Chris Pattens Visionen

In der Presse kommentiert Chris Patten Tony Blairs „Vision für eine dauerhafte Palästina-Lösung“. Patten war einst EU-Außenkommissar und ist nunmehr einer der Vorsitzenden der International Crisis Group – mehr biografische Angaben braucht man eigentlich nicht zu kennen, um zu wissen, wie er sich eine „dauerhafte Palästina-Lösung“ vorstellt: Europa und die USA müssten mehr Druck ausüben und die Konfliktparteien „mit Zerren und Ziehen … in eine erfolgreiche Verhandlung drängen.“ An wem gezerrt und gezogen werden müsse? Drei Mal dürfen Sie raten…

Pattens Beitrag ist ein Glanzbeispiel dessen, was man als die europäische Ideologie in Sachen Nahostkonflikt bezeichnen könnte: Das Scheitern bisheriger Friedensbemühungen wird Israel angelastet, Kritik an der palästinensischen Seite gibt es nicht, und überhaupt sei alles zwecklos, solange der Westen weiterhin versuche, die Hamas zu isolieren. Einige Kostproben gefällig?

„Während der langen Jahre dieser blutigen Tragödie haben wir versucht, uns Zentimeter um Zentimeter auf unserem Weg zu einer Regelung vorwärts zu bewegen. Entweder durch vertrauensbildende Maßnahmen oder, im Fall der seit langem gestorbenen ‚Roadmap’, indem wir beide Seiten dazu angehalten haben, parallel Schritte in die Richtung eines Abkommens zu unternehmen.“ Das klingt sehr aufrichtig und engagiert, ist aber leider nicht wahr. Phase 1 der Roadmap beinhaltete auf palästinensischer Seite drei Punkte: Anerkennung des Existenzrechts Israels, demokratische Reformen der palästinensischen Institutionen sowie eine bedingungslose Ablehnung von Gewalt und die Verpflichtung, aktiv gegen Terrororganisationen vorzugehen. Die internationale Gemeinschaft betrachtete die Zustimmung der palästinensischen Führung zu diesen Forderungen bereits als so große Leistung, dass sie es der Autonomiebehörde wirklich nicht zumuten konnte, auch tatsächlich Schritte zu ihrer Umsetzung unternehmen zu müssen. Weder wurde das durch und durch korrupte palästinensische Institutionengefüge reformiert, noch wurden die Palästinenser „dazu angehalten“, gegen die Terroristen vorzugehen, die im übrigen von Arafat höchstselbst befehligt wurden.

Darüber spricht Patten aber nicht, sondern konzentriert sich lieber auf jenen Punkt der Roadmap, an dem er Israel Vorwürfe machen kann. „Es kann keinen palästinensischen Staat geben, ohne dass man sich mit den Siedlungen im Westjordanland befasst. Wer mir nicht glaubt, sollte einfach ins Westjordanland fahren und sich ansehen, wie z.B. der von Israel geplante vorstädtische Ausbau Ost-Jerusalems genau durch das Herz des palästinensischen Gebiets in Richtung Rotes Meer sticht.“ Sich mit den Siedlungen „zu befassen“ dürfte eine etwas gemilderte Ausdrucksweise für die übliche Behauptung sein, dass im Sinne eines Friedens die Westbank judenrein gemacht werden müsse. Während über eine Million Araber in Israel leben und dies selten als unüberwindbares Hindernis für eine Friedenslösung dargestellt wird, könne sich die Lage der allgemeinen Auffassung zufolge erst beruhigen, wenn auch noch der letzte Israeli aus dem Westjordanland verschwunden wäre. (Soviel zur „Doppelmoral“, auf die Patten an anderer Stelle hinweist.) Dass es auch im Gazastreifen Siedlungen gab und diese ausnahmslos geräumt wurden, findet freilich keine Erwähnung, denn dann müsste man ja auch darauf eingehen, was dort seit dem israelischen Abzug passiert ist. (Nebenbei bemerkt: Ob der Siedlungsbau „durch das Herz der palästinensischen Gebiete sticht“, wie Patten dies nennt, sei dahingestellt, das Rote Meer allerdings ist, wie ein Blick in jeden Schulatlas mühelos zeigen würde, woanders. An diesem Quatsch dürfte die Übersetzung schuld sein, denn im englischen Original stimmt zumindest die Geografie – hier ist vom Toten Meer die Rede.)

“Wie kann ein Staat lebensfähig sein, wenn er von Zäunen, Militärstraßen und Stacheldraht zerstückelt wird?“, fragt Patten, ohne auch nur ansatzweise zu erläutern, warum diese Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden mussten. Es ist immer wieder die gleiche Masche: Patten sorgt sich um die „Lebensfähigkeit“ eines palästinensischen Staates und „vergißt“ bloß zu erwähnen, dass dies unter den gegebenen Umständen das normale Leben in Israel zum Horror machen würde, weil die Israelis zu Hunderten durch menschliche Bomben in Bussen, Lokalen oder Diskotheken zerfetzt würden.

„Ein palästinensischer Staat sollte die Grenzen von 1967 haben (mit Anpassungen aufgrund von Verhandlungen). … Jassir Arafat und Ehud Barak hatten dies vor acht Jahren in Camp David beinahe auch geschafft.“ Beinahe, denn im entscheidenden Moment hat Arafat die Verhandlungen platzen lassen und einen Terrorkrieg gegen Israel initiiert. Das lässt Patten aber wieder elegant beiseite. Sonst müsste er nämlich erklären, warum Arafat einen Krieg begann, der angeblich genau das zum Ziel haben sollte, was ihm gerade auf dem Verhandlungstisch angeboten worden war.

Die Forderung nach einer Rückkehr zu den Grenzen von 1967 bleibt darüber hinaus seltsam, solange nicht über die dafür notwendige Bedingung gesprochen wird. Der Sechstagekrieg war das Resultat des Versuchs der arabischen Staaten, Israel zu zerstören. Eine Rückkehr zum status quo ante hätte also nur Sinn, wenn die arabische Welt endlich zu einem Frieden bereit wäre. Solange die Achse Iran-Syrien-Hisbollah-Hamas alles ihr Mögliche tut, um Frieden zu verhindern, wäre eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 nichts anderes als die Vorbereitung des nächsten Krieges.

„Versuche, die Hamas – politisch oder physisch – zu zerstören, haben bislang nicht funktioniert und können auch nicht funktionieren.“ Physische Zerstörung der Hamas? Habe ich was verpasst? Hat Israel das Hauptquartier der Hamas in Damaskus mitsamt ihrer auswärtigen Führungsspitze in die Luft gejagt? Hat die israelische Armee den Gazastreifen wiederbesetzt und dort die Infrastruktur des Terrors zerstört? Und politische Zerstörung der Hamas? Sind deren „Minister“ nicht in mehreren europäischen Ländern begrüßt worden? Wurde die „Regierung der nationalen Einheit“ zwischen Fatah und Hamas nicht von vielen als Fortschritt gefeiert? Sind nicht weiter Millionenbeträge westlicher Hilfsgelder in den Gazastreifen geflossen, selbst nachdem die Hamas damit begonnen hat, ihre innerpalästinensischen Konkurrenten von Hausdächern zu schmeißen?

Blairs „größter Erfolg war das Friedensabkommen in Nordirland. Dieser historische Triumph beruhte auf der Einbeziehung von … Anführern der irisch-republikanischen Bewegung, die in vielen Fällen nicht von der IRA zu unterscheiden war, welche Zivilisten mit Bombenanschlägen terrorisierte, erschoss und verstümmelte, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Warum sollte das, was in Nordirland funktioniert hat … im Nahen Osten undenkbar sein.“ Die IRA hatte aber erstens nie das Ziel, das britische Königreich zu vernichten – was den Vergleich schon sehr zweifelhaft macht –, und zweitens war an ein Friedensabkommen erst zu denken, nachdem die IRA aufgehört hatte, Zivilisten mit Bombenanschlägen zu terrorisieren, zu erschießen und zu verstümmeln. Nichts anderes forderte die internationale Gemeinschaft übrigens von der Hamas in dem von Patten kritisierten Versuch, sie „politisch zu vernichten“. „Könnte man uns im Westen wieder einmal der Doppelmoral bezichtigen?“ Ja, das könnte man, aber anders als Patten das denkt. (Näheres zum Vergleich des Nahen Ostens mit Nordirland finden Sie hier.)

Eine große Herausforderung bestünde darin, in den palästinensischen Gebieten staatliche Einrichtungen wie Krankenhäuser und dergleichen zu schaffen. „Als ich EU-Kommissar war, stellten wir Finanzmittel der europäischen Steuerzahler bereit, um solche Dinge zu bezahlen. Dann mussten wir mit ansehen, wie sie systematisch durch Israels Antwort auf die zweite Intifada verwüstet wurden.“ Aus Pattens Zeilen lässt sich erahnen, dass er auf Israel beleidigt ist. Als großzügiger Spender finanzierte die EU palästinensische Einrichtungen, dann machten die Israelis alles kaputt. Verantwortlich macht er dafür nicht die Palästinenser, die den harmlos „zweite Intifada“ genannten Terrorkrieg vom Zaun brachen, sondern „Israels Antwort“. „Wie wurde durch die Zerstörung von Führerscheinen in Palästina die israelische Sicherheit gewahrt?“ Während ich diese Frage ebenso wenig beantworten kann wie jene nach dem sicherheitspolitischen Sinn einer „Entwurzelung von Olivenbäumen“, fallen mir sehr wohl Gründe für „das Umgraben von Start- und Landebahnen“ ein. Spätestens wenn Patten schließlich fragt, inwiefern Israels Sicherheit durch „das Verunreinigen von Brunnen“ gefördert wird, läuten vermutlich nicht nur bei mir die Alarmglocken und beschleicht mich das Gefühl, dass mit dem Aufwärmen der alten Geschichte vom Brunnen vergiftenden Juden die Grenze legitimer Kritik ein wenig überschritten wird.

„Was ich sehen will … ist ein friedlicher palästinensischer Staat neben einem sicheren Israel in einer Region, die in Wohlstand und Stabilität vereint ist.“ Komisch nur, dass in Pattens Kommentar die Gründe für das Fortdauern des Konflikts einseitig und falsch präsentiert werden und er daher nichts dazu beiträgt, dass seine „Vision“ Wirklichkeit werden könnte.

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