Geldregen und Zynismus

Passend zur Vorweihnachtszeit, in der allerorts Spenden für sozial benachteiligte oder sonstwie beeinträchtigte Menschen gesammelt werden, fand gestern ein Spendenmarathon der anderen Art statt. In Paris tagte die Geberkonferenz zur Unterstützung der „moderaten“ Kräfte der Palästinenser im Westjordanland. Der von Mahmud Abbas eingesetzte Premierminister Salam Fayad hatte im Vorfeld um großzügige Spenden gebeten. 5,6 Milliarden Dollar seien vonnöten, um eine „Katastrophe“ in den palästinensischen Gebieten abzuwehren. Sein Flehen wurde mehr als erhört. In den nächsten drei Jahren sollen 7,4 Milliarden Dollar an Unterstützungsgeldern fließen. Die anwesenden Delegationen aus rund 70 Staaten und 20 internationalen Organisationen waren sich in einem Punkt einig: Nur durch diese großzügigen Spenden sei die Grundlage für einen möglichen Frieden in Nahost zu sichern. Die Realität sieht freilich anders aus. Gesichert wird, dass für den Krieg gegen Israel auch in den kommenden Jahren genügend Ressourcen zur Verfügung stehen.

Schon bisher waren die Palästinenser diejenige Gruppe, die pro Kopf weltweit am meisten internationale Unterstützung erhielt. Dieser Trend wird nun noch weiter verstärkt. Geht man von einer Bevölkerungszahl von rund 2 Millionen im Westjordanland aus, bedeuten die in Paris gegebenen Versprechen, dass jedem einzelnen Palästinenser umgerechnet über 1200 Dollar per anno zugesagt wurden – etwas weniger also, als der jährliche Durchschnittsverdienst etwa eines Ägypters beträgt. Um diese enormen finanziellen Zuwendungen zu begründen, verweist der Standard auf einen Bericht der Weltbank, demzufolge das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den palästinensischen Gebieten heute um 40 Prozent unter dem Wert des Jahres 1999 liegt. Der Schuldige für diese Verschlechterung ist leicht zu identifizieren. Der Präsident der Weltbank „machte dafür auch die 550 Straßensperren und Behinderungen durch die Israelis verantwortlich … Auch sonst wurde die israelische Politik kritisiert.“

Alles beim Alten also im Nahen Osten: Die armen, unterdrückten Palästinenser leiden unter der Last der israelischen Besatzung, deren Würgegriff ihnen wirtschaftlichen Fortschritt und ein besseres Leben verunmöglicht – so lautet das einhellige Urteil, das die internationale Gemeinschaft gefällt hat. Lassen wir für einen Augenblick die palästinensische Propaganda beiseite und werfen wir einen Blick auf die Fakten.

Zwischen der israelischen Staatsgründung und dem Sechstagekrieg stand der Gazastreifen unter ägyptischer Herrschaft, während das Westjordanland von Jordanien annektiert war. Keiner dieser beiden Staaten unternahm nennenswerte Anstrengungen, um die Lebensverhältnisse der Palästinenser zu verbessern. Auch wenn es dem common wisdom widerspricht und gar nicht gern gesehen wird, bleibt das Faktum bestehen, dass nach 1967 ein enormer wirtschaftlicher und sozialer Aufstieg der Palästinenser begann, der zu einem nicht geringen Teil auf Maßnahmen ebenjener israelischen Besatzung zurückzuführen ist, die allgemein zur Ursache des palästinensischen Elends erklärt wird. (Der Historiker Efraim Karsh hat diesbezüglich aussagekräftiges Datenmaterial zusammengetragen.)

Die wirtschaftliche Entwicklung in den palästinensischen Gebieten hat seitdem zwei große Rückschläge erlitten – und für beide hat niemand anderer die Verantwortung zu tragen, als die palästinensische Führung selbst. Nachdem Saddam Husseins Armee Anfang August 1990 Kuwait besetzt hatte, erkannten selbst die intransigentesten Diktatoren der Region die Zeichen der Zeit und stellten sich an die Seite der von den USA geführten internationalen Koalition zur Befreiung des Landes. Die palästinensische Führung unter Arafat verkündete hingegen ihre Solidarität mit dem Massenmörder aus Bagdad; sehr zum Missfallen der ölreichen Staaten am Persischen Golf, die den Irak als schwerwiegende Bedrohung empfanden, ihre finanzielle Unterstützung der PLO einstellten und prompt zehntausende palästinensische Gastarbeiter auswiesen, die mit ihren vergleichsweise hohen Löhnen bislang ihre Familien in den besetzten Gebieten ernährt hatten.

Weitaus verhängnisvoller war freilich eine andere Entscheidung Arafats. Anstatt in den Verhandlungen von Camp David die weitreichenden israelischen Kompromissvorschläge zu akzeptieren, Frieden mit Israel zu schließen und einen palästinensischen Staat zu gründen, brach Arafat im Herbst 2000 einen fälschlicherweise oft als „zweite Intifada“ bezeichneten Terrorkrieg vom Zaun. Die weitgehende Wiederbesetzung derjenigen Gebiete des Westjordanlandes, die als Teil des „Friedensprozesses“ der Kontrolle der PA übergeben worden waren, und die Errichtung des Sicherheitszaunes sowie etlicher Kontrollposten waren direkte Folgen der verheerenden palästinensischen Terroranschläge, denen in Israel über 1100 Menschen zum Opfer gefallen sind. (Nur zum Vergleich: Auf ein Land mit einer Bevölkerungsgröße der USA umgerechnet hieße das, dass in knapp sieben Jahren über 500.000 Menschen bei Terroranschlägen getötet worden wären.)

Es besteht kein Zweifel daran, dass die israelischen Sicherheitsmaßnahmen für die Palästinenser gravierende wirtschaftliche Folgen nach sich zogen. Dennoch ist es blanker Zynismus, wenn nun in Paris die Rede davon ist, Israel sei für die wirtschaftlichen Nöte in den palästinensischen Gebieten verantwortlich. Der palästinensischen Propaganda ist es gelungen, in den Augen der Weltöffentlichkeit die Rollen des Aggressors und des Opfers der Aggression zu vertauschen. Außenministerin Plassnik: „Für einen spürbaren Fortschritt in Richtung Frieden und palästinensische Staatlichkeit sind ein Stopp des Siedlungsbaus, des Mauerbaus und der Militäraktionen in der Westbank und im Gaza-Streifen dringend notwendig.“ Vertreter palästinensischer Terrorgruppen beklagen sich öffentlich darüber, dass es ihnen aufgrund des Sicherheitszaunes nicht mehr gelingt, Selbstmordattentäter nach Israel einzuschleusen. Plassnik fordert dagegen ein Ende des „Mauerbaus“. Zwischen November 2001 und November 2007 wurden aus dem Gazastreifen 2383 Raketen abgefeuert, die in Israel einschlugen, dazu noch mehr als 2500 Granatwerfergeschosse. Die Bewohner der israelischen Stadt Sderot an der Grenze zum Gazastreifen haben momentan nach dem Ertönen der Warnsirenen eine Vorwarnzeit von zehn bis fünfzehn Sekunden, um in Bunkern Schutz zu suchen. Dann schlagen die Raketen und Granaten ein – allein heute wieder mehr als zehn. Für den „Frieden“ entscheidend ist Plassnik und der internationalen Gemeinschaft zufolge aber nicht, diesem beständigen Beschuss ein Ende zu setzen, sondern dass Israel die Selbstverteidigung gegen palästinensischen Terrorismus einstellt.

Comments are closed.