Nichthandeln in Afghanistan

Normalerweise ist sie keine Frau der lauten Töne, aber seit es nach einem von der Bundewehr in Afghanistan angeordneten Luftschlag wegen möglicher ziviler Opfer Kritik hagelt, ist es vorbei mit der noblen Zurückhaltung. “Merkel rügt kritische Nato-Partner”, berichtet der Standard über die Regierungserklärung zum Afghanistaneinsatz, die die Kanzlerin gestern vor dem deutschen Bundestag abgab. An die Kritiker gerichtet verkündete Merkel: “Wir werden Vorverurteilungen nicht akzeptieren. Ich verbitte mir das – von wem auch immer, im Inland und im Ausland.” Zwei Dinge sind daran auffällig.

Erstens waren die deutsche Öffentlichkeit und Teile der deutschen Politik über Jahre hinweg nicht so sensibel, wenn es um “Vorverurteilungen” ging, aber da fand das Schauspiel auch mit umgekehrter Rollenverteilung statt: Stets waren die Amerikaner die Bösen, die sich in ihrer Kriegsführung nicht um das Leid von Zivilisten gekümmert hätten; stets waren es die Deutschen, die der verbündeten Supermacht beinahe genüsslich unter die Nase rieben, dass Krieg eben niemals eine Lösung sei. Jetzt aber, wo es im Rahmen der “robusten Stabilisierungsmaßnahmen” der deutschen Bundeswehr – bekanntlich führt Deutschland in Afghanistan ja keinen Krieg – möglicherweise zu einem bedauerlichen Zwischenfall gekommen ist, wird die Kanzlerin patzig und verbittet sich jede Einmischung.

(Nebenbemerkung: Ob der angeforderte Luftschlag ein “Fehler” war, lässt sich so einfach nicht beantworten. Afghanischen Ermittlern zufolge handelte es sich bei den von den Taliban entführten Öltanklastwagen um “legitime Ziele”. Damit ist nicht automatisch gesagt, dass der Angriff “richtig” war; genausowenig lassen aber zivile Opfer den Umkehrschluss zu, dass er auf jeden Fall “falsch” war.)

Zweitens ist mitten in der heißen Phase des Bundestagswahlkampfes der Nicht-Krieg in Afghanistan ins Zentrum der Debatten gerückt. Einem überhasteten Rückzug will Merkel nicht zustimmen, denn: “Niemand täusche sich: Die Folgen von Nichthandeln werden uns genauso zugerechnet wie die Folgen von Handeln.” Anstatt Afghanistan sich selbst, unter gegebenen Bedingungen also den Taliban, zu überlassen, müsse die internationale Gemeinschaft verstärkte Anstrengungen unternehmen, um im Lande zum Aufbau und zur Durchsetzung staatlicher Strukturen beizutragen. Deutschland solle sich dabei in erster Linie um die Ausbildung von Polizeikräften kümmern, damit afghanische Sicherheitskräfte irgendwann selbst die Stabilisierung des Landes übernehmen könnten.

Das ist nun wahrlich nichts Neues, denn von Beginn an war die Ausbildung von Polizeikräften eines der Steckenpferde des deutschen Engagements in Afghanistan. Die Bilanz dieses Unterfangens ist freilich ernüchternd. Ahmed Rashid fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: “In 2002 Germany had been given the task of training a new Afghan police force, but it was unwilling to provide sufficient funds and resources. Germany set up a police academy in Kabul to teach officers, but sent out only 41 trainers to train 3,500 Afghan officers over three years. There was no plan for the countrywide training of 62,000 policemen and almost no equipment handed out to police stations, which lacked radios, vehicles, and even weapons. Berlin spent a paltry $ 89 million between 2002 and 2006, a stinginess that angered the Americans, Afghans, and other European nations.” Rashids Urteil fällt daher recht eindeutig aus: “Germany’s pathetic, next-to-useless performance in rebuilding the police and Italy’s apathy in rebuilding the justice system became the two weakest points in the international community’s efforts to rebuild state institutions in Afghanistan.”

Merkel ist zuzustimmen, dass ein Rückzug des Westens aus Afghanistan nicht nur unverantwortlich gegenüber der von den Taliban drangsalierten afghanischen Bevölkerung wäre, sondern auch keines der Sicherheitsprobleme beseitigen würde, die den Einsatz überhaupt notwendig gemacht hatten. Sie täuscht sich aber, wenn sie meint, dass “Nichthandeln” gleichbedeutend mit einem Abzug der deutschen Truppen wäre. Vielmehr zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, dass die deutsche Bundeswehr zwar durchaus dazu in der Lage war, in Afghanistan stationiert zu sein, ihrer deklarierten Aufgabe vor Ort aber trotzdem nicht nachkommen konnte und somit einen wesentlichen Beitrag dazu leistete, dass die Präsenz ausländischer Truppen auf unabsehbare Zeit unerlässlich bleiben wird. In den Worten Merkels: Auch diese Form des Nichthandelns wird man Deutschland zurechnen müssen.

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