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Krieg als kommunikatives Handeln

von Gerhard Scheit

(konkret 10/2001)

 
Kein Zweifel, Jürgen Habermas hat sich den Friedenspreis des deutschen Buchhandels redlich verdient: Daß dieser Sozialphilosoph den "Weg der Bundesrepublik Deutschland ebenso kritisch wie engagiert begleitet habe", so die Kommission, gilt für jede Stufe seiner Karriere und für jede Phase in der Geschichte dieses Staats. Von den Gefahren des "Linksfaschismus" in der Studentenbewegung bis zur "Verrechtlichung" Südosteuropas durch die Bundeswehr - immer ist es Habermas gelungen, Momente der Kritik ins Engagement für den Staat zu transformieren. Und dabei handelt es sich nicht um irgendeinen Staat.
Wenn es stimmt, daß die westliche Universalisierung der kapitalisierten Gesellschaft aufs Neue einer deutschen Sonderform konfrontiert wird, die doch ihr eigenstes Produkt ist, so muß darum die Sonderform nicht mehr als nationalsozialistischer Staat wiederauferstehen. Hat doch dieser Staat selbst die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß er den Deutschen nicht mehr unbedingt notwendig erscheint. Damit beginnt Deutschland im Innern jenen Gegensatz zu produzieren, in dem es sich nach außen hin gegenüber dem Westen befindet. (Und die Politik der Preisvergabe hat ihm selbstverständlich zu gehorchen; wie wäre es mit Sloterdjik als nächstem Kandidaten?)
Deutschland gewinnt also eine neue Identität, worin der einstmals in toto befehdeten Universalisierung nunmehr im Inneren ein fester Platz eingeräumt wird: hier darf über die normativen Begründungen verfassungspatriotisch nachgedacht und über jeden Kriegseinsatz parlamentarisch debattiert werden. Aber aufgelöst wird schließlich alles dann doch ganz im Sinne des äußeren Gegensatzes, die Universalisierung findet sich in der Sonderform wieder aufgehoben.
In seinem Artikel zum Krieg gegen Jugoslawien (Die Zeit 18/1999) betont Habermas zunächst die Einheit von USA und Deutschland bzw. Europa - gerade um jeden Verdacht abzuwehren, es handle sich um partikuläre Interessen, die sich hinter der universalistischen Rechtfertigung verbergen würden. Dann aber geht er selbst dazu über, zwischen USA und Deutschland zu differenzieren, indem er die USA verdächtigt, partikuläre Interessen zu haben. Er spricht von einem "interessanten Unterschied": Die USA betrieben "die globale Durchsetzung der Menschenrechte als die nationale Mission einer Weltmacht, die dieses Ziel unter Prämissen der Machtpolitik" verfolge. Den "meisten Regierungen der EU" hingegen gehe es um "ein Projekt": eine durchgreifende "Verrechtlichung internationaler Beziehungen".
Während Europa Zugute gehalten wird, was nach Richard Wagner deutsch ist: die Sache um ihrer selbst willen treiben, also die "Partei zu sein, die für das Ganze handeln will" (Habermas), wird den USA behutsam unterstellt, die Menschenrecht zu instrumentalisieren für ihre letzten Endes doch partikuläre Machtpolitik: "Eine Sache ist es, wenn die USA in den Spuren einer wie auch immer bemerkenswerten politischen Tradition die menschenrechtlich instrumentierte Rolle des hegemonialen Ordnungsgaranten spielen. Eine andere Sache ist es, wenn wir (!) den prekären Übergang von der klassischen Machtpolitik zu einem weltbürgerlichen Zustand über die Gräben eines aktuellen, auch mit Waffen ausgetragenen Konflikts hinweg als gemeinsam zu bewältigenden Lernprozeß verstehen. Die weiter ausgreifende Perspektive mahnt auch zu größerer Vorsicht. Die Selbstermächtigung der Nato darf nicht zum Regelfall werden." Und über die Ausnahmen sollen künftig "wir" entscheiden. Dazu aber bedarf es "einer besonderen Sensibilität". Der feine Unterschied zu Carl Schmitt: Der Souverän, der per definitionem über die Ausnahme zu entscheiden hat, möge es einfühlsam tun.
Dieser Lernprozeß einer neuen deutschen Identität mit erhöhtem Sensibilitätsbedarf hat sehr früh begonnen: 1953 entwarf der junge Philosophie-Doktorand bereits in der FAZ eine Art Programm für die Republik, als er die Wiederveröffentlichung der Vorlesungen Heideggers aus dem Dritten Reich kritisierte: "Läßt sich auch der planmäßige Mord an Millionen Menschen, um den wir heute alle wissen, als schicksalhafte Irre seinsgeschichtlich verständlich machen? ... Ist es nicht die vornehme Aufgabe der Besinnlichen, die verantwortlichen Taten der Vergangenheit zu klären und das Wissen darum wachzuhalten? ... Statt dessen veröffentlicht Heidegger seine inzwischen 18 Jahre alt gewordenen Worte von der Größe und der inneren Wahrheit des Nationalsozialismus, Worte, die zu alte geworden sind und gewiß nicht zu denen gehören, deren Verständnis uns noch bevorsteht. Es scheint an der Zeit zu sein, mit Heidegger gegen Heidegger zu denken."
Neue Worte sind erfordert: Statt Seinsgeschichte hieß es zunächst Strukturwandel der Öffentlichkeit, statt schicksalhafte Irre bürgerliche Gesellschaft. Habermas wurde Assistent Adornos am Frankfurter Institut für Sozialforschung. Horkheimer, der auf jeden antiamerikanischen Unterton idiosynkratisch reagierte, lehnte Habermas ab, kritisierte seinen ungebrochenen Bezug auf den frühen Marx, insbesondere auf dessen Volksbegriff, und die Ignoranz gegenüber dem Spätwerk, dem Kapital, die sich auf die Empirie berief:
"Was da großartig 'die korrekte Einschätzung der marxistischen Kritik' genannt wird, läuft auf nichts anderes als auf simple Zweckforschung hinaus. Die Kritik müsse 'in der Fragestellung zwar aller einzelwissenschaftlichen Untersuchung vorausgehend, sich die Bedingungen der Möglichkeit dessen, worauf sie abzielt, von empirischen Analysen geben und beweisen lassen'. Eben das tut der Chemiker, nur verführt er kein so eitles Gerede dabei." (Brief an Adorno vom 27.9.1958)
Horkheimers panisches Szenario, daß Deutschland sich zusammen mit dem "totalitären" Osten gegen die USA wenden könnte, hat mit seinen Erfahrungen der dreißiger Jahre zu tun und nimmt etwas von der heutigen Situation vorweg. Sein Wahrheitsmoment liegt in dem Wissen, daß die Krise im sogenannten Wirtschaftswunder nur stillgestellt, nicht beseitigt war. Habermas' "marxistische" Phase jedoch lief darauf hinaus, die Krise zu depotenzieren und aus der Theorie eine Art Frühwarnsystem zu machen. Bereits Anfang der sechziger Jahre hatte er sich von den empirischen Analysen die Bedingungen dessen, was möglich ist, geben lassen: "eine fortschreitende Demokratisierung der Gesellschaft ist auch innerhalb der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nicht von vornherein ausgeschlossen - eine Version von demokratischem Sozialismus, die freilich von Marx genug gelernt und auch behalten hat, um nicht über die Entfaltung und Sicherung des sozialen Rechtsstaats die widerstrebenden Tendenzen aus dem Auge zu lassen, die sich im Verwertungsprozeß des Kapitals je von neuem und mit wachsenden Gefahren für die junge und verwundbare Regierungsform der sozialistischen Massendemokratie erneuern."
Von Adorno und Horkheimer hatte Habermas genug gelernt, um deren Tendenzen zu totalitarismustheoretischer Gleichsetzung im Schlagwort vom "Linksfaschismus" so zuzuspitzen, daß die herrschende Ordnung aussichtsreich gegen wiederstrebende Tendenzen verteidigt werden konnte. Im übrigen aber brach er - unter dem beibehaltenen Markennamen "kritische Theorie" mit allen Einsichten der kritischen Theorie: aus Adornos Kritik am falschen Ganzen wurde die deutsche Parteinahme, "die für das Ganze handeln will". Daß da in Deutschland auch noch - und in steigendem Maß - andere handeln und mit Heidegger für Heidegger denken wollen (Derrida erhält übrigens den Adorno-Preis), verschafft Habermas eigentlich erst die notwendige Distinktion. Es ist das Ansehen eines etwas älteren, reputierlich zivilisierten Bundeswehr-Offiziers, der sich während des gemeinsamen Einsatzes in Südosteuropa mit den immer unverschämteren Anschauungen seiner jüngeren Kameraden herumschlägt.

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