Neuauflage als Farce

In einem Kommentar im Standard begklagt sich Adelheid Wölfl, die Presse in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens würde sich vor den jeweiligen nationalen Karren spannen lassen und nicht über die Prozesse vor dem internationalen Tribunal in Den Haag berichten. “In Bosnien-Herzegowina, Serbien und im Kosovo”, so die Einschätzung Wölfls, “manipulieren Politiker bis heute mit Totenzahlen und der Verehrung von Kriegsverbrechern die öffentliche Meinung.” So zutreffend diese Aussage auch sein mag, zwei Dinge sind daran auffällig: Einerseits ist erstaunlich, dass in dieser Aufzählung Kroatien nicht einmal erwähnt wird, obwohl der Umgang der kroatischen Presse mit den Kriegen 1991ff. sich kaum in positiver Weise von dem der bosnischen, serbischen oder kosovarischen Medien unterscheidet. Andererseits wird Wölfls Urteil durch ihre eigene Berichterstattung über den Prozess gegen Radovan Karadzic in der gleichen Ausgabe des Standard regelrecht konterkariert.

“Karadzic spielt auf Zeit” lautet der griffige Titel des Artikels, in dem Wölfl zu berichten weiß: “Der ehemalige Führer der bosnischen Serben … versucht vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag die Verhandlung zu verzögern.” Der Vorwurf gehört seit dem Verfahren gegen Slobodan Milosevic zum Standardrepertoire der Prozessberichterstattung in der westlichen Presse: Der ehemalige serbische Präsident und gelernte Jurist habe, indem auf seinem Recht bestand, sich vor Gericht selbst zu verteidigen, den Prozess bewusst verschleppen wollen. Dass ihm dieses Recht letztlich entzogen und Milosevic fortan von Pflichtverteidigern vertreten wurde, kam der Anklagevertretung mehr als gelegen. Reihenweise fielen im Kreuzverhör die Aussagen der Zeugen der Anklage in sich zusammen und entpuppten sich angebliche “Insider”, die besonders belastende Statements zum Besten gaben, als schlichte Lügner. Der Höhepunkt wurde erreicht, als die Richter in einer beispiellosen Vorgehensweise dem Angklagten erklärten, wie er Belastungszeugen zu befragen habe: “It’s very simple. If you don’t ask questions as you’re ordered to by this Court, then you will not be allowed to ask questions.”

Dass der Milosevic-Prozess sich so in die Länge zog, hatte in Wahrheit freilich wenig mit der geschickten Verteidigung des Angeklagten zu tun, sondern war die Folge einer ins völlig Absurde ausgeuferten Anklageschrift sowie der offenkundigen Unfähigkeit Carla del Pontes und ihrer Mitarbeiter, auch nur halbwegs überzeugende Beweise bzw. glaubwürdige Zeugen für ihre Anschuldigungen zu präsentieren. Einzig der Tod Milosevics rettete die Anklagevertretung vor einem völligen Desaster. Die Anklage im Verfahren gegen Karadzic hat daraus anscheinend die Konsequenzen gezogen. Anstatt den ehemaligen politischen Führer der bosnischen Serben generell wegen seiner politischen (Mit-) Schuld am Krieg in Bosnien anzuklagen, wird ihm konkret die Verantwortung für zwei Fälle von “Völkermord” zur Last gelegt. Chefankläger Brammertz, so berichtet Wölfl, wolle “die Fehler seiner Vorgängerin … vermeiden”.

Während man Brammertz also zumindest Lernfähigkeit zugestehen muss, scheint der Angeklagte störrisch in die Fussstapfen Milosevics treten zu wollen. Seit seiner Auslieferung nach Den Haag wurde Karadzic vorgeworfen, den Prozess zu verschleppen. Wirft man jedoch einen Blick auf die Art und Weise, wie Wölfl diese Anschuldigung zu begründen versucht, kann man sich des Eindrucks eines Déjà-vu nicht erwehren.

Denn dass der Prozess noch nicht begonnen hat, hat mit dem Angeklagten herzlich wenig zu tun. Bei seinem ersten Auftritt in Den Haag Ende Juli hatte Karadzic sich geweigert, zu den gegen ihn erhobenen Anklagepunkten Stellung zu nehmen. Ein klarer Fall von Veschleppungstaktik? Wohl kaum. Im Gegensatz zu dem offensichtlich überforderten Richter wusste Karadzic bloß, dass Chefankläger Brammertz an einer Abänderung der Anklageschrift arbeitete, die er erst Ende Oktober fertig stellen konnte. Wie, so der völlig richtige Einwand, konnte Karadzic also Stellung zu einer Anklage nehmen, die nicht einmal vorlag?

Unbeeindruckt davon, dass der erste “Beleg” für die Verzögerungstaktik des Angeklagten blanker Unfug ist, legt Wölfl nach: “Karadzic selbst hat bislang in seinem Auftreten ebenfalls auf Zeit gespielt.” Warum? “Er besteht darauf, dass alle Dokumente und Verfahrensprotokolle ins Serbokroatische übersetzt werden.” Welch ungeheuerlicher Affront! Nur weil es für den Angeklagten darum geht, ob er den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen wird, verlangt er, dass ihm die Prozessunterlagen in einer für ihn verständlichen Sprache vorgelegt werden?

Betrachtet man Wölfls Artikel als richtungsweisend für die weitere Berichterstattung über das Verfahren gegen Karadzic, so bleibt zu befürchten, dass wir eine Neuauflage der Farce des Milosevic-Prozesses erleben werden. Dass das UN-Tribunal dabei Gefahr läuft, auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit zu verlieren, ist eine Sache. Dass aber der Standard offenbar glaubt, seiner Leserschaft derartigen Unsinn als seriösen Journalismus verkaufen zu können, sollte wirklich zu denken geben.

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