Ein Schiff wird kommen

Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis volle Klarheit darüber herrscht, was am Montagmorgen an Bord der “Mavi Marmara” und auf den anderen Schiffen des Hamas-Solidaritätskorsos – und um nichts anderes handelte es sich bei der Gaza-Flotte – wirklich passiert ist. Sicher sind bislang nur zwei Dinge. Erstens: Beim Versuch der israelischen Marine, die Schiffe am Erreichen des Gazastreifens zu hindern, ist irgendetwas fürchterlich schief gelaufen. Das Resultat davon sind mehrere Tote und Verletzte. Zweitens: Wie auch immer der Einsatz verlaufen wäre, bereits im Vorhinein war klar, dass es auf internationaler Ebene Kritik am israelischen Vorgehen geben würde. Dass diese Kritik jetzt so heftig ausfällt, hat allerdings nur wenig mit den tatsächlichen Vorfällen zu tun.

Anders als vielfach kolportiert bestand das Ziel der Gaza-Solidaritätsflotte nicht darin, “Hilfslieferungen” in den von der Hamas kontrollierten Gazastreifen zu bringen, denn dies wäre ohne weiteres möglich gewesen. Um eine Konfrontation zu vermeiden hatte Israel das Angebot gemacht, die Ladungen in Aschdod löschen und danach über den regulären Landweg nach Gaza bringen zu lassen, nicht anders als viele andere Hilfslieferungen in den vergangenen Wochen auch. Doch es ging nicht um Hilfe, sondern um Politik: Die Blockade müsse gebrochen werden, gaben Proponenten der Gaza-Flotte mehrfach zu Protokoll. Dass dies unweigerlich zu einem Zusammenstoß mit der israelischen Armee führen würde, war jedem Menschen klar. Die Hamas im Gazastreifen jubilierte bereits im Voraus über die sich abzeichnende Konfrontation. Die Jerusalem Post berichtete über eine Ansprache Ismail Haniyes: “‘If the ships reach Gaza, it’s a victory for Gaza,’ Haniyeh told some 400 supporters after touring Gaza City’s small fishing harbor, where several smaller vessels breaking the blockade have docked in the past. ‘If they are intercepted and terrorized by the Zionists, it will be a victory for Gaza, too, and they will move again in new ships to break the siege of Gaza.'”

Als sich die Schiffe der Gaza-Flotte ihrem Ziel näherten, wurden sie von der israelischen Marine eindeutig davor gewarnt, ihre Fahrt fortzusetzen – insgesamt sechs Mal, wie ein Crewmitglied der Gaza-Flotte mittlerweile bestätigt -, und noch einmal auf das Angebot hingewiesen, die Ladungen auf anderem Wege nach Gaza zu bringen. Danach versuchten Spezialeinheiten, das Leitschiff des Konvois, die “Mavi Marmara”, von Hubschraubern aus zu entern. Ynet berichtet: “Officials estimated that passengers will show slight resistance, and possibly minor violence”. Das war aber nicht, was die Soldaten an Bord erwartete. Wie sowohl Ynet als auch Haaretz berichten, wurden sie statt mit passivem Widerstand mit massiver Gewalt in Empfang genommen: Mit Eisenstangen, Messern, Steinschleudern und, israelischen Angaben zufolge, entwendeten Pistolen gingen die “Menschenrechtsaktivisten” auf die Israelis los.

Wie auf al-Jazeera zu sehen war, hatten sie sich während der Schiffsreise schon ausreichend für diesen Moment in Stimmung gebracht: “Chaibar, Chaibar, oh ihr Juden! Mohammeds Heer wird zurückkehren!”, lautete ihr Sprechchor, der auf die Ermordung der Juden durch die Soldaten des “Propheten” im Jahre 628 anspielt und sich bei Islamisten größter Beliebtheit erfreut. (Die libanesische Hisbollah benannte sogar eine Rakete nach dem Ort.) Eine der “Aktivistinnen” ließ ihren Gefühlen freien Lauf: “Right now we face one of two happy endings: either Martyrdom or reaching Gaza.” Angesichts dieser Eindrücke und anhand von wenigen Videos, die bis jetzt von den Vorfällen auf der “Mavi Marmara” veröffentlicht wurden, ist jedenfalls die Behauptung der israelischen Armee nicht unplausibel, dass die Soldaten zur Selbstverteidigung gegen die unerwartet heftigen Angriffe zu ihren Pistolen greifen mussten. Mitglieder des israelischen Kommandos berichteten der Haaretz ihren Eindruck von der Situation: “(The) Gaza flotilla crew tried to lynch us.”

Es gibt natürlich auch eine andere Interpretation der Ereignisse, der zufolge die israelische Armee absichtlich ein “Massaker” – so die Behauptung von Mahmud Abbas – an friedlichen Aktivisten verübt habe. Doch warum hätten die Israelis dies tun sollen, wohl wissend, wie die internationalen Reaktionen auf einen blutigen Ausgang der Geschichte ausfallen würden? Robin Shepherd ist kaum zu widersprechen: “It seems highly unlikely that Israeli officials are being anything other than truthful in saying that the members of the flotilla initiated the violence. Israel had literally nothing to gain from an outcome of this kind. The situation that led to the deaths was either forced upon the Israelis or their operation was botched. They would not have intentionally opted for the train of events which actually transpired.” Ganz im Gegensatz zu den empörten Beschuldigungen durch die internationale Öffentlichkeit sind die Getöteten und Verwundeten nicht Folge übermäßiger Gewaltanwendung der israelischen Armee, sondern Ergebnis der unerwartet heftigen Gewalt, mit der diese konfrontiert wurde. Die Conclusio all dessen: Die Gaza-Flotte hat die Konfrontation mit der israelischen Armee gesucht. Das allein hätte noch nicht zu der Eskalation führen müssen, die an Bord der “Mavi Marmara” stattgefunden hat. Mit der massiven Gewalt, die gegen die israelischen Soldaten eingesetzt wurde, wurde der blutige Ausgang der Aktion aber unvermeidlich. Die israelische Armee scheint die Situation unterschätzt zu haben. Sie ging, und das ist nun wirklich ein unverständlicher Fehler, nicht davon aus, von einem islamistischen Lynchmob attackiert zu werden. Die Soldaten fanden sich daraufhin mit einer Situation konfrontiert, in der sie schießen mussten, um sich zu verteidigen.

An den internationalen Reaktionen auf die Ereignisse ist auffällig, dass das Interesse an den tatsächlichen Vorgängen relativ gering ist. Nehmen wir als Beispiel die Stellungnahme von Wolfgang Schüssel. “Der israelische Angriff war ein unangemessenes Verhalten und ist scharf zu verurteilen”, ließ der ex-Kanzler und nunmehrige außenpolitische Sprecher der ÖVP verlauten. Weiter hieß es in der Presseaussendung: “Schüssel forderte eine möglichst rasche Aufklärung des Vorfalls. Die Untersuchung müsse jedoch ‘unabhängig und auf internationaler Ebene’ durchgeführt werden.” Wozu bedarf es eigentlich einer “raschen Aufklärung”, wenn Schüssel doch schon im Vorhinein zu urteilen vermag, dass der Armeeeinsatz ein “unangemessenes Verhalten” darstellte? Müsste ein derartiges Resümee, so es denn zutreffend sein sollte, nicht erst am Ende einer Untersuchung gezogen werden, und nicht bereits vorher feststehen? Nennt man so etwas normalerweise nicht einfach Voreingenommenheit? Doch wenn es gegen Israel geht, gelten andere Regeln. Untersuchungen auf “unabhängiger und internationaler Ebene” haben hier die Funktion, das ohnehin bereits gefällte Verdikt zu bestätigen – der Goldstone-Report über den Krieg zwischen Israel und der Hamas im letzten Jahr war nur das letzte in einer langen Reihe von Beispielen für diese bestens eingeübte Vorgehensweise.

Bemerkenswert wenig Interesse besteht auch daran, einmal einen genaueren Blick auf die Organisatoren des Schiffskonvois zu werfen. In gewissem Sinne ist das verständlich, denn von dem Bild einer menschenrechtlich motivierten Hilfsaktion bliebe nur wenig übrig. Die 1992 gegründete türkische Organisation IHH geriet bereits 1996 wegen ihrer islamistischen Aktivitäten ins Fadenkreuz amerikanischer Geheimdienste. Sie gehört dem saudi-arabischen Dachverband “Union of Good” an, bei dessen Vorsitzendem es sich um niemand geringeren als Jussuf Qaradawi handelt, jenen islamistischen Prediger, der sich selbst einmal als “Mufti des Selbstmordattentats” bezeichnete. US-Behörden betrachten die “Union of Good” als Organisation, die terroristische Gruppierungen mit Millionen von Dollar unterstützt. Im Jahr 2008 wurde IHH zusammen mit weiteren islamistischen “Hilfsorganisationen” in Israel verboten und darf seitdem weder in der Westbank noch im Gazastreifen operieren. Kann man sich wirklich darüber wundern, dass Israel es einer Organisation, die erwiesenermaßen Terroristen unterstützt, verbieten würde, die Gaza-Blockade zu durchbrechen?

So wie sich die internationale Öffentlichkeit im Jahr 2002 über ein “Massaker” in Jenin ermpörte, das nicht stattgefunden hat, empört sie sich jetzt wieder über ein angebliches israelisches “Massaker”. Wie schon damals wird dabei die Realität auf den Kopf gestellt: Die Terroristen in Jenin, wie die Hamas-Unterstützer und Islamisten an Bord der Gaza-Flotte, mutieren auf wundersame Weise zu “unbewaffneten Zivilisten” und “Menschenrechtsaktivisten”. Der israelischen Armee, die sich gegen die Terroristen und deren Unterstützer zu Wehr setzt -, wird hingegen nicht nur vom türkischen Premier Erdogan “Staatsterrorismus” vorgeworfen. Aus dem Versuch, israelische Soldaten zu lynchen, wird ein “israelischer Angriff” auf einen “Hilfskonvoi”. Eine Gefährdung der internationalen Sicherheit wird nicht etwa den “Aktivisten” vorgeworfen, die bewusst die Konfrontation mit der israelischen Armee in einem deklarierten Kriegsgebiet gesucht hatten, sondern den IDF, die auf diese Provokation reagieren mussten. Und während die israelischen Soldaten wohl nur deshalb in eine so bedrohliche Situation gerieten, weil sie eben nicht unter Einsatz aller ihnen zur Verfügung stehenden Gewaltmittel vorgingen, wird ihnen nun “unverhältnismäßige Gewaltanwendung” vorgeworfen.

 

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