Österreich im Herbst (2)

Vor wenigen Tagen habe ich an dieser Stelle auf einige Fälle hingewiesen, die sich in den letzten Monaten in Österreich ereignet haben. Der Titel “Österreich im Herbst” war natürlich eine Anspielung auf den so genannten Deutschen Herbst 1977, als unter dem Eindruck des Terrorismus der RAF und ihrer palästinensischen Verbündeten Grundrechte außer Kraft gesetzt sowie wesentliche politische Entscheidungen von Gremien getroffen wurden, die jeglicher verfassungsrechtlichen Grundlage entbehrten und keiner demokratischen Kontrolle unterlagen. Anders als in Deutschland bedarf es hierzulande für derart drastische Schritte keines inoffiziellen Ausnahmezustandes – die Normalität reicht anscheinend völlig aus. Teil 2 einer vermutlich noch lange nicht abgeschlossenen Fortsetzungsgeschichte.

Am vergangenen Freitag wollte die Politikerin und Menschenrechtssprecherin der Grünen, Alev Korun, die berüchtigte “Sonderanstalt” für Asylwerber auf der Kärntner Saualm besuchen, die vom verblichenen Landeshauptmann Jörg Haider eingerichtet worden war. Wie der Standard berichtet, wurde ihr jedoch auf Weisung von Haiders Nachfolger der Zutritt zu dem Gebäude verweigert. Der Betreiberin zufolge habe Gerhard Dörfler telefonisch erklärt, die Nationalratsabgeordnete Korun habe dort nichts zu suchen, weil sie keine Kärntner Politikerin sei. Offenbar, so Koruns Resümee, betrachte Dörfler die “Sonderanstalt”, die 13 Kilometer von der nächsten Bushaltestelle entfernt liegt, als exterritoriales Gelände, das jedenfalls keiner Kontrolle durch Abgeordnete des österreichischen Parlaments unterliege.

Am Tag darauf verteidigte Dörfler am BZÖ-Landesparteitag sein Vorgehen und erklärte, “die Wiener” sollen sich nicht in “Kärntner Fragen” einmischen, denn die Kärntner wüssten auch ohne Einmischung von außen, was sie zu tun hätten. Und über Menschenrechte brauche man ihm und seinen Landsleuten erst recht nichts zu erzählen. Ein “Menschenrecht” sei es etwa, “dass eine Frau die Handtasche mit sich tragen kann, wie vor 2000 Jahren”.

Nun ist es wenig überraschend, dass jemand mit den intellektuellen Kapazitäten eines Gerhard Dörflers offenbar zu glauben scheint, dass Handtaschen bereits in altertümlichen Zeiten zu den unentbehrlichen modischen Accessoires der Frauenwelt gehörten, denn schließlich wusste er ja auch nicht, dass er sich bei seiner Rede vom “gesunden Volksempfinden” reiner Nazi-Diktion bediente – und die Nazizeit, mit der Dörfler eigenem Bekunden zufolge natürlich nichts am Hut habe, ist bekanntlich noch keine 2000 Jahre her. Zur Kenntnis nehmen sollte man allerdings, dass in Dörflers Weltsicht das “Menschenrecht” der Klagenfurter Frau, ohne Angst über den Neuen Platz flanieren zu können, offenbar nur gewährleistet werden kann, wenn man Asylwerber auf Almen in “Sonderanstalten” einsperrt.

Auch Uwe Scheuch, der auf besagtem Parteitag mit 96,2 Prozent der Stimmen zum Kärntner Landesparteichef des BZÖ gewählt wurde, kam auf die Saualm zu sprechen. Eine Reise dorthin empfahl er nämlich den Kabarettisten Stermann und Grissemann, gegen die das BZÖ seit ihren Witzen über die Haider-Verherrlichung eine Hetzkampagne führt. Im Gespräch mit dem Standard begründete Scheuch seine “Einladung”: “Das ist ein wunderschönes Ausflugsgebiet und es gibt eine gute Luft da oben.” Um noch dem letzten Idioten klar zu machen, wie das gemeint ist, führte Scheuch weiter aus, die Grenze des für Kunst Zulässigen sei erreicht, “wenn der Einzelne oder Gruppen gedemütigt oder pietätlos behandelt werden und wenn es zu einem massiven Volkszorn kommt. Stermann und Grissemann haben die Kärntner Volksseele wirklich verletzt. Es ist auch Aufgabe der Politik, dass man die Meinung des Volkes kommuniziert und sich nicht in kritischen Fragen hinter irgendeinem Kunstverständnis versteckt.”

Scheuch und dem BZÖ geht es schlicht und ergreifend um Politik im Namen des Volkszornes: “Wenn man die Kärntner Volksseele verletzt, dann hat die Kunst ihre Grenzen”, so Scheuch, der von sich selbst sagt, er komme aus einer “starken tiefverwurzelten freiheitlichen Familie” – was das in Kärnten heißt, braucht nicht weiter erklärt zu werden. Diese “Verwurzelung gibt einen gewissen Rückhalt und ein Wertebild, das immer wieder auch eine gute Grundlage für Entscheidungen ist.”

Mit dem Nationalsozialismus hat diese “Verwurzelung” freilich nichts zu tun: “Ich weiß mit dieser Thematik sehr sensibel umzugehen. Ich bin 1969 geboren, also viele Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, der so viel Unheil über das Land gebracht hat und sicherlich durch nichts zu rechtfertigen ist. Aber man sollte auch einmal zur Einsicht kommen, dass diese Zeit vorbei ist und man sich den modernen Herausforderungen stellen muss.” Weil Scheuch mit “der” Thematik so sensibel umzugehen gelernt hat, bricht, selbst wenn er sich zu distanzieren versucht, nur das aus ihm heraus, was er vermutlich in seinem Elternhaus seit frühester Kindheit gehört hat. Deshalb verwendet er nicht einmal den Begriff des Nationalsozialismus, sondern redet abstakt vom Unheil, das der Krieg über das Land gebracht habe. Da Scheuch aber einmal im Leben eine Einsicht hatte – dass nämlich mit dem ewigen Reden über die Vergangenheit Schluss sein müsse -, kann er ganz frei von der Leber weg im Namen des Kärntner Volkszornes Asylwerber in eine “Sonderanstalt” sperren und ungeliebten Künstlern empfehlen, doch einmal die frische Luft auf der Saualm zu genießen. Hans Rauscher  kommentiert: “Genauso feixend haben die Nazis über die Leute geredet, die ins KZ zu ‘körperlicher Betätigung an frischer Luft’ geschickt wurden.”

Es ist zu erwarten, dass die Kärntner Volksseele, verkörpert in den Herren Dörfler, Scheuch und ähnlichen Lichtgestalten der österreichischen Politik, umso öfter in Empörung geraten wird, je näher die Landtagswahlen kommen. Auf dem Parteitag des BZÖ war jedenfalls zu hören, wer als nächster ins Visier genommen wird. Im Zusammenhang mit dem Ortstafelstreit wurde schon einmal festgestellt, dass Slowenien sich nicht in die Kärntner Politik einmischen solle. Das freilich ist ein Thema, bei dem der Kärntner Volkszorn schon durchdrehte, als das Land noch sozialdemokratisch regiert wurde.

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