Wie gut, dass es keinen Antisemitismus gibt

“99% der Israelis haben noch nie persönliche Erfahrung mit dem Antisemitismus gemacht”, sagt Yoav Shamir. Keine Besprechung  seines Filmes “Defamation” kommt ohne diese Weisheit aus. Und das, obwohl der Satz offenkundiger Unsinn ist. Darauf überhaupt hinweisen zu müssen, macht deutlich, auf welch unterirdischem Niveau die Diskussionen über Antisemitismus, Israel und den Nahen Osten in Europa geführt werden.

Im Gazastreifen herrscht die islamistische Hamas. Liest man deren Charta, so erfährt man, dass die Juden hinter der französischen und der russischen Revolution standen, für den Ersten und den Zweiten Weltkrieg  sowie für jeden anderen Krieg auf der Welt verantwortlich sind; dass ihre verbrecherischen Pläne in den “Protokollen der Weisen von Zion” dargelegt worden seien und der Tag bald kommen werde, an dem folgendes Versprechen des Propheten erfüllt werde: “Die Stunde (der Auferstehung) wird nicht kommen, bis die Muslime gegen die Juden kämpfen. Die Muslime werden sie töten, bis sich der Jude hinter Stein und Baum verbirgt, und Stein und Baum dann sagen: ‘Oh Muslim, oh Diener Gottes! Da ist ein Jude hinter mir. Komm und töte ihn'”.

In den letzten Jahren hat die Hamas Tausende Raketen auf Israel abgefeuert, die das Leben in Sderot fast unmöglich gemacht haben und sogar in Beer Sheva einschlugen, einer Stadt mit über 200.000 Einwohnern. Fast 500 Israelis wurden allein von Selbstmordattentätern der Hamas ermordet. Aber laut Shamir macht kaum ein Israeli Erfahrungen mit dem Antisemitismus …

Die Hisbollah im Libanon sitzt, dank iranischer und syrischer Unterstützung, auf einem Arsenal von geschätzten 40.000 Raketen, die nur darauf warten, über die Grenze nach Süden geschossen zu werden. Hassan Nasrallah, Generalsekretär der Hisbollah, verkündete einmal, eigentlich sei es ja vorteilhaft, wenn alle Juden nach Israel ziehen würden. Dann müsse man sich nämlich nicht die Mühe machen, sie auf der ganzen Welt zu verfolgen. Während des Libanonkrieges 2006 mussten Hunderttausende Israelis einen Monat lang in Bunkern Schutz suchen, als Tausende einschlagende Raketen das Leben im Norden Israels zum Stillstand brachten. Aber Shamir ist sich sicher: Als Erfahrung mit Antisemitismus könne man das nicht bewerten …

Im Iran schließlich ist ein Regime an der Macht, das Holocaustleugnerkonferenzen veranstaltet, das an der Entwicklung der Atombombe arbeitet und zu dessen erklärten Zielen es gehört, Israel zu vernichten. Und abermals gibt Shamir Entwarnung: Mit Antisemitismus habe das nichts zu tun.

Hierzulande hört man so etwas gerne und bejubelt den Regisseur, der sich, wie allerorten zu lesen ist, einem so “komplexen Thema” wie dem Antisemitismus auf so differenzierte Art und Weise nähere. Sollte der Film tatsächlich bald in österreichischen Schulen als Unterrichtsmaterial Verwendung finden, wäre ein neuer Level der “Vergangenheitsbewältigung” erreicht. Dann nämlich erfahren die Schüler aus “Schindlers Liste” alles über den Holocaust, bekommen mit “Paradise Now” einen Einblick in den Nahostkonflikt und können sich nach der Ansicht von “Defamation” beruhigt zurücklehnen, weil Antisemitismus heute glücklicherweise kein Problem mehr darstellt – schon gar nicht für Israelis.

 

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