Obamas 180er

Wenn Russ Bray, der wohl bekannteste Schiedsrichter der Professional Darts Corporation,  mit seiner unverkennbar rauchigen Stimme “180!” ins Mikrofon brüllt, dann haben Fans des gepflegten Pfeilwurfspiels eine Spitzenleistung zu bejubeln: Drei Treffer ins Triplezwanzigfeld sind das Maximum, das mit drei Darts erreichbar ist. Auch in der Politik kennt man das Phänomen der 180er, doch anders als im Sport werden damit nur in Ausnahmefällen Topleistungen bezeichnet.

In der Regel handelt es sich dabei nämlich um schlichte Kehrtwendungen: Wer gestern noch A gesagt hat, erklärt heute, dass A falsch ist. Wenn beispielsweise die österreichische Innenministerin nach der Ermordung eines Tschetschenen in Wien behauptet, das Opfer habe nie um Personenschutz angesucht, um einen Tag später zu erklären, das sei ein Missverständnis gewesen und der Getötete habe in Wahrheit mehrfach um Schutz durch die Polizei gebeten, so handelt es sich um einen klaren 180er. (Einen der eher peinlichen Art zwar, aber auch einen, der nicht wirklich verwundern kann. In Anlehnung an ein bekanntes Zitat Rudi Völlers: Was das Geschick und politische Talent von Maria Fekter betrifft, bin ich Realist.)

In den vergangenen Wochen waren nun gleich mehrere 180er auf der internationalen politischen Bühne zu beobachten, die von ungleich größerer Bedeutung sind, als diese österreichische Provinzposse (mit leider tödlichem Ausgang). Denn der, der Kehrtwendungen am Stück aufs Parkett legte, ist niemand Geringerer als der Präsident der einzig verbliebenen Supermacht der Welt.

Alles begann mit den iranischen Präsidentschaftswahlen und den daran anschließenden Massenprotesten. Während so manche westliche Staatschefs schnell ihre Unterstützung der iranischen Opposition zum Ausdruck brachten, war aus dem Weißen Haus anfänglich wenig zu hören. Das kann man getrost als 180er der amerikanischen Außenpolitik bezeichnen, insofern nicht davon auszugehen ist, dass Barack Obamas Vorgänger auch zu den Ereignissen im Iran geschwiegen hätte. Doch dieser Kurswechsel war absehbar. Schon während des amerikanischen Präsidentschaftswahlkampfes hatte Obama angekündigt, die Beziehungen mit den iranischen Mullahs und ihren Handlangern auf eine neue Basis stellen und in diplomatischen Dialog mit der islamischen Diktatur treten zu wollen.

Von den vielen Anhängern Obamas dies- und jenseits des Atlantik wurde dessen ungewöhnliches Schweigen zu den Vorgängen im Iran sofort beredt verteidigt. Um nur ein beliebiges Beispiel zu zitieren: Stefan Riecher schrieb in seinem Blog auf den Presse-Internetseiten, Obama “hat bisher das einzig Richtige getan. Er hat geschwiegen.” Warum war das goldrichtig? Weil “jedes Wort Obamas der iranischen Regierung zumindest in ihrer eigenen verrückten Denkweise die Legitimierung für ein Blutbad geben könnte. Mischt sich der böse Feind USA wieder einmal ein, würde das die auf Hass aufgebaute Politik Ahmadinejads nur fördern.” Aus Angst davor, das iranische Regime würde jede amerikanische Unterstützung der Opposition dazu verwenden, um die Gegner Ahmadinejads als Lakaien der USA und des Westens zu diskreditieren und gegen sie loszuschlagen, solle Obama im Wesentlichen also gar nichts sagen. Ein “aggressive(r) Interventionsansatz” sei jedenfalls völlig fehl am Platze.

Das Regime in Teheran nahm das taktisch brillante Schweigen Obamas zur Kenntnis, denunzierte ungeachtet dessen die Opposition als Lakaien der USA und des Westens und ließ seine Kettenhunde von der Leine. Dass das passieren und Obamas Schweigen dann nur mehr peinlich sein könnte, ahnte auch der Riecher, denn in einer Ergänzung zu seinem Blogeintrag schrieb er:  “Sollte die Regierung friedliche Proteste tatsächlich brutal niederschlagen, ändert sich das Bild natürlich schlagartig.” Nach Tagen brutaler Gewalt kam jedenfalls auch Obama zu dem Schluss, dass es dem wichtigsten Präsidenten der freien Welt vielleicht doch nicht schlecht zu Gesicht stünde, einige deutliche Worte zu finden. Also erklärte er, wie üblich ausdrucksstark vorgebracht: “The United States and the international community have been appalled and outraged by the threats, the beatings and imprisonments of the last few days. I strongly condemn these unjust actions. … In 2009, no iron fist is strong enough to shut off the world from bearing witness to peaceful protests of justice.”

Man könnte zu Obamas Ehrenrettung argumentieren, die brutale Repressionswelle gegen die Demonstranten im Iran sei nicht absehbar gewesen – was für ein gerüttelt Maß von Naivität sprechen würde – und der Präsident habe mit seinem Kurswechsel bloß auf die Entwicklungen in Teheran und anderen Städten reagiert. Fakt ist aber, dass etwa Angela Merkel oder Gordon Brown offenbar schon Tage zuvor genug gesehen hatten, um sich ein Urteil bilden zu können.

In jedem Fall wollte Obama sich durch das brutale Vorgehen des Regimes seinen Plan, mit den Mullahs in Verhandlungen zu treten, noch lange nicht madig machen lassen. Also gab er ihnen noch eine Chance: “The Iranian people have a universal right to assembly and free speech. If the Iranian government seeks the respect of the international community, it must respect those rights and heed the will of its own people. It must govern through consent and not coercion.” Von einem Journalisten danach gefragt, ob es denn eine rote Linie gebe, nach deren Überschreiten Verhandlungen mit dem Regime nicht mehr möglich wären, antwortete Obama: “We have provided a path whereby Iran can reach out to the international community, engage, and become a part of international norms. It is up to them to make a decision as to whether they choose that path.”

Das Regime in Teheran reagierte, wie nicht anders zu erwarten war. Es kümmerte sich wenig um die internationalen Proteste, setzte seinen Angriff auf die Opposition verschärft fort und machte deutlich, was es von der Möglichkeit hält, sich den Respekt der internationalen Gemeinschaft zu erarbeiten: gar nichts. In den Worten Obamas: Es hatte eine Wahl zu treffen, und es hat sich entschieden. Und nun? War’s das jetzt mit der angekündigten diplomatischen Initiative? Ist das geplante “engagement” mit der islamischen Diktatur nun vom Tisch?

Den vorerst letzten 180er legte Obama schließlich im Zusammenhang mit der Absetzung und Ausweisung des Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, hin. Hatte er eben noch erklärt: “I’ve made it clear that the United States respects the sovereignty of the Islamic Republic of Iran and is not interfering with Iran’s affairs”, so klangen seine Äußerungen zu Honduras völlig anders. Die Absetzung Zelayas sei “nicht legal” und Zelaya immer noch der demokratisch gewählte Präsident des Landes. Die USA, so Obamas Versicherung, “stand on the side of democracy”.

So sieht die “Konsistenz”, die Obama in jeder Rede zigfach beschwört, also aus: Wenn im Iran Menschen gegen eine blutige Islamistendiktatur demonstrieren, dann ist das eine innere Angelegenheit des Iran. Wenn dagegen ein lateinamerikanischer Präsident abgesetzt wird, der gerade im Begriff ist, die Verfassung seines Landes zu brechen, um sich eine zweite Amtszeit zu verschaffen, dann genießt er die volle Unterstützung der Obama-Administration.

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