Nicht einmal ignorieren?

Auf seinem Weblog beantwortet Daniel Pipes die Frage, warum er Anfragen diverser Zeitungsredaktionen nicht nachkommen wollte, die ihn um seinen Kommentar zur Veröffentlichung des Buches „Die Israel Lobby“ von Stephen Walt und Walter Mearsheimer gebeten hatten. Erstens hätten bereits viele qualifizierte Personen die Thesen der beiden Politikwissenschafter zurückgewiesen und auf die groben Fehler des Buches hingewiesen. Zweitens bevorzuge er es, seine eigenen Gedanken öffentlich zu vertreten, anstatt auf Positionen anderer zu reagieren. Drittens, und dieser Punkt wird wohl jedem einleuchten, der sich tatsächlich die Mühe gemacht hat, das Buch zu lesen, sei das Leben zu kurz, um sich im Detail mit einem derart langweiligen, tendenziösen und unzutreffenden Text zu beschäftigen.

Darüber hinaus formuliert Pipes aber auch einen grundsätzlichen Einwand: Er halte jede Stellungnahme für einen schweren taktischen Fehler. Bei den Thesen Walts/Mearsheimers habe es sich ursprünglich um einen obskuren Text zweier obskurer Wissenschafter in einer obskuren Zeitschrift gehandelt, der längst in Vergessenheit geraten wäre, wenn er nicht so vehemente Kritik geerntet hätte. Diese Einschätzung basiere auf Pipes’ Erfahrungen mit der von ihm gegründeten Website Campus Watch, die erst durch die panischen Reaktionen jener Wissenschafter Einfluss gewonnen habe, die eine kritische Bewertung ihrer (teils skandalösen) Arbeit an amerikanischen Universitäten als Einschränkung der Meinungsfreiheit denunzierten. Kurz: Erst der Protest gegen Pipes und die von ihm initiierten Projekte habe ihnen Bedeutung verschafft. „Not wanting to help the already gigantic Mearsheimer-Walt publicity bandwagon, I gently decline invitations to comment on their book.”

In die gleiche Kerbe schlägt Henryk M. Broder: „Der Hype kommt, der Hype geht, und zurück bleibt die Frage: Wars das? Und war es die Aufregung wert?“ Nein, so lautet die Antwort Broders. „Was man aus dem Hype um M&W lernen kann, ist dies: Abwarten ist besser als Abwatschen. In neun von zehn Fällen löst sich das Problem von allein“. Neben dieser Einschätzung, formuliert auch Broder einen grundsätzlichen Einwand gegen die Auseinandersetzung mit Walts/Mearsheimers Buch. „Und was vor allem Juden begreifen sollten: Dementis sind erstens nutzlos, zweitens kontraproduktiv.“ Niemand solle demnach versuchen, die Ansichten jener zu widerlegen, die von der gefährlichen Macht einer sinistren, pro-israelischen Lobby überzeugt sind. „Im Gegenteil. Je mehr Menschen davon überzeugt sind, dass die Juden bzw. die Zionisten hinter allem stecken, das in der Welt passiert, umso besser für die Juden. … Man muss die Antisemiten in ihrem Glauben verstärken, dass die Juden die heimlichen Herrscher der Welt sind.“

Der grundlegende Einwand von Daniel Pipes scheint mir in Bezug auf die amerikanischen Diskussionen nicht unberechtigt zu sein. In der US-amerikanischen Bevölkerung gibt es, wie alle diesbezüglichen Meinungsumfragen beweisen, seit Jahrzehnten große Sympathien für Israel, während umgekehrt pro-palästinensische Positionen deutlich in der Minderheit sind. Dies reflektiert sich unter anderem darin, dass Politiker beider großer Parteien, Demokraten wie Republikaner, in der Regel pro-israelische Positionen vertreten. Sehr zum Leidwesen von Walt/Mearsheimer: In deren Weltbild hat der Gedanke keinen Platz, dass pro-israelische Politiker gewählt werden, nicht weil eine finstere Verschwörung am Werk ist, sondern weil dies dem Willen der Wähler entspricht. Darüber hinaus findet die öffentliche Diskussion in einem Land statt, in dem Lobbyarbeit ganz selbstverständlicher Teil des politischen Geschehens ist und nicht schon der Begriff Lobby ausreicht, um Assoziationen an konspirative Umtriebe zu wecken.

Anders sieht die Lage freilich in Europa aus: Hier kann von einer mehrheitlich pro-israelischen Grundstimmung keine Rede sein – Walt/Mearsheimer nehmen diesen Unterscheid genau zur Kenntnis, wenn sie sich erfreut darüber zeigen, dass die europäische Politik in keinem vergleichbaren Ausmaß den Machenschaften „der“ Lobby unterworfen ist. Deshalb stößt das Buch hier auch auf ganz andere Reaktionen: Den Journalisten und Intellektuellen des alten Europa braucht niemand erst zu erklären, dass die Zionisten und ihre Unterstützer an allen Problemen im Nahen Osten schuld sind – das schreiben sie selbst seit geraumer Zeit.

Deshalb ist der Einwand Broders, man hätte Walts/Mearsheimers Buch nicht einmal ignorieren, vor allem aber nicht dagegen argumentieren sollen, äußerst problematisch. Zwar ist unzweifelhaft richtig, dass es kaum Sinn hat, mit den (selbst verständlich niemals antisemitischen) „Israelkritikern“ zu diskutieren. Für sie bestätigt die „Israel Lobby“ nur, wovon sie ohnehin überzeugt sind. Doch darum geht es nicht. Die Argumentation des Buches muss zerlegt und die darin enthaltenen Fehler, Verdrehungen und unhaltbaren Behauptungen müssen aufgezeigt werden, schon allein um in der öffentlichen Diskussion einen gewissen Mindeststandard aufrecht zu erhalten. Niemand wird einen der üblichen Verdächtigen daran hindern, den zwei „hoch angesehenen Wissenschaftern“ eine „eindrückliche Darstellung“ zu attestieren, und ihre „detaillierte“ und „gewissenhafte“ Analyse zu loben (profil 42/07). Auch wird niemand einen Anderen im Bunde daran hindern, dass Buch als „faktenreiche Studie, sachlich im Ton“ zu charakterisieren, die mittels einer „Fülle von beeindruckendem Material“ beweist, „was ohnehin jeder, der sich mit der Sache beschäftigt hat, heute weiß.“ (taz, 04.09.2007) Man muss aber sehr wohl den Lesern dieses Quatsches die Möglichkeit bieten, sich die Lächerlichkeit dieser Behauptungen vor Augen führen zu können; man muss, selbst wenn es mühsam ist und keinen Spaß macht, zeigen, dass kaum ein Fakt der „faktenreichen Studie“ stimmt, und als „sachlich im Ton“ sie wohl nur jemand bezeichnen kann, der intellektuell ähnlich unredlich ist wie die Autoren selbst.

Broder meint, in neun von zehn Fällen erledigten sich derartig medial aufgebauschte Debatten schnell von allein, weswegen man daran gar nicht teilnehmen sollte. Kaum jemand interessiere sich heute noch für Ted Honderich, und auch der Hype um Eva Hermanns Rauswurf bei Kerner dürfte von überschaubarer Dauer sein. Doch er irrt, wenn er die Diskussion über Walt/Mearsheimer mit diesen „Affären“ auf eine Stufe stellt. Der Streit ist Teil einer Debatte, an der sich entscheidet, ob Parteinahme für Israel und Kampf gegen Antisemitismus in Zukunft unter Hinweis auf die „Israellobby“ als abscheuliche Delikte betrachtet werden, die moralisch nur knapp unter Hochverrat anzusiedeln sind, oder ob sich derjenige diskreditiert, der sich zur Diffamierung jeglicher positiver Bezugnahme auf Israel der Protokolle der Weisen vom Campus (Lizas Welt über Walt/Mearsheimer) bedient.

Zugegeben, vielen der Fans der beiden Autoren ist in Wahrheit vollkommen egal, wie viele Fehler, Verzerrungen und reine Absurditäten im Buch belegt werden können, und doch geht kein Weg daran vorbei, genau diesen Nachweis zu erbringen. Wer von der Wahrheit der Protokolle der Weisen von Zion überzeugt ist, wird sich nicht davon beeinflussen lassen, dass es sich um eine offenkundige Fälschung handelt. Und trotzdem kann man weder behaupten, dass es ein Fehler war, diese Tatsache auch detailliert zu beweisen, noch sollte man ernsthaft glauben, die Welt würde für Juden und Jüdinnen heute besser aussehen, wenn noch viel mehr Menschen an die Echtheit der Protokolle glaubten.

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