Das Dilemma der ÖVP

Die Wahl ist also geschlagen, die ÖVP ebenso. Satte minus 8,7 Prozent (auf nunmehr 25,6) bedeuten, dass Österreichs Konservative in der von ihnen selbst vom Zaun gebrochenen Neuwahl nach allen Regeln der Kunst auf den Bauch gefallen sind. Immerhin gibt es neben einer erneuten großen Koalition auch die Möglichkeit, auf ein Regierungsbündnis mit den Wahlsiegern der FPÖ und des BZÖ hinzuarbeiten. Damit haben sie zumindest mehr Alternativen als die SPÖ, die mit prognostizierten 29,7 Prozent die relative Mehrheit erlangen konnte. Mit diesem Egebnis befindet sich die ÖVP allerdings in einem strategischen Dilemma.

Die Neuwahl war das Ergebnis des Schüssel-Molterer-Kurses innerhalb der ÖVP, der bislang parteiintern aus zwei Gründen geduldet wurde. Erstens hat Wolfgang Schüssel es im Jahr 2000 geschafft, in einer Koalition mit der FPÖ den Kanzlerposten zu erobern. Zweitens ist es Schüssel dann in der Wahl 2002 gelungen, mit 42,3 Prozent seit mehr als drei Jahrzehnten wieder eine relative Mehrheit zu lukrieren. Im ÖVP-internen Jubel über diese Erfolge geriet freilich in Vergessenheit, dass sie die Kanzlerschaft 2000 erlangen konnte, obwohl sie in der vorhergegangenen Wahl nur drittstärkste Partei geworden war, und sie den überwältigenden Wahlsieg 2002 einzig der völligen Zerbröselung ihres Koalitionspartners FPÖ zu verdanken hatte. Vier Jahre später verlor die ÖVP die Mehrheit schon wieder, aber dieses Ergebnis wurde von der Parteiführung nur als “Fehler” der Wähler verbucht, der alsbald zu beheben wäre.

Bereits die Art und Weise, in der sich die ÖVP in der großen Koalition seit 2006 verhielt, wurde von deklarierten “Großkoalitionären”, wie dem niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll, nicht gut geheißen. Nachdem schon im Frühling in internen Papieren der ÖVP gefordert wurde, die Koalition platzen und so schnell wie mögliche Neuwahlen ausrufen zu lassen, wurden schließlich der Bruch der Koalition und der Beginn des Wahlkampfes von deutlichen parteiinternen Unmutsbekundungen begleitet. Hat man nun heute die Aussagen der diversen Landeschefs verfolgt, so wird das Dilemma deutlich, in dem sich die ÖVP mit diesem Wahlergebnis befindet. Denn es ist Ausdruck eines furiosen Scheiterns des Molterer-Schüssel-Kurses. Die Mehrzahl der ÖVP-Granden in den Bundesländern fühlte sich jedenfalls kaum bemüßigt, mit ihrer Kritik an der Parteiführung hinter dem Berg zu halten und plädierte kaum verhohlen für eine erneuerte große Koalition. Der einzige halbwegs bedeutende ÖVP-Politiker, der sich offen für eine “bürgerliche Mehrheit” aussprach, war der steirische Parteichef Schützenhofer, und der gehört zu jenen Fans der Molterer-Schüssel-Linie, die am liebsten schon vor dem Sommer Neuwahlen abgehalten hätten.

Die ÖVP hätte jetzt also theoretisch die Möglichkeit, erneut mit dem mittlerweile in zwei Parteien gespaltenen “dritten Lager” eine Koalition zu bilden. (Vorausgesetzt, die beiden aus der Konkursmasse der ehemaligen FPÖ hervorgegangenen Parteien wären in der Lage, ihre Animositäten hintanzustellen.) Das würde der Molterer-Schüssel-Flügel der ÖVP zwar unter Umständen riskieren, doch ist genau dieser Flügel mit dem heutigen Ergebnis dafür verantwortlich, den Karren der Partei spektakulär an die Wand gefahren zu haben. Sollte Molterer seinen Hut nehmen müssen, und alles andere wäre sehr verwunderlich, blieben für eine neue Parteiführung vermutlich nur jene Leute um Josef Pröll übrig, die einer schwarz-blau-orangen Variante immer schon wenig abzugewinnen vermochten. Die Situation der ÖVP erinnert somit an die Konstellation einer klassischen romantischen Liebesgeschichte: Sie hätte zwar die Möglichkeit, erneut die Macht zu übernehmen, aber diejenigen, die das durchsetzen wollen würden, haben sich so nachdrücklich diskreditiert, dass sie nichts mehr zu sagen haben werden.

Comments are closed.