Interpretationsbedürftige “Prophezeiungen”

Lizas Welt hat unlängst in einem (wie immer) lesenswerten Beitrag auf die absurde interpretatorische Akrobatik jener Leute hingewiesen, die behaupten, der iranische Präsident Ahmadinedjad habe nie öffentlich zur Vernichtung Israels aufgerufen. Vielmehr sei er falsch übersetzt worden und habe in Wahrheit etwas ganz anderes gemeint. Zur Illustration hat Lizas Welt auf Henryk M. Broder verwiesen, der “Sinn und Unsinn dieser Gespensterdebatte” mit folgendem historischen Vergleich auf den Punkt brachte: “Der ‘Führerbefehl’ zur Endlösung der Juden- und Zigeneurfrage”, so Broder, “ist bis heute nicht gefunden worden. Er hat nur dazu aufgerufen, die Welt von den Juden zu befreien. Von Vernichtung war keine Rede. So wie Ahmadineschad sich heute eine ‘World without Zionism’ wünscht.”

Damit hatte Broder nicht ganz Recht: Hitler hat sehr wohl öffentlich zur Vernichtung der europäischen Juden aufgerufen, so etwa in der berüchtigten Reichstagsrede vom 30. Januar 1939. Der historische Vergleich leidet darunter allerdings nicht, denn ein Blick auf diese zentrale Rede zeigt, dass auch hier mit ein wenig Kreativität das Offensichtliche weginterpretiert werden kann.

Er sei, so verkündete Hitler, in seinem Leben sehr oft Prophet gewesen und dafür ausgelacht worden. “In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm”. Doch mittlerweile habe sich das geändert: “Ich glaube, dass dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist.” Darauf folgte die Ankündigung des “Führers”:

“Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu führen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.”

Die historische Forschung hat dargelegt, dass Hitler gemäß seiner eigenen “Prophezeiung” gehandelt und sie damit wahr gemacht hat. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 gingen die Deutschen und ihre lokalen Helfer, die vom ersten Tage der Invasion an mordend durch die besetzten sowjetischen Gebiete gezogen waren, im Laufe des Sommers dazu über, ganze jüdische Gemeinden ausnahmslos zu ermorden. Mit dem Kriegseintritt der USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor war der Weltkrieg Realität geworden, auf den Hitler in seiner Reichstagsrede Bezug genommen hatte, und nun fiel auch der Entschluss zur restlosen Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden. (Nachzulesen ist diese Entwicklung in Christian Gerlachs Text “Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu ermorden”, der in diesem Buch enthalten ist.)

Doch so wie es Leute gibt, die beständig argumentieren, man dürfe die “Tod den Zionisten”-Propaganda des iranischen Regimes nicht für bare Münze nehmen, so gab es in der Historikerzunft immer auch jene Anhänger der so genannten “funktionalistischen” Schule, die argumentierten, Hitlers Rede von 1939 dürfe nicht wörtlich verstanden werden. Zugegeben, er habe die “Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa” angekündigt, aber das sei bloß Propaganda gewesen und dürfe keineswegs als Verkündung eines ernstzunehmenden Planes gesehen werden.

Denn schließlich fuhr Hitler, dessen Rede nach der ausgesprochenen Vernichtungsdrohung durch frenetischen Applaus der Reichstagsabgeordneten unterbrochen wurde, fort: “(D)ie Zeit der propagandistischen Wehrlosigkeit der nicht-jüdischen Völker ist zu Ende. Das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien besitzen jene Einrichtungen, die es gestatten, wenn notwendig, die Welt über das Wesen (der Judenfrage) aufzuklären. Augenblicklich mag das Judentum in gewissen Staaten seine Hetze betreiben unter dem Schutz einer dort in seinen Händen befindlichen Presse, des Films, der Rundfunkpropaganda, der Theater, der Literatur usw. Wenn es diesem Volke aber noch einmal gelingen sollte, die Millionenmassen der Völker in einen für diese gänzlich sinnlosen und nur jüdischen Interessen dienenden Kampf zu hetzen, dann wird sich die Wirksamkeit einer Aufklärung äußern, der in Deutschland allein schon in wenigen Jahren das Judentum restlos erlegen ist.” (Hrvg. F.M.)

Ersetzen Sie nun “jüdisch” und “Judentum” durch “zionistisch” und “Zionismus”, faseln Sie an der Stelle über die Macht der Juden in Presse, Radio usw. etwas vom Einfluss der “Israel-Lobby”, und schon haben Sie eine Rede, wie sie Ahmadinedjad tagtäglich hält – und Sie bekommen eine Ahnung davon, wie im Guardian, der Süddeutschen Zeitung und anderswo die zeitgenössischen iranischen Vernichtungsdrohungen interpretiert werden: alles nur “falsch übersetzt”, “aus dem Zusammenhang gerissen zitiert”, “anders gemeint” und jedenfalls nicht Ernst zu nehmen.

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