Atomares Wettrüsten

Im gestrigen Standard widmete sich Gudrun Harrer wieder einmal dem iranischen Atomwaffenprogramm. Sie stellte dabei die Frage, ob die nuklearen Ambitionen des Regimes zu einem Rüstungswettlauf im Nahen Osten führen werden, und antwortete: “Es ist bereits Teil eines Ringens um Hegemonie – mit Israel. Um den Iran abzuschrecken, könnte Israel sich selbst als Atomwaffenstaat deklarieren, das würde wiederum die arabischen Länder innenpolitisch unter Druck setzen. Und diese fürchten ebenfalls eine mögliche iranische Atombewaffnung”.  In die gleiche Kerbe schlug das profil kurz vor den iranischen Präsidentschaftswahlen mit der Behauptung: “Selbst wenn der Iran die Bombe bauen wollte, wäre das nicht unverständlich.” Umgeben von Staaten, die über Atomwaffen verfügen, könnte das Regime nämlich fragen: “Warum sollte die Logik der gegenseitigen atomaren Abschreckung mit dem Ende des Kalten Kriegs ihre Gültigkeit verloren haben”? In beiden Beispielen wird die Mär aufgewärmt, das iranische Streben nach der Bombe habe etwas damit zu tun, dass u. a. Israel bereits über die ultimative Waffe verfüge, und wäre damit nur Ausdruck eines nachvollziehbaren Sicherheitsbedürfnisses.

Tatsächlich geht jedoch von der (offiziell nie bestätigten) Existenz israelischer Atomwaffen keinerlei Bedrohung aus. Michael Rühle, stellvertretender Leiter der Politischen Planung beim NATO-Generalsekretär, führt aus: “(A)nders als im Iran dient das israelische Nuklearprogramm keinem hegemonialen Machtanspruch. Ein israelisches Abschreckungspotenzial ist im wahrsten Sinne des Wortes nur ‘letztes Mittel’ für einen Staat, der aufgrund seiner geringen Größe selbst einen begrenzten Nuklearschlag nicht überleben würde.” Nie hat Israel die Drohung mit seinen Atomwaffen dazu gebraucht, den Nahen Osten gemäß seiner politischen Vorlieben umzugestalten. Wie Harrer auf die Idee kommt, Israel würde um die Hegemonie in einer Region ringen, die ihm in aller Regel feindlich gesonnen gegenüber steht, bleibt ihr Geheimnis.

Gerade die von Harrer ins Spiel gebrachten arabischen Staaten sind der beste Beleg dafür, wie unsinnig derartige Vorstellungen sind. Mögen die sich auch in ihren öffentlichen Äußerungen ausgiebig anti-israelischer Rhetorik bedienen, so bleibt die Tatsache bestehen, dass sie sich in den vergangenen Jahrzehnten durch israelische Atomwaffen nicht sonderlich aus der Ruhe bringen ließen. Emanuele Ottolenghi: “It is instructive that none of the moderate Arab regimes have sought to acquire nuclear weapons in response to Israel, but they are scrambling to do so now that Iran is building its own nuclear capability. Arab leaders sleep soundly under the shadow of Israel’s nuclear umbrella; it is Iran’s nuclear quest which gives them nightmares.”

Ein atomares Wettrüsten ist tatsächlich eine der größten Gefahren, die dem Nahen Osten in den nächsten Jahren drohen. Dass Harrer und Konsorten in diesem Zusammenhang auf Israel zu sprechen kommen, hat jedoch mehr mit ihrer Voreingenommenheit zu tun, als mit der Realität in der Region.

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