>> blog        >> textarchiv         >> publikationen         >> audio        >> filme         >> kontakt         >> links [>>|]  
 
 

Kreiskys Erben? Hitlers Erben.

von Gerhard Scheit

(konkret 12/2000)

 
Wenn einer glaubt, es könne keine Steigerung mehr geben, wird er in Österreich stets eines Besseren belehrt: hier ist alles immer noch mieser als anderswo - auch der Antiimperialismus.
Sie schreien (noch) nicht: Treibt die Juden ins Meer, aber sie wollen "vom Jordan bis zum Meer" ein "arabisches Palästina" - "mit freier Religionsausübung für Moslems, Christen und Juden!" (man beachte die Reihenfolge und das Rufzeichen); wenn es damit bei den letzteren nichts wird, ist dafür gewiß antiimperialistisches Verständnis aufzubringen. Sie bestehen auf einem "arabischen Staat in GANZ PALÄSTINA" und fordern von allen Linken, "BEDINGUNGSLOS auf der Seite der Palästinenser und Araber" zu stehen.
Daß es jedenfalls kein Israel mehr geben darf, das sagt den bedingungs- und besinnungslosen Antiimperialisten der "Österreichischen Sektion der Internationalen Leninistischen Strömung" (RKL) oder der "Antiimperialistischen Koordination" (AIK), die fortlaufend ihre e-mails verschicken und jeden Freitag in Wien demonstrieren, der gesunde historische Menschenverstand. "Die Geschichte hat gezeigt, daß Israel nur als imperialistischer Agent existieren kann. Was an dieser Position antisemitisch sein soll, ist uns schleierhaft." Dieser Schleier wird sich auch nicht mehr heben, denn Geschichte wird phantasiert als Kampf der Nationen und Völker gegen eine internationale Verschwörung, die neuerdings unter dem Markenzeichen Globalisierung firmiert. Bei diesen "Leninisten" ist keine Rede mehr von Kapital und Staat im Sinn von Marx; und statt zu überlegen, in welchem Verhältnis der "Spiegel"-Jargon der "Globalisierungsfalle", den sie bedienen, zu den Begriffen Lenins steht, auf den sie sich doch berufen, fördern sie unfreiwillig die eigentliche Funktion jenes Jargons zutage: Auf der homepage der RKL ist von einer "westlichen Parasitengesellschaft" die Rede, die Nationalitäten "entwurzelt".
Als Brückenkopf der Globalisierung oder des Parasitentums ist wie von jeher Israel im Visier - und dagegen jeder Widerstand willkommen: "Jeder Widerstand gegen dieses Weltsystem ist fortschrittlich. Die Formen, die dieser Widerstand annimmt, sind entscheidend dafür, ob er siegreich sein kann, ändern aber nichts an dem grundsätzlich fortschrittlichen Charakter." (RKL) Auch der Antisemitismus gilt offenbar als eine solche Formsache. In Wahrheit ist er der Inhalt und der Antizionismus die Form. Das wird an der Darstellung Sharons deutlich: die Gleichsetzung mit Hitler, Küssel oder Haider erlaubt es, unmittelbar antisemitisch zu werden: "Ein Großgrundbesitzer wie Haider. No das private, das ist ja der succus von Politik!" (AIK)
Die "Volksstimme", Wochenzeitung der österreichischen Staatskommunisten (KPÖ), bringt ein Dossier zum Nahen Osten (26.11.) - und wird darin ihrem Namen gerecht: Kein einziger Satz, der das Existenzrecht Israels anerkennt. Und das ist logisch, denn es findet sich ja auch kein einziges Wort über Nationalsozialismus und Antisemitismus. Dafür ist das innenpolitische Ressort ("Widerstand gegen Schwarzblau!") oder noch besser die Spielwiese des Feuilletons ("Ingeborg Bachmann - auf der Seite der Opfer") zuständig. Die Totalität des Unwahren wird hier eben stets nach politisch praktikablen Branchen sortiert.
Ein Foto des Dossiers zeigt ein palästinensisches Kind mit Maschinengewehr, Werner Pirker bezeugt auf der nächsten Seite, daß die Palästinenser nur mit Steinen werfen. Wenn der antizionistische Identitäts-Wahn einmal losgelassen ist, bemerkt niemand mehr solche Fehlleistungen. Es ist immer derselbe zwanghafte Mechanismus: der Konflikt wird aus dem Zusammenhang der eigenen Geschichte und des allgegenwärtigen Antisemitismus herausgelöst, um dadurch Palästinenser und Israelis als Identifikationsobjekt und Projektionsfläche der eigenen Identität zuzurichten.
Vom Nationalsozialismus spricht dieser besessene Antiimperialismus überhaupt nur, wenn er von einer antinationalen Gruppe wie der "Ökologischen Linken" dazu gezwungen wird. Dann läßt etwa die RKL ein paar politisch-korrekte Phrasen abschnurren: "Wir möchten festhalten, daß für uns der Holocaust an den Juden qualitiativ und quantitativ nicht mit den Verbrechen an den Palästinensern vergleichbar ist, auch wenn beides kapitalistisch-imperialistische Völkermorde darstellen. Für uns ist die jüdische Religionsgemeinschaft in keiner Weise für die Brutalitäten Israels verantwortlich. Der Zionismus ist eine sekuläre rassistische Ideologie und ein politisches Projekt des Imperialismus, das durch den nazistischen Antisemitismus leider (!) zur politischen Mehrheitsströmung unter den Juden wurde." Was aber als politische Mehrheitsströmung unter den Juden allein zulässig wäre, das haben eben nicht die Juden zu bestimmen. Wird doch ihr Judesein geradezu darin begründet, daß sie im Gegensatz zu allen anderen nur denkbaren Völkern kein Recht auf einen Staat haben.
Im Falle Südosteuropas tritt man durchaus für ein "multinationales Serbien und Jugoslawien", eine "demokratische, antiimperialistische Balkanföderation" ein. Aber die Idee eines multinationalen Israel liegt den Spätleninisten so fern wie die freie Assoziation der Individuen ohne nationalen Zwangszusammenhang. Warum? Weil Israel in diesem Bewußtsein als Inbegriff des Imperialismus fungiert. Und warum fungiert Israel als Inbegriff des Imperialismus? Weil die Juden das verkörpern, was man unter Kapital (miß)versteht - den staatenlosen Reichtum.
Haider hatte so Unrecht nicht, als er die FPÖ die PLO von Österreich nannte. Es geht eben überall um den Kampf gegen die Juden. Und den Juden gegenüber stellt sich, wie Adorno und Horkheimer wußten, "die Volksgemeinschaft automatisch her". Die rabiate und ratzekahle antiisraelische Linke ist im Äußeren ungefähr so weit wie Haider im Inneren - nur hat sie bei weitem weniger Einfluß. Aber so einflußlos sie auch ist, es handelt sich wirklich um eine Avantgarde: "Keine europäische Unterstützung für Israel!" lautet eine ihrer obersten Forderungen. Und dorthin bewegt sich Europa, wie Massenmedien und Politik zeigen, ohnehin - es ist eben eine ganz automatische Avantgarde. So geht sie der blauschwarzen Außenpolitik wie ein Tambourmajor voran: Bei der UN-Resolution war Österreich unter den neun europäischen Staaten, die dem arabischen Antrag der einseitigen Verurteilung Israels zum Durchbruch verhalfen.
Was aber hierzulande nur als linker Aufputz der Volksgemeinschaft auftritt, wird woanders zur unmittelbaren Gefahr. War die Sowjetunion auch einmal die mächtigste Bastion des Antizionismus, der wahnhafte Antiimperialismus ist heute im Nahen Osten umso bedrohlicher, weil keine sowjetische Macht mehr existiert, über die der Konflikt reguliert werden könnte - wie es im Kalten Krieg dank des übergeordneten Verhältnisses der beiden Supermächte immer wieder möglich war. Was sich vielmehr abzeichnet, ist die Konkurrenz zwischen Europa und USA auf Kosten Israels, eine Art zweites Kosovo.
Rückblickend erscheint darum auch die "gemäßigte" Nahost-Politik Bruno Kreiskys weniger gefährlich. Aber sie bildet ebenso für Gerhard Schröders neueste Besuchsdiplomatie wie für die Hetze heutiger Islamisten-Leninisten die Voraussetzung - und darin offenbart sie den ganzen Abgrund eines Kompromisses in der postfaschistischen Gesellschaft: die Resultate des Nationalsozialismus zu bejahen, und darauf eine "vernünftige", "fortschrittliche" Politik zu gründen, kann im Inneren wie im Äußeren immer nur den antisemitischen Wahn perpetuieren, bis er eines Tages wieder in großem Maßstab handlungsfähig wird.
Als Hitler im Führerbunker testamentarisch noch einmal die Ausrottung des Bolschewismus beschwor und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den "Weltvergifter aller Völker", das "internationale Judentum" aufrief, bedauerte er insbesondere - und erklärte damit die Niederlage -, daß man eine kühne Freundschaftspolitik mit dem Islam versäumt habe. Das soll jetzt nachgeholt werden.
[DOC][PDF][|<<]