Eine “Siedlung” namens Jerusalem

“Jerusalem will remain the capital of Israel, and it must remain undivided.” Vom wem stammt dieser Satz aus dem Jahr 2008? Etwa vom “ultranationalistischen” israelischen Außenminister Avigdor Lieberman? Oder vom “Hardliner” Benjamin Netanyahu? Weit gefehlt, denn diese Worte sprach Barack Obama, der gleiche Obama, der es Juden jetzt verbieten will, in Jerusalem Häuser zu bauen. (Natürlich wäre es nicht Obama, wenn er zum Thema Jerusalem im Laufe der Zeit nicht mehrere einander widersprechende Aussagen getätigt hätte, aber das nur nebenbei.) Wieder einmal findet der amerikanische Präsident, der die Niederschlagung der iranischen Opposition als “innere Angelegenheit” des Iran betrachtet und sich nicht einmischen will, nichts dabei, sich in die Angelegenheiten eines verbündeten Staates einzumischen. Premier Netanyahus Antwort konnte klarer nicht sein. Die Jerusalem Post berichtet: “The prime minister said that just as there would be an international outcry if Jews were prohibited from buying property in New York, London, Paris or Rome, so too Jews should not be prohibited from buying property in Jerusalem.”

In den Medien wird Obama für seinen Vorstoß natürlich gelobt. Im Standard durfte sich beispielsweise Eric Frey über den “handfeste(n) Konflikt” zwischen den USA und Israel freuen. Allerdings hat Frey auch warnende Worte für den Präsidenten. Obama beitreibe ein “riskantes Spiel”, denn für die finanzielle Unterstützung Israels durch die USA gelte: “Berühren ist lebensgefährlich.” Das klingt dramatisch, aber Frey kann sicher erklären, warum Leib und Leben Obamas in Gefahr sein sollen. Nun ja, lesen Sie selbst: “Als Präsident George Bush senior 1992 Kreditgarantien für Israel aussetzen ließ, um schon damals gegen den Siedlungsbau zu protestieren, kostete ihn dies wertvolle Unterstützung jüdischer und evangelikaler Wähler und trug möglicherweise zu seiner Wahlniederlage gegen Bill Clinton bei.”

Zugegeben, die Stimmen der amerikanischen Juden gingen 1992 tatsächlich mit überwältigender Mehrheit an Bill Clinton. Und ja, Bush hatte sich mit seiner Politik unter Freunden Israels nicht sonderlich beliebt gemacht. Entscheidend für den Wahlausgang war aber, dass Bush an der republikanischen Basis durch die 1990 durchgeführten Steuererhöhungen viel an Unterstützung verlor, nachdem er zuvor noch kategorisch erklärt hatte: “Read my lips: no new taxes“. Außenpolitische Fragen spielten bei der Präsidentschaftswahl 1992 hingegen kaum eine Rolle.

Obwohl Frey das mit Sicherheit weiß, will er nicht darauf verzichten, auf die vermeintliche Macht der “Israel-Lobby” anzuspielen und damit einen relativ unbedeutenden Faktor zu einer Frage von Leben und Tod hochzustilisieren. Aber, so Frey weiter, die Zeiten haben sich geändert: “Selbst eingefleischte Israel-Freunde im Kongress wollen dem illegalen und politisch so destruktiven Siedlungsbau nicht mehr tatenlos zusehen, weder im Westjordanland noch in Ostjerusalem.”

Spätestens seit den 1840er Jahren, also bereits lange vor der Gründung Israels 1948 oder der Besetzung des Westjordanlandes 1967, ist Jerusalem eine Stadt, in der das jüdische Bevölkerungssegment eine solide Mehrheit bildet. Um das zu veranschaulichen, seien hier die Daten zweiter Zeitpunkte genannt. Im Jahre 1896, als sich die Stadt noch unter osmanischer Herrschaft befand, betrug die Gesamtbevölkerung Jerusalems 45.420 Menschen, davon 28.112 Juden und 8.560 Moslems. Darüber hinaus gab es noch, das wird gerne vergessen, 8.748 Christen. Den Daten aus 2007 zufolge leben in Jerusalem 747.600 Menschen; 64% davon sind Juden, 32% Moslems und 2% Christen. Die Forderung nach einem Stopp des jüdischen “Siedlungsbaus” ist also vollkommen absurd, es sei denn, man will sicher stellen, dass aus Jerusalem zum ersten Mal seit über 150 Jahren eine Stadt mit arabischer Bevölkerungsmehrheit wird.

In einer Szene in Oliver Stones Film über Jassir Arafat (“Persona non grata”) wird Benjamin Netanyahu interviewt. Plötzlich ist im Hintergrund eine Explosion zu hören, eines jener Selbstmordattentate, die das Gesicht des palästinensischen Terrorkriegs gegen Israel prägten. Auf die Frage Stones, ob der Anschlag in einer Siedlung passierte, antwortet Netanyahu: “Ja. Eine kleine Siedlung, die wir Jerusalem nennen.”

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