Natürlich kein Antisemit

Dem Campus-Verlag ist mit Walts/Mearsheimers „Die Israel Lobby“ ein wahrer Knüller gelungen. Dabei geht es mir weder um den kommerziellen Erfolg, den das Buch mit Sicherheit darstellt, noch um das antisemitische Cover, mit dem die deutsche Ausgabe der Kampfschrift versehen wurde. Nein, Campus hat sich etwas geleistet, das für einen Verlag mit wissenschaftlichem Renommee einzigartig und bislang in den vielen Rezensionen völlig unerwähnt geblieben ist: Er hat schlicht und ergreifend sämtliche Verweise, mit denen Walt/Mearsheimer sich den Anschein von wissenschaftlicher Genauigkeit geben wollen, nicht abgedruckt. Sie haben richtig gelesen: Über 1300 Fußnoten finden sich im Text, doch wer auch nur eine Angabe überprüfen will, muss sich erst den gesamten Anmerkungsapparat von der Homepage des Verlags herunterladen.

Über die Gründe für diese Vorgehensweise kann ich nur spekulieren. Vermutlich ging der Verlag davon aus, dass der Großteil der Leser ohnehin keine Belege zur Untermauerung seiner Ressentiments braucht – und damit dürfte er nicht einmal falsch liegen. Schade ist es trotzdem, weil dadurch so manch versteckte Perle nicht ausreichend gewürdigt wird.

Nehmen wir z.B. den Vorwurf des Antisemitismus. Walt/Mearsheimer wehren sich vehement dagegen, antisemitische Klischees zu verbreiten. Wie wehren sie sich? Ganz einfach: Sie sagen, sie sind keine Antisemiten. Das muss genügen. Der Vorwurf selbst wird von ihnen als gefährlichstes Einschüchterungsmittel der Lobby betrachtet, die damit jede unbefangene Diskussion über Israel zu verhindern suche. So habe die Lobby dafür gesorgt, dass 1995 Richard Marius, ein Redenschreiber Al Gores, gefeuert wurde. Im Buch ist zu lesen: „Der Grund war, dass der Herausgeber der New Republic, Martin Peretz, … fälschlicherweise behauptete, Marius sei ein Antisemit – wegen einer Buchrezension, die er 1992 im Harvard Magazine veröffentlicht hatte.“

Um diese Geschichte auflösen zu können, muss man schon in die (im Buch eben nicht enthaltene) Fußnote schauen. Darin heißt es: „Marius war natürlich kein Antisemit. In der betreffenden Rezension hatte er lediglich geschrieben: ‚Die Schilderung der Brutalität von Schin Bet, der israelischen Geheimpolizei, ähnelt auf unheimliche Weise den Geschichten über die Gestapo … in von den Nazis besetzten Gebieten während des Zweiten Weltkrieges.“ [Hrvg. von mir, F.M.]

Wahrlich ein Skandal, denn wo kommen wir hin, wenn man nicht einmal Israelis als Nazis bezeichnen kann, ohne gleich als Antisemit verschrien zu werden?

Comments are closed.