Also sprach Ursula Plassnik

Eigentlich hatte ich vor, die Tätigkeiten von Außenministerin Ursula Plassnik nicht zu kommentieren. Nicht dass es mich nicht des Öfteren in den Fingern kribbeln würde, wenn Medien über ihre Glanzauftritte berichten. So etwa, als sie im Zuge des Werbens um einen Sitz Österreichs im UN-Sicherheitsrat in New York an einer Sitzung der arabischen Gruppe teilnahm, sich dazu (als einzige der anwesenden Personen) in arabische Gewänder warf und allen Ernstes Mozartkugeln an die arabischen Diplomaten verteilte. Ihre öffentlichen Stellungnahmen sind in der Regel irgendwo zwischen lächerlich und gänzlich überflüssig anzusiedeln; das Bemühen von Journalisten, ihr in Interviews auch nur irgend etwas Substanzielles zu entlocken, ist in etwa so erfolgversprechend wie der Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. Doch dann hat mich eine Stellungnahme Plassniks zu den jüngsten Entwicklungen im Libanon eines Besseren belehrt: So viel gequirlter Unsinn in so wenigen Absätzen darf einfach nicht unkommentiert bleiben.

Seit dem Waffenstillstand vom Sommer 2006 tobt im Libanon ein Machtkampf zwischen der Regierungskoalition und dem von der Hisbollah geührten, syrienfeundlichen Oppositionsbündnis, der Anfang Mai schließlich zu den größten innerlibanesischen Kämpfen seit dem Ende des Bürgerkriegs führte. Als die Regierung das autonome Kommunikationsnetz der Hisbollah für illegal erklärte und den Islamisten gleichzeitig die Kontrolle über den Flughafen Beiruts zu entziehen versuchte, erklärte der Generalsekretär der Hisbollah der Regierung den Krieg und setzte seine Truppen in Bewegung, die binnen kurzer Zeit überall im Land Straßensperren errichteten und einen Großteil Beiruts besetzten. Die libanesische Regierung hatte dem wenig entgegenzusetzen und kapitulierte de facto am 14. Mai.

Eine Woche später wurde unter Vermittlung von Katar eine Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien geschlossen, die im Wesentlichen aus vier Punkten besteht: (1) Etablierung einer “Regierung der nationalen Einheit”, in der die Hisbollah über ein Drittel der Ministerämter verfügt und mittels dieser Sperrminorität jede Regierungsentscheidung torpedieren kann. Damit wurde die militärische Macht der Hisbollah quasi institutionell festgeschrieben. Musste sie im Mai noch ihre bewaffneten Banden losschicken, um Regierungsbeschlüsse abzusägen, so kann sie dies in Zukunft mittels ihrer Regierungsstimmen tun. (2) Wahl eines neuen Präsidenten. Seit 18 Monaten war der Posten des libanesischen Staatspräsidenten vakant geblieben, nachdem Syrien (mit oder ohne Hilfe der Hisbollah) die antisyrische Parlamentsmehrheit einfach aus dem Weg gebombt hatte. (3) Eine Wahlrechtsreform für die im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen. (4) Die Frage der Entwaffnung der Hisbollah, wie sie in den entsprechenden UN-Sicherheitsratsresolutionen gefordert wurde, soll zu einem späteren Zeitpunkt diksutiert werden.

Was hat nun Ursula Plassnik zu all dem zu sagen? Schon der Beginn läßt aufhorchen: “Gemeinsam mit unseren EU-Partnern und der gesamten internationalen Staatengemeinschaft wollen wir den Libanon nach der Einigung in Doha bei der Festigung seiner inneren Stabilität und der Ausübung der Regierungsgewalt über das gesamte Territorium des Landes unterstützen.” Wie bitte? Die Vereinbarung von Doha wurde u. a. notwendig, weil im Verlauf des Konflikts offenkundig wurde, was schon seit Jahren klar ist: Die libanesische Regierung hatte nie die “Regierungsgewalt über das gesamte Territorium des Landes” – gerade das hatte die Hisbollah mit dem Krieg gegen Israel im Sommer 2006 und ihrem Staatsstreich im Mai 2008 doch unmißverständlich unter Beweis gestellt. Und da die eigentlich notwendige Entwaffnung der Hisbollah gar nicht erst ernsthaft in Angriff genommen werden kann, wird von einer Souveränität der Regierung über das gesamte Staatsgebiet oder einer “Festigung der inneren Stabilität” auch in Zukunft keine Rede sein. Die bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen dauerten nicht allzu lange, weil die Hisbollah in kurzer Zeit all ihre Forderungen durchsetzen konnte. Barry Rubin fasst zusammen: “On every point, Hizballah, Iran, and Syria, got all they wanted from Lebanon’s government: its surrender of sovereignty. They have veto power over the government; one-third of the cabinet; election changes to ensure victory in the next balloting; and they will have their candidate installed as president.”

Hören wir weiter, was Plassnik zu sagen hat: “Dazu gehört auch die Verpflichtung der Hisbollah und aller libanesischen Fraktionen, in innenpolitischen Auseinandersetzungen nicht mehr zu den Waffen zu greifen”. Nebensache, dass nur eine Gruppierung – die Hisbollah – zu den Waffen gegriffen hat und ein Bürgerkrieg nur deshalb nicht ausgebrochen ist, weil die Islamisten augenblicklich in militärischer Hinsicht kaum über ernsthafte Konkurrenten verfügen. Dass dies so ist, liegt nicht zuletzt daran, dass die Hisbollah nach wie vor völlig ungehindert vom Iran und von Syrien mit Waffen versorgt wird, obwohl gemäß UN-Sicherheitsratsresolution 1701 ein UN-Kontingent in Zusammenarbeit mit der libanesischen Armee genau diesen Waffennachschub unterbinden sollte.

Nebenbei bemerkt geht Plassnik über einen der wesentlichen Punkte der Krise im Libanon einfach hinweg: Stets hatte die Hisbollah ihre Bewaffnung mit der “Verteidigung” des Landes gegen den israelischen Erzfeind begründet und verkündet, sie werde niemals in innerlibanesische Konflikte per Waffengewalt eingreifen. War diese Beteuerung schon bisher nicht ernst zu nehmen, so ist sie jetzt gänzlich hinfällig. Der Libanon erlebt damit ein Déjà-vu. In den frühen siebziger Jahren waren es die Palästinenser, die im Südlibanon einen Staat im Staate errichteten, ihre militärische Macht mit dem Kampf gegen Israel begründeten und hunderte Male erklärten, sie würden sich nicht in die libanesische Politik einmischen, solange diese ihnen in ihrem Kampf freie Hand ließe. Binnen weniger Jahre drängte die PLO den Libanon an den Rand des Abgrunds eines blutigen Bürgerkriegs, bis sie das Land schließlich 1975 über die Klippe schubste. Nun äußerte sich ein sunnitischer libanesischer Mufti: “We thought Hezbollah was dedicated to fighting Israel, but we were surprised to see Hezbollah change to an armed force that is trying to occupy Beirut. Hezbollah is kidnapping the airport to blackmail the Lebanese government….”

Da Plassniks Sicht der Dinge mit der Realität höchstens tangential in Berührung kommt, sieht sie auch keinen Grund, den Optimismus zu verlieren: “Der Weg zur nationalen Versöhnung ist geöffnet. … Das positive Momentum der umfassenden politischen Einigung muss aufrecht erhalten werden.” Es scheint niemanden weiter zu stören, dass keine einzige Behauptung der Außenministerin wahr ist. Weder wurde ein Weg zur “nationalen Versöhnung” eröffnet, noch gibt es, außer für die Hisbollah, Syrien und den Iran, ein “positives Momentum”. Von einer “umfassenden politischen Einigung” kann zuguterletzt nur sprechen, wer bessere Beziehungen zum Iran bzw. seinen regionalen Verbündeten anstrebt und das Verteilen von Mozartkugeln mit Außenpolitik verwechselt.

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