Wiederkehr des Sozialismus oder doch eher Barbarei?

Angesichts der sich ausweitenden Finanzkrise wird in vielen Ländern darüber diskutiert, ob der Staat nicht besonders arg in die Bredouille geratene Banken verstaatlichen und damit vor dem Zusammenbruch retten sollte. Während manche darin eine fast unausweichliche Konsequenz der aktuellen Entwicklungen sehen, kommt anderen das Grausen. Knapp zwanzig Jahre ist es her, dass der real existierende Sozialismus mit seiner vom Staat kontrollierten Wirtschaft, von wenigen zweifelhaften Ausnahmen abgesehen, von der Bildfläche verschwunden ist, und nun soll ausgerechnet der Kapitalismus selbst dazu führen, dass auf breiter Front wieder über Verstaatlichungen in großem Ausmaß diskutiert wird?

Besonders auf Seiten der real existierenden Linken kann man sich ein wenig Schadenfreude nur schwer verkneifen. Bei Robert Misik liest sich das beispielsweise so, wenn er über die verschiedenen Rettungspakete der letzten Monate schreibt: “Der Kapitalismus überlebte – weil der Staat ihn gerettet hat. Eine hübsche Pointe, nachdem man uns fast dreißig Jahre lang mit der Irrlehre ‘Mehr Privat, weniger Staat’ bombardiert hatte. Nimmt man die Summen, die im Spiel waren, als Referenzwert, war es wohl die größte Staatsinterventions- und Verstaatlichungswelle seit Lenins Oktoberrevolution – meist in heller Panik von jenen durchgeführt, die bis zum Vortag noch die Gralshüter der neoliberalen Marktideologie waren.”

Mit der Wiedereinführung des Sozialismus hat das freilich ebenso wenig zu tun, wie einstmals die Verstaatlichungen in den Jahren 1917ff. mit der Befreiung der Menschheit. Der “Staat des Kapitals” (Johannes Agnoli), bei dem es sich eben nicht um den “Staat der Kapitalisten” handelt, als den ihn die traditionelle Linke immer mißverstanden hat, wird schlicht seiner Aufgabe gerecht, die darin besteht, den Laden am Laufen zu halten. In Zeiten wirtschaftlichen Fortschritts und geringer gesellschaftlicher Auseinandersetzungen schlägt sich das in der liberalen Ideologie vom “schlanken Staat” nieder, der sich allzu großer Einmischungen in das wirtschaftliche Geschehen enthalten solle. In Zeiten der Krise hingegen müssen, aller liberalen Ideologie zum Trotz, andere Saiten aufgezogen werden. Franz Neumann bemerkte dazu während jener Krise, mit der die gegenwärtige Situation oftmals verglichen wird: “Der liberale Staat war immer so stark, wie die politische und soziale Situation und die bürgerlichen Interessen es erforderten. Er führte Kriege und schlug Streiks nieder, er schützte seine Investitionen mit starken Flotten, er verteidigte und erweiterte seine Grenzen mit starken Heeren, er stellte mit der Polizei ‘Ruhe und Ordnung’ her” – und, so müsste man Neumann heute ergänzen, verstaatlicht eben auch einmal Banken. “Er war stark, genau in den Sphären, in denen er stark sein musste und wollte.”

Neumanns Charakterisierung des liberalen Staates wurde in einer Zeit formuliert, in der dieser in Deutschland so nicht mehr existierte. Seine Überlegungen über den “Funktionswandel des Gesetzes im Recht der bürgerlichen Gesellschaft”, denen das Zitat entnommen ist, erschienen 1937, als sich im Nationalsozialismus die “Entfaltung der Gleichheit des Rechts zum Unrecht durch die Gleichen” (Adorno/Horkheimer) gerade vollzog. Die Möglichkeit zum Rückfall in die Barbarei ist der Krise inhärent. Umso erschreckender sind vor diesem Hintergrund die Ergebnisse einer aktuellen Studie der Anti Defamation League über “Attitudes Towards Jews in Seven European Countries“. In Österreich stimmen demnach 36% der Befragten der Meinung zu, dass Juden über zuviel Macht in der Wirtschaft verfügen, 37% sind der Ansicht, Juden hätten zuviel Einfluss auf die Finanzmärkte und satte 43% können mit unterschiedlichen Graden der Zustimmung der Behauptung etwas abgewinnen, dass Juden in der Finanzindustrie für die gegenwärtige Wirtschaftskrise verantwortlich sind. Unter den sieben untersuchten Ländern wurde dieser Wert nur noch von Ungarn übertroffen. (Einige Gedanken dazu finden Sie beim Lindwurm.)

Comments are closed.