher Inkompetenz. Aber Verschwörungstheoretiker lassen sich in der Regel von einer Realität, die ihren Theorien widerspricht, ohnehin nicht sonderlich beeindrucken. Walt und Mearsheimer sind da wahrlich keine Ausnahme.

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