Genosse Lampe gibt Entwarnung

Die Rebellion von 1968 beschränkte sich in Österreich, einem bekannten Bonmot zufolge, auf eine heiße Viertelstunde. Die engagierten Studenten konnten nur voller Neid auf die Ereignisse in Frankreich und Deutschland blicken. Nichts Vergleichbares fand hierzulande statt. Dennoch gibt es auch in Österreich die Spezies der Alt-Achtundsechziger, und wie ihre ehemaligen kämpferischen Genossen in Paris und Berlin haben einige von ihnen Karriere gemacht. Georg Hoffmann-Ostenhof ist so ein Fall.

Ursprünglich Mitglied des Verbandes Sozialistischer Studenten, kam er über den Umweg der Gruppe Revolutionärer Marxisten (GRM) Ende der siebziger Jahre zur Arbeiterzeitung, dem Parteiorgan der SPÖ. Bei seinem Bewerbungsgespräch danach gefragt, ob er Mitglied „der Partei“ sei, antwortete er in einem seltenen Zeugnis blanken Opportunismus’: „Nein, aber wenn’s notwendig wär’…”

Der Internationalismus, der trotzkistische Gruppen wie die GRM prägte, erwies sich als vorteilhaft, als der Traum von der Weltrevolution ausgeträumt und der Weg ins bürgerliche Erwerbsleben nicht abzuwenden war. GRM-Genosse Raimund Löw etwa konzentrierte sich als Journalist des ORF auf außenpolitische Berichterstattung, war seit 2003 Büroleiter des ORF in Washington und leitet seit diesem Sommer das ORF-Büro in Brüssel. Auch Genosse Hoffmann-Ostenhof profitierte vom Internationalismus früherer Tage und brachte es vom außenpolitischen Redakteur der AZ zum Leiter des Ressorts Außenpolitik bei der Wochenzeitung profil.

Die Kinderkrankheiten des Kommunismus hat „Lampe“ (so sein Kampfname bei der GRM) schon lange überwunden. Vorbei die Zeiten, als ihm in feuchten Träumen der große Vorsitzende Mao erschien, der sich sogleich in eine schöne Asiatin verwandelte, um sich von Hoffmann-Ostenhof „Du bist schön wie eine Kirschblüte im Frühling“ ins Ohr hauchen zu lassen und anschließend öffentlich mit ihm zu kopulieren. (So schildert er es selbst in diesem Buch). Vorbei auch die Illusion, das Proletariat in den Betrieben für die Sache der Revolution gewinnen zu können. Geblieben ist aus jenen bewegten Tagen nur die Feindbestimmung: Über die USA und Israel bringt Hoffmann-Ostenhof noch heute nur in seltenen Ausnahmen Positives zu Papier.

Das Projekt, das er mit seinen wöchentlichen Kommentaren in profil verfolgt, lautet: „Mit Amerika brechen!“, und Mittel zu diesem Zweck ist der Nahostkonflikt. „Europa muss eine eigenständige Nahost-Politik entwickeln. … Es muss ein offener Bruch mit der amerikanischen Weltpolitik vollzogen werden.“ Und so hagelt es Woche für Woche Schuldzuweisungen in Richtung Washington und Jerusalem. Mit all seiner Erfahrung in Sachen Nahostkonflikt kommt er, der immerhin selbst noch die Ehre hatte, Arafat interviewen zu dürfen, zu dem immer gleichen Ergebnis: „Die US-unterstützte israelische Politik radikalisierte erst so recht die Palästinenser und hat mittelfristig jede Perspektive einer Friedenslösung verbaut.”

Wenn die Israelis, wie in diesen Tagen, palästinensische Terroristen freilassen (statt sie zu verhaften), nimmt Hoffmann-Ostenhof das scheinbar uninteressiert zur Kenntnis. Aber es bleibt ja immer noch Widerling Nr.1 – der Kriegstreiber in Washington, der versucht sein könnte, den Iran an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern. Mit großem Interesse verfolgte Genosse Lampe daher in der vergangenen Woche den Auftritt Ahmadinejads in New York. Und siehe da: Er konnte ihm einiges abgewinnen. „Wer hat Angst vor Mahmoud Ahmadinejad?“ lautet der Untertitel seiner aktuellsten journalistischen Glanzleistung (profil 40/2007).

Die „Verbalattacken“ auf die amerikanische Regierung „klangen gar nicht so verrückt“, denn „(ä)hnliche Kritiken schlagen George W. Bush täglich aus den westlichen Medien entgegen“ – etwa jenen, die Hoffmann-Ostenhofs Artikel drucken. Ahmadinejad zeigte sich für „einen im Debattieren nicht sehr geübten Politiker … recht schlagfertig.“ Zustimmung hätte er „nicht nur zu seiner Sicht des Irak-Kriegs und der Rolle der USA im nahen Osten“ gewinnen können, nein, auch die „persischen Nuklear-Ambitionen, die er als absolut friedlich präsentierte, hätte für so manchen glaubwürdig wirken können“. Kurz: der schlagfertige Iraner „hätte in New York punkten können.“ Doch dann kam die Behauptung, im Iran gäbe es keine Homosexuellen. „Ahmadinejad hatte sich vor der Weltöffentlichkeit lächerlich gemacht.“

Noch einmal zum Mitschreiben: Da kommt ein von apokalyptischem Märtyrerglauben geprägter Islamist, der die USA als „großen Satan“ betrachtet und seine Zuhörerschaft in Teheran in der Regel die Parole „Tod den USA“ anstimmen lässt, und bekommt von einem österreichischen Spitzenjournalisten bescheinigt, seine Sichtweise der Konflikte im Nahen Osten sei gar nicht so verrückt? Bei wem, so muss man sich Fragen, hätte Ahmadinejad eigentlich Zustimmung gewinnen sollen? Die Amerikaner, deren Soldaten im Irak mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Iran tagtäglich von islamischen und anderen Faschisten attackiert werden, hatte Hoffman-Ostenhof vermutlich nicht im Sinne; er dachte wohl eher an die Despoten aus aller Welt, die zur UN-Generalversammlung nach New York angereist waren, und die organischen Intellektuellen des Israel- und Amerikahasses, die die Redaktionen europäischer Zeitschriften bevölkern. Lächerlich machte sich Ahmadinejad auch nicht etwa, als er den vollkommen friedlichen Charakter jenes Entwicklungsprogramms betonte, das nach Ansicht jedes auch nur halbwegs klar denkenden Menschen auf die Entwicklung von Atomwaffen abzielt. Nein, erst als er den Iran zum schwulenfreien Land erklärte, war die Glaubwürdigkeit dahin.

Na ja, ganz eigentlich immer noch nicht: „Auch Ahmadinejads wiederholte rhetorische Frage, warum die Palästinenser für die vergangenen Verbrechen Europas an den Juden nun büßen müssen, wäre nicht von vornherein als absurd abzutun“ – schon allein deshalb nicht, weil Hoffman-Ostenhof die „rhetorische Frage“ auch im Nachhinein nicht für absurd hält –, „hätte er sich nicht wieder einmal als hartnäckiger Antisemit entpuppt.“ Den Holocaust leugnen, das geht nicht. Damit hat „der Mann aus Teheran mit den stechenden Augen“ bestätigt: Ahmadinejad „ist ein wirklich schlimmer Finger.“

Der schulmeisterlich-ironische Tonfall verweist schon darauf, dass dem geschärften Blick des Außenpolitikexperten etwas aufgefallen ist: Obwohl ein hartnäckiger Antisemit an Atombomben bastelt, gibt es überhaupt keinen Grund, auf eine „Fraktion der amerikanischen Öffentlichkeit“ hereinzufallen, die uns nur Angst machen und in den nächsten Krieg treiben will. Denn zum einen fielen „die antiisraelischen und antizionistischen Tiraden“ (sic!) Ahmadinejads im Iran auf wenig fruchtbaren Boden. Zum anderen habe der iranische Präsident in Wahrheit „nicht allzu viel zu melden.“ Das mag stimmen und wird von vernünftigeren Kritikern des iranischen Regimes auch immer wieder betont. Es wäre vollkommen falsch, sich nur auf die Person Ahmadinejad zu konzentrieren, um die vom Iran ausgehende Bedrohung zu analysieren. Auch mag Hoffmann-Ostenhof Recht haben, wenn er betont, dass Ahmadinejad innenpolitisch nicht unumstritten ist. Er verschweigt aber vornehm, wofür die Konkurrenten des Präsidenten innerhalb des Regimes stehen. Mit gutem Grund, denn zu erklären, warum ausgerechnet die Tatsache beruhigend wirken soll, dass Ahmadinejad bei weitem nicht der einzige Irre in der iranischen Führung ist, könnte durchaus umständlich werden.

Hoffman-Ostenhof gibt zu, dass der Iran „nicht völlig ungefährlich“ ist, mehr aber auch nicht. Zwar unterstützt dieser Hisbollah und Hamas, „mischt sicher auch im irakischen Chaos mit und will in der Region seine Position stärken.“ Auch „soll man nicht ausschließen“ – hört, hört! – „dass die iranische Führung, trotz gegenteiliger Beteuerungen, die Bombe bauen will.“ Aber erstens könne sie darüber erst in frühestens fünf Jahren verfügen – das „wissen die Fachleute“ –, und zweitens würde sie sie nicht einsetzen – das weiß Hoffman-Ostenhof. Genauer gesagt: Er weiß es nicht, aber er hält es, „trotz aller Verrücktheit der Teheraner Theokraten, (für) höchst unwahrscheinlich.“ Soll heißen: Der Buchmacher von der Außenpolitikabteilung des profil wettet dagegen, dass die iranische Führung ernst meint, was sie sagt. Klar, er kann die Wette verlieren, aber das gehört nun einmal zum Wettgeschäft. (Mehr zu dieser Form der Wahrscheinlichkeitsrechnung ist hier zu finden.) Keine Sekunde lang scheint ihn der Gedanke zu beschleichen, dass der Iran die Bombe, so er sie einmal hat, gar nicht einzusetzen braucht, und dennoch verheerende Entwicklungen verursachen kann.

„Das letzte Mal, dass Persien einen Angriffskrieg startete, war im Jahre 1736.“ Diese „Erkenntnis der Historiker (sei) bedenkenswert“. Genauso bedenkenswert wäre, dass der Iran seit der islamischen Revolution weltweit Terroranschläge selbst durchführte oder zumindest in Auftrag gab, in so ziemlich jedem Land im Nahen Osten Umsturzversuche angezettelt hat (Saudi Arabien, Kuwait, Bahrain, Libanon etc. ), die Vernichtung Israels nicht nur propagiert, sondern auch tatkräftig befördert und seit fast dreißig Jahren die eigene Bevölkerung terrorisiert, aber das fällt für Hoffman-Ostenhof vermutlich unter die Rubrik „Propaganda der ‚amerikanischen Neokonservativen’“.

Ahmadinejad, so schließt die brillante Analyse, „zum großen Verderber der Welt aufzublasen, ist Hysterie. Oder ein gemeingefährlicher, gezielter und zynischer Versuch, die Menschen auf einen neuen Krieg einzustimmen.“ Die Begriffe „gemeingefährlich“ und „zynisch“ sind mir auch durch den Kopf gegangen, allerdings in einem etwas anderen Sinn.

Comments are closed.