“Frivole” Argumente

“Es ist immer ein Vergnügen, die Kolumne von Georg Hoffmann-Ostenhof im ‘Profil’ zu lesen. Jedenfalls für mich, der ich fast nie seiner Meinung bin und daher anhand seiner Argumente meine eigenen Gedanken sinnvoll ordnen kann”, schrieb unlängst Rudolf Taschner in der Presse. Ich kann ihm nur teilweise zustimmen. Zwar bin auch ich “fast nie” der Meinung Hoffmann-Ostenhofs, doch bereitet es mir kein Vergnügen, seine Kolumnen zu lesen. Vielmehr bin ich immer wieder über die Argumente erstaunt, mit denen er seine Meinungen zu begründen versucht. Nehmen wir als Beispiel seinen aktuellen profil-Beitrag “Keine Angst vor den Moslems!”

Hoffmann-Ostenhof vertritt darin die Ansicht, die islamistische “Terrorismuswelle” der vergangenen Jahre sei “im Abebben begriffen”, während gleichzeitig die “antiislamische Hysterie” aufblühe. Meinungsumfragen in der islamischen Welt würden belegen, dass die Attraktivität des “Oberterroristen” Bin Laden “laufend und drastisch zurückgegangen” sei. Darüber hinaus würden “radikale islamistische Parteien” auch bei Wahlen regelmäßig schlecht abschneiden. “Selbst in Pakistan, das ein ernsthaftes Terrorproblem hat, bringen die Dschihadisten bei Wahlen keinen Fuß auf den Boden.” Die selektive Wahrnehmung Hoffmann-Ostenhofs geht hier Hand in Hand mit seiner begrifflichen Unschärfe. Einerseits ignoriert er, dass etwa aus den letzten palästinensischen Wahlen die Hamas, die vielleicht sogar er als “radikale islamistische Partei” bezeichnen würde, als Sieger hervorgegangen ist. Dass “Dschihadisten” vom Schlage eines Bin Laden andererseits bei Wahlen nicht reüssieren, hat einen einfachen Grund: Sie halten Wahlen für unislamisch und sprengen, soweit sie dazu in der Lage sind, Wahllokale mitsamt der Wähler in die Luft.

“Die Terroristen der Al Kaida sind zudem auch real schwer geschwächt. Die seit dem 11. September 2001 immer wieder angekündigten großen Schläge gegen den amerikanischen Erzfeind sind ausgeblieben. Bin Ladens Truppe soll auf einige wenige hundert Mann zusammengeschrumpft ein.” Warum das so ist, weiß Hoffmann-Ostenhof vermutlich, aber weil es ihm so ganz und gar nicht in den Kram passt, verschweigt er es lieber. Immerhin hat er nicht jahrelang gegen den War on Terror an- und ihn als Irrsinnsprojekt des “Verrückten” im Weißen Haus beschrieben, um jetzt einzugestehen, dass er einfach Erfolge zu verzeichnen hat. Die Terroristen sind also “real schwer geschwächt”. Warum nur? Schlechte Ernährung? Haben sie einfach die Lust verloren? Oder könnte es nicht vielleicht doch eher daran liegen, dass sie auf der Flucht sind und ihre Strukturen durch den Einsatz amerikanischer und verbündeter Soldaten so weit zerstört wurden, dass sie zu den “großen Schlägen gegen den amerikanischen Erzeind” einfach nicht in der Lage waren? Warum es seit 9/11 zu keinen Anschlägen in den USA mehr gekommen ist, ist auch nicht schwer zu erklären, aber wieder macht die Ideologie Hoffmann-Ostenhof einen Strich durch die Rechnung. Wie könnte er, der die Terrorabwehrmaßnahmen der USA sicher unter dem Stichwort “antiislamische Hysterie” verbucht, denn nun auch zugeben, dass all die von ihm kritisierten Maßnahmen bislang ihren Zweck erfüllt haben? “Sagen wir es ein wenig frivol: Islamismus ist einfach nicht mehr à la mode.” Was daran “frivol” sein soll, bleibt Hoffmann-Ostenhofs Geheimnis. Klar ist hingegen: Es ist, gelinde gesagt, ein wenig unredlich, mit den Erfolgen eines Kampfes hausieren zu gehen, gegen den man jahrelang sturmgelaufen ist.

Dass intellektuelle Redlichkeit nicht unbedingt zu Hoffmann-Ostenhofs Stärken zählt, ist freilich keine weltbewegend neue Erkenntnis. Manchmal übertrifft er sich allerdings selbst. Zum Beispiel mit diesem “Argument”: Islam und Demokratie, so behauptet er, seien natürlich bestens vereinbar. Gut, es “mag ja sein”, dass der Islam sich “mit der Moderne noch nicht so recht arrangiert hat. Da ist noch viel zu tun. Vor allem in den arabischen Ländern.” Die sind zwar in der islamischen Welt nicht ganz unbedeutend, interessieren Hoffmann-Ostenhof aber nicht weiter. “Aber sonst? Das größte islamische Land, Indonesien, ist eine funktionierende und florierende Demokratie. Pakistan, Bangladesch und Indien (mit 120 Millionen Moslems) können nicht nur auf lange demokratische Erfahrungen zurückblicken, sie hatten auch bereits gewählte weibliche Staatsoberhäupter, lange bevor die meisten westlichen Länder solch ein ‘Experiment’ wagten.”

Überprüfen wir das Argument, indem wir die Daten zu Rate ziehen, die von Freedom House über den Stand der Freiheit in der Welt zusammengetragen werden. Indonesien wird von Freedom House tatsächlich als “frei” charakterisiert. Als Beispiel für eine “funktionierende und florierende Demokratie” kann es aber nur dienen, wenn man veschweigt, dass das Land bis 1998 von General Suharto als eiserne Diktatur geführt wurde, die in ihrem Kampf gegen die Kommunisten seit den späten sechziger Jahren mindestens eine halbe Million Menschen ermordet hat. Erst 1999 konnten die Indonesier zum ersten Mal seit 45 Jahren wieder in freien Wahlen über die Zusammensetzung des Parlaments bestimmen. Bedenkliche Entwicklungen finden heute vor allem auf der regionalen Ebene statt. Da wird es Frauen schon einmal per Gesetz verboten, Hosen zu tragen. Das Provinzparlament in Aceh wollte erst im vorigen Jahr Steinigung als Strafe für Ehebruch und Auspeitschen als Bestrafung für Homosexualität einführen.

Bei den anderen von Hoffmann-Ostenhof genannten Beispielen für das harmonische Zusammenwirken von Demokratie und Islam sieht es noch schlechter aus. Sowohl Pakistan als auch Bangladesch werden von Freedom House nur als “teilweise frei” eingestuft. Pakistan wurde seit seiner Gründung 1947 im Wesentlichen von Militärdiktaturen geführt; der letzte Diktator, Pervez Musharaf, trat erst 2008 zurück. Explizit hält Freedom House fest: “Pakistan is not an electoral democracy. A civilian government and president were elected in 2008, ending years of military rule, but the military continues to exercise de facto control over many areas of government policy.” Dazu kommt noch die massive Unterstützung, die der pakistanische Geheimdienst islamistischen Terrorgruppen zukommen lässt – die Taliban würden ohne diese Hilfe in ihrer heutigen Form genauso wenig existieren wie die islamistischen Terrorgruppen in Kaschmir. Bangladesch, auch nicht arm an einer Vergangenheit von Militärdiktaturen, wird von Freedom House erst seit 2008 wieder als “electoral democracy” bewertet. Das Land wird – wie auch Indonesien und Pakistan – von chronischer Korruption geplagt. Obwohl sich die Menschenrechtslage langsam verbessert, bestehen noch gravierende Probleme. Besonders bedenklich ist nach wie vor die Lage der Frauen: “Rape, dowry-related assaults, acid throwing, and other forms of violence against women occur regularly.” Gemäß islamischem Recht werden sie in zivilrechtlichen Fragen (Scheidungen, Erbschaften etc.) diskriminiert. Frauen- und Kinderhandel stehen noch immer auf der Tagesordnung, selbst wenn die Regierung in den letzten Jahren dagegen vorzugehen versucht.

Damit bleibt als letztes Beispiel Hoffmann-Ostenhofs für “lange demokratische Erfahrungen” in der islamischen Welt noch – Indien. Nicht nur die Inder dürften sich darüber wundern, als Verkörperung einer islamischen Demokratie präsentiert zu werden. Obwohl, ein Beispiel findet Hoffmann-Ostenhof doch noch: die Türkei, deren Führer Erdogan “heute in der arabischen Straße als absoluter Superhero verehrt wird.” Dass die Türkei unter Erdogan sich zunehmend vom Westen abwendet und sich mit dem antisemitischen Islamistenregime in Teheran genauso blendend versteht wie mit den Judenmördern der Hamas, das sagt Hoffmann-Ostenhof natürlich nicht dazu.

Und er verschweigt das Problem, das Hamed Abdel-Samad so formuliert: “Selbstverständlich können Länder wie die Türkei, Indonesien und Malaysia nicht mit der arabischen Welt gleichgesetzt werden. … Doch der Einfluss dieser Länder auf den Rest der islamischen Welt in den Bereichen Bildung und Theologie ist leider marginal. Umgekehrt ist der Einfluss von Saudi-Arabien und Ägypten auf die Türkei, Indonesien und Malaysia ganz erheblich, was zur zunehmenden Rückbesinnung auf den Islam und einer deutlichen Zurücknahme vieler demokratischer Prozesse auch dort führt.”

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