Utopie der Vernichtung

Wenn, einem alten Bonmot zufolge, jedes Volk die Regierung hat, die es verdient, und wenn dies in abgewandelter Form auch für Religionsgemeinschaften und deren Führung gilt, dann muss man sich um die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich ernsthaft Sorgen machen. Nach ein paar Tagen verdächtiger Ruhe melden sich deren Funktionäre jetzt nämlich zu Wort, um gegen die israelischen Militärschläge gegen die Hamas zu protestieren. Besonders bemerkenswert ist ein Interview mit dem Präsidenten der Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh, das im Standard erschienen ist.

Schakfeh reiht sich in den großen Chor all jener ein, die von “unverhältnismäßiger Anwendung von Gewalt” sprechen und damit natürlich nicht den Raketenhagel der Hamas meinen, der seit Jahren auf grenznahe israelische Städte niedergeht, sondern den Versuch Israels, diesen Raketenbeschuss zu unterbinden. Doch Schakfeh geht noch einen Schritt weiter: Während man mittlerweile schon gewohnt ist, dass die Verteidiger der “berechtigten Anliegen des palästinensischen Volkes” keinen Unterschied zwischen dem Terrorismus der Hamas und dem Antiterrorkampf der Israelis machen, sagt Schakfeh: “Eine Rakete ist blind. Aber der Pilot eines Kampffliegers weiß, was er bombardiert.” In seinen Augen ist es also weniger verwerflich, eine Rakete abzufeuern und sich gar nicht darum zu kümmern, ob sie in einer Fabrik, einem Krankenhaus, einem Kindergarten, einer Schule oder einem Wohnhaus einschlägt, als so gezielt wie möglich Einrichtungen einer Terrororganisation anzugreifen.

Richtig spannend wird das Gespräch aber erst, als Schakfeh nach der grundsätzlichen Ablehnung Israels durch die Hamas gefragt wird. “Das ist die ursprüngliche Ideologie aller palästinensischen Befreiungsorganisationen. Und die Nichtanerkennung ist eben auch eine gewisse Trumpfkarte bei den Verhandlungen im Nahostkonflikt.” Die Interviewerin wirft nun ein, dass die Charta der Hamas nicht unbedingt den Willen zu Verhandlungen als vielmehr den zur Vernichtung Israels zum Ausdruck bringt. Schakfehs Antwort: “Das ist eine Utopie. Vielleicht wäre das 1948 möglich gewesen, weil das Land völkerrechtlich noch nicht anerkannt war. Außerdem waren damals in Palästina die Juden eine Minderheit. Es war also im Bereich des Möglichen. Aber heute davon zu reden, wo die Kräfteverhältnisse ganz augenscheinlich weit verschoben sind – da ist es eine reine Utopie, Israel von der Landkarte zu vertilgen.”

Lassen wir einmal beiseite, dass die arabischen Staaten 1948 sehr wohl versucht haben, den neu gegründeten Judenstaat zu vernichten und daran gescheitert sind, so bleibt festzuhalten, dass für den vom Standard als “Oberhaupt der Muslime in Österreich” bezeichneten Schakfeh einzig rein praktische Gründe der Verwirklichung des Wunschtraumes von der Tilgung Israels von der Landkarte im Wege stehen. Danach gefragt, ob derartige “Gedankenexperimente” nicht “zutiefst antisemitisch” seien, fährt Schakfeh fort: “Absolut nicht. Hier geht es nicht ums Judentum, nicht um die Juden an sich” – nachdem er gerade eben noch darüber philosophiert hatte, dass “die Juden”, um die es gar nicht gehen soll, 1948 noch “eine Minderheit” und daher besiegbar gewesen wären. Warum das nicht antisemitisch ist? Ganz einfach: “Antisemitismus kennen wir im Mittleren Osten überhaupt nicht. Das gehört zur europäischen Geschichte. Er ist ein Produkt des europäischen Denkens.” Schakfeh behauptet also allen Ernstes nicht nur, was man von allen möglichen “Experten” zu hören bekommen kann, dass es also in der arabisch-islamischen Welt keine der europäischen vergleichbare, lange Tradition des Antisemitismus gegeben habe, sondern dass Antisemitismus auch im heutigen Nahen Osten nicht existiere. Ist die erste Behauptung schon fragwürdig, wie der Lektüre der von Andrew G. Bostom herausgegebenen Legacy of Islamic Antisemtism zu entnehmen wäre, so ist die zweite schlichtweg absurd.

Weiter geht es mit Schakfehs Geschichtsunterricht: “Die Palästinenser haben sich nicht an der Verfolgung der Juden in Europa beteiligt, an den Pogromen, an der Leidgeschichte der Juden.” Es gab also niemals einen Mufti von Jerusalem, der mit den Nazis kollaboriert hat, ebensowenig wie es demnach in den 1920er Jahren im damaligen britischen Mandatsgebiet Progrome gegen jüdische Gemeinden gegeben hat. So wurde den Palästinensern mit der israelischen Staatsgründung “eine Katastrophe beschert”. So sicher, wie die Erde eine Scheibe ist, so zutreffend ist auf Basis dieser alternativen Geschichtsdarstellung Schakfehs Schlußfolgerung: “Daher muss man die Palästinenser verstehen, das sind keine Antisemiten.”

Und überhaupt: “Die Existenz der Juden wird ja jetzt von niemandem infrage gestellt.” Die des jüdischen Staates steht aber zumindest zur Disposition, denn “Staaten haben kein Naturrecht zu existieren. Das ist eine politische Frage, die man ausverhandelt.” Mir ist zwar kein Staat bekannt, der mit seinen Todfeinden über die eigene Existenz verhandelt, aber in der Welt Schakfehs scheint es viele sonderbare Dinge zu geben. Nur Angriffe auf jüdische Einrichtungen in Österreich kann Schakfeh ausschließen, weil er uns versichert, “dass keine Gesetzesverletzungen geplant sind.”

Geplant ist seitens der Islamischen Glaubensgemeinschaft statt dessen, Demonstrationen gegen die israelischen Militärschläge zu unterstützen. Am vergangenen Dienstag fand bereits der erste Aufmarsch dieser grün-braunen Melange statt. Auf einem der mitgebrachten Schilder war zu lesen: “Olmert = Hittler” (sic!). Mit Antisemitismus hat das in den Augen Schakfehs sicher nichts zu tun, denn: “Wir Muslime unterscheiden: Kritik an Israel darf nicht in pauschale antijüdische Ressentiments umschlagen.”

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