Eine moralische Supermacht schlägt zu

Francesca Habsburg bemängelt in einem Kommentar im Standard vom 1.4.2008: „China ist traurigerweise eine Supermacht in allen Bereichen – außer moralisch“, und da sie sich offenbar selbst dazu berufen fühlt, diese Leerstelle zu füllen, zieht sie ordentlich vom Leder.

Die Preisfrage dabei lautet: Wann darf man unwidersprochen im Standard von „Umvolkung“ schreiben? Klarerweise wenn es um die schon von den Nazis als Ursprungsort der Arier halluzinierte Berglandschaft geht, um Tibet. Andreas Mölzer könnte neidisch werden. War in den 90er Jahren dessen Spruch von der drohenden „Umvolkung“ ein Skandal und war man sich über dessen Impliktionen zumindest in linksliberalen Kreisen bewußt, so geht diese Rede heute im Zeichen der Tibetsolidarität ohne Probleme durch. Die gelbe Mütze, die sich offenbar hervorragend mit braunem Gedankengut verträgt, ermöglicht, über dasselbe drapiert, die Zustimmung eines breiten Publikums. Von der Angst vor der „Umvolkung“ ist es dann auch nur ein kleiner Schritt hin zum „Genozid“, der in Tibet vor sich gehen soll. Sowohl von einem „kulturellen“ (da hat China doch glatt Tibet an das Eisenbahnnetz angeschlossen – ein Skandal), als auch einem „tatsächlichen“, wie Habsburg aus dem Munde des Lamas weiß. Aus welchen Quellen wiederum seine Heiligkeit, der Freund eines SS-Bergsteigers, eines KZ-Arztes, eines esoterischen Faschisten und eines Giftgasgurus diese Einsicht hat, wird wohl ein buddhistisches Geheimnis bleiben, für Habsburg reicht das aber aus, um ihren Schlachtruf: „Tibet den Tibetern! Weg mit den ´unerwünschten´ Immigranten!“ zu formulieren.

Das Bild eines harmonischen, ursprünglichen vormodernen Tibets, einer einzigen großen buddhistischen Selbsterfahrungs- und Wohlfühlgruppe, hat zwar nichts mit der historischen Wirklichkeit zu tun – die war eher von banalen Dingen wie Leibeigenschaft, Kämpfen zwischen verschiedenen Sekten, einer hohen Analphabetenquote und nicht zuletzt einer theokratischen Herrschaft geprägt – , es befriedigt aber offenbar ein regressives Bedürfnis beim Publikum. In diesem Bild sind alle Probleme aus China importiert und folgerichtig ist es dann auch die Eisenbahn, die ins Zentrum von Habsburgs Attacke rückt. Einerseits kommen mit ihr besagte „unerwünschte(n) Han-Immigranten“ ins Land, während andererseits auf der Rückfahrt wertvollen Rohstoffe aus Tibet entführt würden, die dann der (unter der Lamaherrschaft natürlich voll entwickelten und blühenden) Industrie fehlen.

So richtig schön verschwörungstheoretisch ist dann auch noch die Geschichte vom britischen Geheimdienst, die Habsburg zu berichten weiß: Der habe via Satellit chinesiche Soldaten beobachtet, die sich als Mönche verkleideten, um dann Unruhen anzuzetteln. Habsburg gibt zwar zu, dass es sich dabei um „unbestätigte Berichte“ handelt, denen der Geheimdienst nachgehe, nichtsdetsotrotz scheint ihr zufolge Chinas einziges Ziel zu sein, Unruhe in Tibet zu stiften.

Andere Berichte über die Ausschreitungen der letzten Zeit, etwa jener in bereits zuvor im Standard veröffentlichte Kommentar von Jens Berger, werden nicht erwähnt. Dem drängt sich bei den Berichten über die Ausschreitungen unwillkürlich die Frage auf, „warum in den Medien nie das Wort Pogrom zu hören ist.“ Schließlich dürfe man nicht die „chinesischen Menschen in Lhasa vergessen, die vom aufgebrachten Mob umgebracht wurden“.

Das ficht die moralische Großmacht Habsburg nicht an. Leid kann einem da wirklich nur Martin Luther King tun, der von Habsburg zitiert wird. Was sagte er wohl, wüßte er, daß sein Name in einem Kommentar gebraucht findet, in dem „Umvolkung“ als Gefahr ausgemacht wird?

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