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PACE NON C'È SENZA LIBERAZIONE!*

RECLAIM THE RAINBOW!

 
Eine Intervention zum Christopher Street Day 2003

Im Frühjahr hingen Regenbogenfahnen aus Fenstern und von Balkonen. "So viel Bekenntnisdrang, da wird mir ganz schwummrig!", werden all jene gedacht haben, die sich, wie auch immer, zur queer community rechnen. Aber die Fahne sah genauer betrachtet ein wenig anders aus, als jene altbekannte. Sie besitzt einen zusätzlichen Streifen in türkis und die Buchstaben P, A, C und E sind mit weißem Stoff draufgenäht. Für Frieden also, auf italienisch. Und wer ist nicht für Frieden? Aber fangen wir von vorne an.

Alex Zanotelli, 65, ist katholischer Priester, der Mann des Vatikans in den Reihen der alternativen Linken Europas und ein prominentes Aushängeschild der Anti-Globalisierungsbewegung in Italien, wo er gemeinsam mit Auschwitz-Relativierern wie Noam Chomsky auftritt, dem amerikanischen Stichwortgeber der No-globals. Im Rahmen des Europäischen Sozialforums der Anti-Globalisierungsbewegung im September 2002 initiierten die Missionare um Zanotelli in verschiedenen italienischen Städten Demonstrationen unter dem an George Orwell gemahnenden Kampagnenmotto "Giubileo degli oppressi" - Jubelfeier der Unterdrückten. Auf einer dieser Veranstaltungen, so berichteten italienische Medien später, wurde erstmalig die Überlegung diskutiert, eine abgewandelte Regenbogenfahne für politische Stellungnahmen zum gegenwärtigen Krieg zu verwenden. Doch ob Zanotelli selbst der Erfinder war, darüber streiten sich die journalistischen Legendenschreiber: Während die "Agenzia Giornalistica Italia" die Idee auf ihn selbst zurückführte, schrieb die italienische Ausgabe des International Herald Tribune sie dem Neffen eines der teilnehmenden Xaverianer-Missionare zu: "Wir sollten eine Kampagne starten und sie ,Frieden von jedem Balkon' nennen ... Die Kampagne fiel in der Öffentlichkeit auf fruchtbaren Boden. Dabei half es, dass die Fahnen ästhetisch ansprechend sind und eine positive Aussage transportieren."

Aus der vatikanischen Regenbogen-Initiative und der bereits vorhandenen Vertriebsinfrastruktur des katholischen Klerus entstand schnell eine erfolgreiche politische Marketingkampagne. Im Laufe des Herbstes und Winters wurde die "Pace"-Fahne zum Verkaufsschlager und verbreitete sich von Italien über die Schweiz nach Frankreich, Österreich und Deutschland sowie schließlich über ganz Westeuropa; atheistische Organisationen stiegen als Wiederverkäufer ein. Als im Februar 2003 der Absatz seinen Höhepunkt von 15.000 Stück täglich erreichte, stellte die Näherei Adria Bandiere, die im Auftrag der katholischen Kirche die Fahnen produziert, auf 13-Stunden-Schichten um und übertraf in einem einzigen Quartal ihren bisherigen Jahresumsatz. Mit der Befreiung des Irak von der trikontinental-faschistischen Baath-Herrschaft hat der Absatz zwar seinen vorläufigen Zenit überschritten, doch noch dauert die päpstliche Kampagne für den Erhalt terroristischer Diktaturen im Namen des Friedens an. Das Hijacking des Regenbogens durch die Antiimperialisten vom Petersplatz hat dauerhafte Folgen: Drei Millionen Exemplare wurden allein in Italien verkauft, und auch in anderen europäischen Ländern wird das geraubte Symbol noch oft in der Öffentlichkeit gezeigt - die bunte Fahne mit den vier Buchstaben ist jetzt das Erkennungszeichen jener verschämten Antiamerikaner, die keine sein wollen. Seit Gilbert Baker in San Francisco in Anspielung auf Judy Garlands "Somewhere over the rainbow" vom Vorabend des zweiten Weltkriegs das wichtigste Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung entworfen hatte, stand der Regenbogen für die Wertvorstellungen, die sich in der Folge von Stonewall 1969 entwickelten: den Kampf darum, ohne Angst verschieden sein zu können. Und unabhängig davon, dass die Regenbogenfahne in dem Maße zum beliebigen Zeichen wurde, wie die Bewegung an ihrem scheinbaren Erfolg zugrunde ging, gibt es durchaus Gründe, gegen die päpstliche Vereinnahmung des Regenbogens Widerspruch anzumelden, weil es dieser Bewegung genau um das Gegenteil des Emanzipationskampfes von sexuellen Minderheiten geht:
Ausgrenzung von Andersdenkenden, Unfehlbarkeitsansprüche, das Bündnis mit homophoben Terroristen und völkischen Diktaturen sowie das zustimmende Schweigen zur islamistischen Geschlechterapartheid. George Orwell hätte keine bigottere politische Verdrehung erfinden können als Karol Woytilas Anti-Globalisierungsfachmann. Der Klerus und die Antiimperialisten haben den Regenbogen instrumentalisiert, um ihren Hass auf alles, was sie für westlich halten, in "ästhetisch ansprechender" Verpackung zu präsentieren - eben jener, die das Beste am Westen, die sexuelle Emanzipation, sich einst als Symbol gesucht hatte. Und so konnte es nicht ausbleiben, dass einige wenige katholische Ewiggestrige, die den Schwindel nicht verstanden, aufschrieen, als Padre Zanotelli wenige Tage nach Beginn der Operation "Iraqi Freedom" in Rom am regenbogendekorierten Altar die jährliche Gedenkprozession für Oscar Romero zum antiamerikanischen Aufmarsch umfunktionierte: Es stehe der ehrwürdigen Kirche nicht an, die Farben des Lasters zu übernehmen, so ihr berechtigter Einwand. Doch flugs war das "Pace"-Marketing mit einem eigenen Geschichtsbild-Update zur Stelle: Schon vor Jahrzehnten sei der Regenbogen Symbol "der italienischen Friedensbewegung gewesen", und zum Beleg dafür mussten ausgewählte Bilder von vereinzelten Auftritten von Xaverianer-Mönchen auf politischen Demonstrationen herhalten, die unter den Farben, die in der Bibel für das Ende der Sintflut stehen, für ihre Missionarstätigkeit warben. Der damit formulierte Anspruch war klar: Auch wenn damals in Italien von einer politischen Bewegung unter dem Regenbogen keine Rede sein konnte, gehörte das Symbol schon immer denen, die es heute vermarkten. Die Lesben und Schwulen haben es sich nur zeitweilig geborgt und müssen den homophoben Wortführern des Friedens mit dem Islamismus und dem panarabischen Nationalismus im Grunde noch dankbar dafür sein.

Die politische Voraussetzung für den Rosa Winkel der Nazis war der Bruch mit dem libertären Geist der Zwanzigerjahre. Die Nazis überließen aber in diesem Falle der Linken die Rolle der homophoben Avantgarde, die das "reine" Deutschland vor den "perversen" Nazis retten wollte. Damals kritisierte der Westemigrant Klaus Mann die homophobe Diffamierungskampagne der Weimarer Linken gegen den nationalsozialistischen Terroristenführer Ernst Röhm, weil sie einem gefährlichen antiemanzipatorischen Rollback den Weg bereiten könnte. Vergeblich. Heute wendet sich die Linke zwar gegen katholische homophobe Obermullahs wie Kurt Krenn, alliiert sich aber mit dem Islamismus, der in seiner vorherrschenden saudisch-wahabitischen Variante die Homosexualität ihrer theokratisch feststehenden Nichtexistenz durch Steinigung zuführen will. Die Friedensfreundinnen und -freunde unter der "Pace"-Fahne schweigen peinlich berührt dazu, dass Schwule in den islamistischen Diktaturen mit der Rechtfertigung verfolgt werden, dass sie mit dem Feind kollaborierten, weil sie seine wesensfremde westliche Lebensweise übernähmen und Produkte eines perfiden Kulturimperialismus seien. Es war kein Zufall, dass sich das Stonewall Inn 1969 in New York City, USA, befand; es ist kein Zufall, dass die Lesben- und Schwulenbewegung der Vereinigten Staaten die selbstbewussteste community auf diesem Planeten darstellt.

Die "Pace"-Fahne ist ganz und gar kein Zeichen der Liberalisierung des Stellvertreters Gottes auf Erden und seiner linken wie faschistischen Bündnispartner, sondern der Versuch, auch noch den Regenbogen zu einer Verpackung zu machen, in der uns die Homophobie entgegentritt, die dem politischen Gottesgnadentum - ob islamisch oder christlich - notwendigerweise zu eigen ist. Deren Ausprägung in den palästinensischen Autonomiegebieten bedeutet für Schwule dort nicht nur Morddrohungen durch ihre Familien, sondern auch körperliche Übergriffe durch Vertreter der Autonomiebehörde. So setzt die Polizei in Flüchtlingslagern Spitzel ein, die sich als Schwule tarnen, um ihre Sexpartner dann ebenso als verdeckte Sex-Ermittler anzuwerben - anderenfalls drohen Haftstrafen, Vergewaltigung durch Polizeibeamte, Folter.
Dazu gehört während des Verhörs ausgezogen zu werden, bis zum Hals in Abwässern stehen zu müssen, den Kopf bedeckt mit einem Sack voll Fäkalien, und dann in eine dunkle Zelle geworfen zu werden, die mit Insekten und anderen Lebewesen verseucht ist, das Verhungern und Verdursten Lassen, Schneiden mit Glasscherben, Toilettenreiniger in die Wunden zu gießen. Auf Anfragen zu diesem Thema teilten offizielle Stellen in der Palästinensischen Autonomiebehörde mit, man habe kein Problem mit diesem Thema, da "es keine Homosexuellen gibt, die in den Autonomiegebieten leben", so Freikh Abu Meday, ehemaliger Justizminister der Palästinensischen Autonomiebehörde. Die Schikanierung von Schwulen ist aber nicht die Tat einzelner Schwulenfeinde in den Institutionen der PNA, sie ist praktisch offizielle palästinensische Politik. "Die Verfolgung von Schwulen unter der palästinensischen Autonomiebehörde kommt nicht nur von den Familien oder den islamischen Gruppen, sondern von der Autonomiebehörde selbst", sagt Shaul Ganon von Agudah, einem Verband von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgenders in Israel.

Zwar gibt es in den palästinensischen Gebieten eine Reihe von Organisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzen. Doch wurde nach israelischen Berichten erst kürzlich eine palästinensische Organisation für die Rechte der Frauen verboten und ihre Aktivitäten als gesetzeswidrig bezeichnet. Die meisten der "Menschenrechtsorganisationen" der Palästinensischen Autonomiegebiete stehen nach Angaben der Agudah zudem unter der Aufsicht radikalislamischer Bewegungen, wie dem Islamischen Jihad, Hamas, etc. Wie in vielen anderen muslimischen Ländern wird Homosexualität auch in der Palästinensischen Autonomiebehörde als "Verbrechen gegen den Islam" verfolgt. In einigen Fällen wurden palästinensische Männer als Kollaborateure der Zusammenarbeit mit dem Staat Israel bezichtigt und einem Familiengericht übergeben.

Weil die Welt die palästinensische Autonomiebehörde nicht dazu gezwungen hat, Schwule zu akzeptieren, suchen palästinensische Homosexuelle in zunehmendem Maße Zuflucht in dem einzigen Staat der Region, der Schutz bietet: Israel. In den letzten Jahren haben sich hunderte von schwulen Palästinensern, hauptsächlich aus der West Bank, nach Israel eingeschlichen. Mit einem Hilfsprogramm zur Unterstützung homosexueller Menschen in den Palästinensischen Gebieten versucht die "Agudah" in Israel seit diesem Frühjahr, Hilfestellung für politisch verfolgte Palästinenserinnen und Palästinenser zu leisten. Angeboten wird Hilfestellung bei der Unterkunftsbeschaffung in Israel und bei der Ausstellung von Aufenthaltsgenehmigungen durch israelische Behörden; Lobbyarbeit bei der internationalen Öffentlichkeit; Unterstützung bei der Antragsstellung für ein Asyl und Anerkennung als "Flüchtlinge" in westlichen Ländern; Bereitstellung eines örtlichen Krisentelefons auf Arabisch.

Auf den Massenaufmärschen des alten Europa im vergangenen Winter wehte der gestohlene Regenbogen neben der Maschinenpistole auf dem gelben Banner der Hamas, den saudischen Säbeln auf der grünen Flagge des Jihad und der Fahne Saddam-Iraks. Das ungefragt übernommene Symbol hat nicht dazu beitragen können, den Friedensbewegten die sexualemanzipatorischen Voraussetzungen des Friedens nahe zu bringen, sondern im Gegenteil dem antiamerikanischen Ressentiment ein neues Erkennungszeichen verschafft. Von 1978 bis 2002 war der Regenbogen in der öffentlichen Wahrnehmung queer. Artikuliert sich kein Widerspruch, so wird er von jetzt an mit dem antiamerikanischen Wahn assoziiert, der Saddam an der Macht belassen wollte, den Islamismus und panarabischen Nationalismus mit einer antiisraelischen "Entspannungspolitik" umarmen möchte und jede Freiheit der/des Einzelnen der Ideologie seiner neuen Bündnispartner zu opfern bereit ist.

PACE NON C'È SENZA LIBERAZIONE!

KEIN FRIEDEN OHNE BEFREIUNG!

Basisgruppe Politikwissenschaft
Café Critique
Ökoli Wien
queer.for.israel
Gegen den nationalen Konsens


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