(Post-) Nationalsozialismus im österreichischen Recht

In einem seiner bekanntesten Vorträge bemerkte Theodor W. Adorno 1959: “Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell bedrohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.” Diesen Gedanken aufgreifend haben wir vor einigen Jahren versucht, dieses Nachleben des Nationalsozialismus theoretisch im Begriff des Postfaschismus bzw. des Postnazismus zu fassen. Damals haben wir allerdings nicht gedacht, dass in Österreich Adornos Warnung durchaus wörtlich zu verstehen ist. Doch ein Blick in das Online-Rechtsinformationssystem des Bundeskanzleramtes bringt diesbezüglich Erstaunliches zu Tage.

Hätten Sie z.B. gedacht, dass im Sommer 2008 folgender Satz zu finden ist: “Das Gesundheitsamt hat alle der körperlichen Ertüchtigung und Wehrhaftmachung des Volkes dienenden Bestrebungen des nationalsozialistischen Staates tatkräftig zu fördern”? Finden Sie es nicht ein wenig seltsam, dass im darauf folgenden Absatz die Aufgaben des Gesundheitsamtes wie folgt beschrieben werden: “Zu diesem Zwecke hat es mit allen Körperpflege und Leibesübungen treibenden Verbänden, insbesondere den Jugendorganisationen der nationalsozialistischen Bewegung, enge Fühlung zu halten”? Und hätten Sie vermutet, dass es einem anderen Paragrafen zufolge auch zu den Aufgaben des Gesundheitsamtes gehört, “auf die gesundheitliche Erziehung der Schüler und eine ihrem Alter entsprechende Belehrung über die Grundgedanken der Erbgesundheits- und Rassenpflege hinzuwirken”?

Die Journalisten des ORF, die gestern auf diese Passagen aufmerksam gemacht haben, bezeichneten die Bestimmungen als nach wie vor gültiges Recht. Das zuständige Gesundheitsministerium bestreitet das, verweist darüber hinaus aber auf das Bundeskanzleramt. Die Grünen haben unterdessen angekündigt, mittels einer parlamentarischen Anfrage für Klarheit sorgen zu wollen.

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