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Markt und Staat in der Globalisierung

Zur Kritik eines falschen Gegensatzes [1]

von Stephan Grigat

(Weg und Ziel, 1/1999)

 
Sowohl in der politischen als auch in der wissenschaftlichen Diskussion über Globalisierung hat in den letzten Jahren eine Wiederbelebung des angeblich grundsätzlichen Gegensatzes von Markt und Staat stattgefunden.
In Österreich ist das zuletzt bei der Aufregung anläßlich der geplanten Übernahme der Supermarktkette Meinl durch den deutschen Rewe-Konzern besonders deutlich geworden. Durch die Fixierung der Kritik von Gewerkschaften, linken Parteien und fortschrittlichen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auf die zerstörerische Kraft des entfesselten Marktes gerät der Staat nicht nur aus der Schußlinie der Kritik, sondern er wird zum positiven Gegenüber des Marktes erhoben. Markt und Staat werden so nicht mehr als zusammengehörige Momente der kapitalistischen Produktionsweise begriffen, die sich nicht entgegenstehen, sondern notwendigerweise ergänzen. Statt dessen werden sie zu gegensätzlichen, sich nahezu ausschließenden Ordnungsprinzipien stilisiert. Gegen solche Vorstellungen einer einfachen Dichotomie, einer simplen Trennung in Markt und Staat soll im Folgenden die Auffassung vertreten werden, daß es sich bei marktvermittelter Vergesellschaftung ebenso wie bei staatlicher Planung um zwei sich zwangsläufig komplettierende Elemente einer Gesellschaft handelt, die ihre Existenz auf die Verwertung des Werts, also die Akkumulation von Kapital, gründet. Damit wird zugleich die eindeutig positive Bezugnahme auf den Staat seitens der Interessenvertreter und -vertreterinnen der abhängig Beschäftigten in Frage gestellt.
Daraus folgt der Widerspruch, daß einerseits die positive Bezugnahme auf den Staat für fortschrittliche Politik und konsequente Vertretung der Interessen der abhängig Beschäftigten notwendig ist, andererseits aber aus dieser Staatsfixierung, die immer auch eine Staatsverteidigung ist, für eine Perspektive, die weiterhin an einer allgemeinen Emanzipation, also einer umfassenden Befreiung der Menschen, festhält, ernsthafte Probleme erwachsen. Um diese Widersprüchlichkeit darstellen zu können, wird zunächst das prinzipielle Verhältnis von Markt und Staat in Gesellschaften mit kapitalistischer Produktionsweise angerissen, und die Veränderungen, die in diesem Verhältnis im Prozeß der Globalisierung seit den siebziger Jahren stattgefunden haben, werden kurz aufgezeigt.

Markt und Staat im Kapitalismus

Gerne wird so getan, als wäre der Markt das Kapitalistische im Kapitalismus, der Staat hingegen das tendenziell Antikapitalistische. Der Markt wird dabei meist im Sinne eines Synonyms für die ökonomische Sphäre begriffen. Der Markt ist aber selbst nur ein Teil des gesamtgesellschaftlichen Produktionsverhältnisses. Die gesamtgesellschaftliche Produktion zerfällt in eine Produktions- und eine Zirkulationssphäre. Letztere ist das, was als Markt bezeichnet wird. Daher ist auch eine Unterscheidung zwischen Kapitalismus und Marktwirtschaft unsinnig, denn die Marktwirtschaft ist nichts anderes als das dem Kapitalismus notwendigerweise zugehörige Zirkulationsverhältnis. [2] Wird der Markt selbst als Wesentliches im Kapitalismus betrachtet — egal ob in affirmativer, also bejahender und verteidigender, oder in kritischer Absicht — so bleibt dadurch die Produktionssphäre, in der die eigentliche Aneignung fremder Mehrarbeit stattfindet, bereits ausgeblendet.
Die schematische Trennung in Markt und Staat ist nur ein besonderer Ausdruck der für kapitalistische Gesellschaften allgemein charakteristischen Trennung des Ökonomischen vom Politischen. [3] Der Markt ist das dem Kapitalismus eigene Modell der Zirkulation; der Staat ist das der Warenproduktion zugehörige organisierte Gewaltmonopol. Bevor der Staat über Sozialgesetzgebungen etc. eine weitgehende Integration der ihm Unterworfenen vollzieht, vollbringt er eine sehr viel ursprünglichere Integration. Er organisiert den stummen Zwang der Verhältnisse und stiftet so die Integration aller Individuen in die kapitalistische Warenproduktion. Erst durch die zwanghafte Verpflichtung aller Individuen auf Kapitalproduktivität und Staatsloyalität erhält der Souverän die Möglichkeit, jene Funktionen wahrzunehmen, die ihm dann von den Unterworfenen hoch angerechnet werden. Der nationalstaatliche Sozialstaat scheint ihnen zwar das positive Gegenprinzip zum zersetzenden Markt zu sein, in Wirklichkeit ist er aber nur dessen adäquate Organisations- und Durchsetzungsform mit historisch jeweils unterschiedlichen Ausprägungen. [4] Als Beispiel kann hier die Arbeitslosenversicherung angeführt werden, die nie die Aufgabe hatte, die Bedürfnisbefriedigung der abhängigen Individuen zu gewährleisten (auch wenn sie das subjektiv mehr oder weniger gut leistet), sondern die objektiv sowohl historisch als auch aktuell die Funktion erfüllt, die individuelle Reproduktion von Subjekten, die für gewisse Zeit aus dem Verwertungsprozeß des Kapitals herausfallen, aufrechtzuerhalten, damit sie als zukünftige Lohnarbeiter oder -arbeiterinnen weiterhin zur Verfügung stehen.
Eine ausschließlich marktförmige Reproduktion des Kapitalismus ist nicht möglich. Der Staat ist immer anwesend, da selbst der Markt letztlich staatlich mitkonstituiert wird. Gegen eine auf den Markt fixierte gesellschaftlich voraussetzungslose Kritik ist daher darauf hinzuweisen, daß im Rahmen bürgerlicher Vergesellschaftung grundsätzlich von einer politischen Regulation in ökonomischen Prozessen auszugehen ist. [5]
Der Konflikt zwischen Markt und Staat konnte nur deswegen zu einem prinzipiellen Gegensatz aufgebauscht werden, da das variable Kapital in Form der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung historisch öfter gezwungen war, seine Ansprüche über den Staat und dessen Politik geltend zu machen, als das konstante Kapital in Gestalt der Unternehmer und Unternehmerinnen. Daraus entwickelte sich das nur scheinhafte Gegensatzpaar von Wirtschaft und Kapital auf der einen Seite und Lohnarbeit und Staat auf der anderen Seite, das aber schon deswegen verquer ist, da sowohl Lohnarbeit als auch Kapital auf den Staat angewiesen sind. In der politischen Praxis wird das daran deutlich, daß Unternehmen in der Regel auf staatliche Unterstützung in der Form von Aufträgen, Förderungen, Zuschüssen oder Nachlässen angewiesen sind. Unternehmern und Unternehmerinnen geht es also nie um eine Abschaffung der Staatstätigkeit, sondern um eine Umorientierung der Staatsaktivitäten. Entgegen den propagandistischen Verlautbarungen wollen sie nicht die Aufgabe der Staatsinterventionen, sondern lediglich einen anders gearteten Dirigismus. [6]

Materielle Grundlage der Politik

Einerseits muß der Staat permanent in das Marktgeschehen eingreifen. Andererseits kann der Staat den Markt niemals aufheben, da die kapitalistisch organisierte Wirtschaft seine materielle Grundlage liefert. Die materielle Grundlage der Politik ist der Erfolg des unter der Obhut eines Staates produzierenden Kapitals. Der Staat hat die Grundlagen zur erfolgreichen Kapitalakkumulation zu garantieren und möglichst zu verbessern. Durch die Besteuerung des produzierten Mehrwerts und der Löhne eignet sich der Staat seine materielle Grundlage an und erhält so die Möglichkeit zur Politik. Das strukturelle Problem für emanzipative Politik besteht darin, daß der Staat, sobald seine politischen Maßnahmen eine Quantität und Qualität annehmen, daß sie tatsächlich als Beitrag zu einer Emanzipation verstanden werden könnten und nicht mehr nur eine andere Verteilung des Elends bedeuten, sich tendenziell selbst seine materielle Basis entzieht. Durch emanzipative Politik werden die Möglichkeiten zur Kapitalakkumulation in der Regel eingeschränkt. Die Masse des Mehrwerts sinkt und konservative Politikerinnen und Politiker sowie Wirtschaftsführer und -führerinnen behalten unabhängig von allem ideologischen und strategischen Brimborium recht, wenn sie meinen, wo nichts ist, kann auch nichts verteilt werden. Die Durchführbarkeit sämtlicher sozialstaatlicher Maßnahmen ist also ganz grundsätzlich daran gebunden, daß der Verwertungsprozeß des Kapitals als solcher auf Dauer nicht ernsthaft gestört wird. [7]

Der Staat in der Globalisierung

Bis zur Krise des keynesianischen Wohlfahrtsstaates wurde die Aufteilung nach Markt- und Staatsfunktionen weitgehend akzeptiert. Selbst ultraliberale Marktfanatiker und -fanatikerinnen wußten die ordnende Rolle des Staates trotz aller antietatistischen Rhetorik zu würdigen. Mit den zunehmenden Krisenerscheinungen des kapitalistischen Weltsystems seit Ende der siebziger Jahre gerät die klassische wohlfahrtsstaatliche Regulierung jedoch zusehends unter Druck. Von neoliberalen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und von liberal-konservativen Politikern und Politikerinnen wird eine verstärkte Kampagne gegen sozial- und wohlfahrtsstaatliche Regulierung geführt, die dann häufig von sozialdemokratischen Regierungen in reale Politik des Sozialabbaus umgesetzt wird. Die Angriffe von Alt- oder Neoliberalen gegen den Sozialstaat hat es allerdings in der einen oder anderen Form schon immer gegeben. Sie alleine erklären nicht, warum sich neoliberale Konzepte gerade in den achtziger Jahren und noch verstärkt in den neunziger Jahren fast weltweit durchsetzen konnten. Das Erringen einer Vormachtstellung neoliberaler Vorstellungen im gesellschaftlichen Diskurs geht einher mit jenen Phänomenen, die unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefaßt werden. Wie bei der Internationalisierung des Kapitals ist auch bei der zunehmenden Deregulierung davon auszugehen, daß die Gründe dafür sowohl in politischen Strategien als auch in ökonomischen Zwangsläufigkeiten zu suchen sind.
Globalisierung, verstanden als Internationalisierung des Kapitalverhältnisses und weitgehende Triadisierung der Kapitalmasse, also weitgehende Fixierung des realen Kapitals auf die drei großen industrialisierten Wirtschaftsblöcke, sowie neoliberale Gesellschaftsvorstellungen sind einerseits als eine bewußte Strategie, als ein Projekt des Klassenkampfs von oben, als eine berechnende Kapitalstrategie zur Lösung der Krise des Fordismus, also der Krise des nach 1945 vorherrschenden Regulationsmodells, zu begreifen. [8] Andererseits darf aber auch die Zwangsläufigkeit in der gegenwärtigen Entwicklung, die sich aus den tatsächlichen Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals ergibt, nicht unterbelichtet bleiben. Wenn sich das Kapital allgemein in der Krise befindet, die nicht nur konjunkturelle, sondern strukturelle Ausmaße annimmt, ist staatliche Politik unabhängig von den gesellschaftspolitischen Vorlieben ihrer Träger und Trägerinnen zu Maßnahmen gezwungen, wie sie seit einigen Jahren in fast allen Ländern in Form von verstärkter Deregulierung zu beobachten sind. Hat man daran etwas auszusetzen, sollte man die prinzipielle Abhängigkeit der Gesellschaft von der Verwertung des Werts kritisieren und nicht deren mehr oder weniger zwangsläufige Folgen.

Transformation des Nationalstaats

Der Nationalstaat verschwindet im Rahmen der Globalisierung keineswegs. Er bleibt bestehen, ändert aber in zum Teil beträchtlichem Ausmaß seine Erscheinungsform und seine Funktionsweise. Die historische Globalisierung am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts bedeutete eine Stärkung der nationalstaatlichen Kompetenzen. Heute hingegen führt sie in einigen Bereichen durchaus zur Schwächung von politischen Gestaltungsmöglichkeiten. Die Staatsagenten und -agentinnen folgen zusehends einer ökonomischen Logik. Politik verschwindet zwar nicht, aber sie wird der ökonomischen Rationalität immer ähnlicher.
Der Nationalstaat unterliegt zwar einer Erosion, aber weder der Staat noch das Nationale verschwindet. Der Nationalstaat tritt nicht von der Bühne ab, sondern er wird transformiert. Während die nationalstaatliche Souveränität in einigen klassischen Bereichen nationalstaatlicher Eingriffsmöglichkeiten tatsächlich massiv untergraben wird, festigt sie sich in anderen Bereichen. Während früher beispielsweise Arbeitsmarktpolitik noch relativ autonom von den jeweiligen Nationalstaaten betrieben wurde, ist sie heute in der Praxis zunehmend abhängig von der Politik, die in anderen Ländern verfolgt wird. [9] Allgemein tendieren die Nationalstaaten heute dazu, nicht mehr die Verteidigung des Staatsgebiets als eine ihrer vorrangigen Aufgaben zu betrachten, sondern die Verteidigung ihres nationalen Währungsraums. Dadurch entsteht die Tendenz, unter Nationalökonomie nicht mehr die Wirtschaft innerhalb des umgrenzten Staatsgebiets zu begreifen, sondern eben jenen Währungsraum, den es zu schützen gilt.
Hervorgerufen werden diese Veränderungen nicht durch den Markt oder die Ökonomie allein. Der Staat ist solchen Transformationsprozessen nicht einfach hilflos ausgeliefert, sondern hat sie größtenteils selbst mit forciert. Die Nationalstaaten sind nicht die Opfer von Globalisierung und Deregulierung, sondern haben diese selbst begünstigt. Als einer der Gründe für die zunehmende Deregulierung wird beispielsweise die Fiskalkrise der Nationalstaaten angegeben. Einer der Hauptgründe dieser Fiskalkrise liegt in der Steuerflucht im großen Maßstab. Diese wurde aber erst durch Deregulierungen möglich, die von der staatlichen Politik in die Welt gesetzt wurden. Allgemein gesagt organisiert der Nationalstaat die zunehmende Inwertsetzung, also die immer fortschreitende Einbeziehung immer weiterer gesellschaftlicher Bereiche in die Logik kapitalistischer Warenproduktion. Dadurch forciert er zugleich den eigenen Regelungsverlust in einigen Bereichen nationalstaatlicher Aufgaben. [10]
Dennoch sind auch staatliche Maßnahmen, die auf den ersten Blick nach einem eindeutigen Rückzug aus der ökonomischen Planung aussehen, nicht immer als solche zu werten. Selbst noch Privatisierungen können unter bestimmten Umständen als Elemente staatlicher Planungspolitik verstanden werden, denn durch die Privatisierung durch den Staat wird der Markt in der Gesellschaft planmäßig als Steuerungsmittel eingesetzt. [11]

Repressiver Sicherheitsstaat

Während die staatliche Tätigkeit auf der einen Seite zumindest scheinbar abnimmt und die Politik im Wirtschaftsleben zusehends nur mehr als Organisator bestimmter Rahmenbedingungen auftritt, aber nicht mehr unmittelbar planend in bestimmte Wirtschaftsabläufe eingreift, kommt es im Bereich der sogenannten "inneren Sicherheit" zu einer Zunahme staatlicher Aktivität und finanzieller Aufwendungen. Der Transformation des nationalen Entwicklungsstaates zum nationalen Wettbewerbsstaat, bei dem heute vor allem in Europa zunehmend Tendenzen zur Entwicklung zu einem regionalen Wettbewerbsstaat zu beobachten sind, [12] entspricht die Transformation des im Fordismus noch doppelt bestimmten Sicherheitsstaates (einerseits soziale Sicherheit, also partielle Sicherheit der Individuen vor den Auswirkungen der ökonomischen Ordnung, andererseits Sicherung der politischen und ökonomischen Ordnung als solcher) zu einem mehr und mehr eindimensional bestimmten Sicherheitsstaat. Beim keynesianischen Sicherheitsstaat des Fordismus und dem nationalen Wettbewerbsstaat in der Globalisierung gibt es also durchaus Kontinuitäten: die massive innerstaatliche Aufrüstung, die heute sogar noch verstärkt wird. Eine entscheidende Differenz zwischen diesen zwei Staatsmodellen besteht aber darin, daß im keynesianischen Wohlfahrtsstaat die Integration der abhängig Beschäftigten maßgeblich über materielle Zugeständnisse erfolgte, während sich heute zunehmend ein Modell ideologischer Integration ohne materielles Substrat durchsetzt, also eine nationalistische, rassistische und tendenziell auch antisemitische Integration betrieben wird, die auf die soziale Sicherheit als systemintegrativen Faktor immer mehr verzichtet. [13] Mit dieser rassistischen und nationalistischen Integration geht eine Zunahme staatlicher Regelungen im Zeitalter der Globalisierung einher. In der Verwaltung der internationalen Migrationsströme sehen sich die Nationalstaaten und auch die großen Nationalstaatsblöcke wie die EU vor neue Aufgaben gestellt und in ihrer ordnenden Funktion erneut gefordert. Die vom Neoliberalismus eingeforderten Freiheiten beziehen sich zwar immer auf Waren, Dienstleistungen und Kapital, aber — zumindest im globalen Maßstab — nie auf Arbeitskraft. Für das variable Kapital, also die Arbeitskräfte, war und ist eine Liberalisierung nicht oder nur so weit, wie sie den unmittelbaren Bedürfnissen des konstanten Kapitals, der eingesetzten Maschinerie, entspricht, vorgesehen. Während es also beispielsweise im Bereich der Kapitaltransfers zu einer Rücknahme staatlicher Tätigkeit kommt, forciert die staatliche Politik ihre Eingriffe im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitskräfte im internationalen Maßstab.

Sachzwang und Kritik

Eine gängige Kritik im Rahmen der Globalisierungsdebatte lautet, daß die Sachzwänge der internationalen Kapitalakkumulation gar keine Sachzwänge seien, sondern nur Vorwände zur Durchsetzung schon längst geplanter Vorhaben. [14] Die Zwangsgesetze der Warenproduktion werden so auf den schlechten Willen der Kapitalisten und Kapitalistinnen reduziert. Gerade Gewerkschaften versuchen permanent, zwischen Propaganda der Unternehmer und Unternehmerinnen einerseits und tatsächlichen Sachzwängen andererseits zu differenzieren. Zum einen werden also Sachzwänge geleugnet und den abhängig Beschäftigten wird Handlungsfreiheit suggeriert, wobei das Abstreiten der Sachzwänge nur das Spiegelbild des Respekts vor ihnen ist. Zum anderen werden für real befundene Sachzwänge akzeptiert, was dazu führt, sich diesen tatsächlichen Sachzwängen um so hingebungsvoller zu unterwerfen, anstatt diese eben als Sachzwänge, die nur aus der Umsetzung des Interesses zur profitablen Kapitalinvestition entstehen, zu kritisieren. Der Fehler, den Gewerkschaften und andere Organisationen begehen, wenn sie Sachzwänge akzeptieren, weil sie sie einleuchtend finden, besteht nicht darin, daß es keinerlei Zwänge gäbe. Der Irrtum besteht lediglich darin, zu glauben, daß die akzeptierten tatsächlichen Sachzwänge der warenproduzierenden Konkurrenzgesellschaft aus der Notwendigkeit von Produktion und Distribution überhaupt resultieren würden. [15] Die Gegenstrategie bestünde darin, die Sachzwänge der Warenproduktion- und zirkulation im allgemeinen wie auch des globalisierten Kapitalismus im besonderen auf das kapitalimmanente und staatliche Interesse zurückzuführen.

Dilemma der Gewerkschaften

Das Problem, vor dem Gewerkschaften und fortschrittliche Parteien heute stehen, ist nicht erst durch die Globalisierung entstanden, sondern resultiert aus der grundlegenden Struktur der Gesellschaft. Gewerkschaften und linken Parteien bleibt kaum etwas anderes übrig, als auf den Staat zu setzen und sich an ihn zu richten. Interessensorganisationen, die das tun, können sich aber auch nicht mehr den allgemeinen Zwängen der politischen Form, also vor allem der notwendigen positiven Bezugnahme auf die Kapitalverwertung als solche, entziehen. Für Gewerkschaften führt das zu der simplen Tatsache, daß sie sich selbst auf die Aufrechterhaltung der Bedingungen kapitalistischen Wachstums verpflichten. [16]
Wird in der Globalisierungsdebatte der Staat gegen den Markt in Anschlag gebracht, werden damit Folgen kritisiert und zugleich deren Ursache legitimiert. In der Literatur zur Globalisierung wird nicht mehr das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis und der Staat als dessen kollektiver Organisator für die systematische Schädigung des subjektiven Interesses der abhängig Beschäftigten, also den Verdienst des Lebensunterhalts, verantwortlich gemacht. Statt dessen wird der Kapitalismus sprachlich mit immer neuen Zusätzen versehen. Kritisiert wird nicht mehr die kapitalistische Gesellschaft auf Grund ihrer ruinösen Folgen für die Mehrzahl der sie konstituierenden Subjekte, sondern nur mehr der unzivilisierte Kapitalismus, wie das bei der Paradeliberalen und Herausgeberin der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" Gräfin Dönhoff heißt, der Turbo- und Kasinokapitalismus, der ungezügelte, enthemmte und wildgewordene Kapitalismus, oder der — das stammt vom ehemaligen Bundeskanzler der BRD Helmut Schmidt — Raubtierkapitalismus. Die Häufung der kritischen Adjektive und Prädikate dient dabei ausschließlich der Verteidigung des Substantivs. [17] Schuld am Elend der Welt ist scheinbar nicht mehr schlicht und einfach der Kapitalismus, sondern der Mafiakapitalismus. Als wäre die staatlich etwas mehr regulierte Warenproduktion und Kapitalakkumulation etwas sehr Schönes gewesen, übertreffen sich Leute wie der Sozialdemokrat Jean Ziegler heute selbst, wenn moralische Empörung gefragt ist und wettern gegen den "Börsendschungelkapitalismus" oder den "Killerkapitalismus". [18]

Fetischismus und Globalisierung

Der Fetischismus der bürgerlichen Gesellschaft, kurz gesagt also die Tatsache, daß gesellschaftliche Verhältnisse als naturhaft angesehen werden, daß historisch gewachsene Zusammenhänge auf Grund der in der Wertform angelegten Verkehrungen als überhistorische Gegebenheiten akzeptiert werden, wird durch die Globalisierung verstärkt. [19] Selbst da, wo Markt und Staat als Mechanismen zusammengedacht werden, wird der Kampf des Menschen gegen den Menschen als naturhaft und ewig dargestellt. Der Streit geht dann nur mehr darum, ob die den Menschen angeblich von Natur aus zugehörige Konkurrenz am effektivsten durch den Markt oder durch den Staat organisiert werden kann. [20] In der Kritik an bestimmten Auswirkungen von der zunehmenden Internationalisierung des Kapitals wird implizit immer schon die Zwangsgrundlage der Gesellschaft affirmiert. Wenn der Vorsitzende der deutschen IG Metall den "Kapitalismus pur" im Zeitalter der Globalisierung angreift, verteidigt er gleichzeitig den Kapitalismus als solchen und läßt sich auf dessen Logik ein. Wenn er dann den "effizienten Staat" fordert, [21] will er sich zwar gegen den "schlanken Staat" wenden, propagiert ihn aber, da der schlanke oder magere Staat, also ein Staat, der nur mehr geringe Sozialleistungen erbringt und wenig in den alltäglichen Wirtschaftsverkehr eingreift, im Sinne der Kapitallogik zumindest in bestimmten Situationen eben am effektivsten ist. Grüne und sozialdemokratische Autoren und Autorinnen wenden sich gegen eine Verkürzung der Globalisierungsdiskussion "auf die Schlagwörter ,Markt = gut, Staat = schlecht‘" [22], um dann aber diese Phrase einfach umzudrehen und exemplarisch vorzuführen, daß man fest daran glaubt, daß im Staat das Gute schlechthin aufgehoben ist. Die Staatsintervention wird verteidigt. Stillschweigend wird damit die Existenz von warenproduzierender und kapitalakkumulierender Ökonomie akzeptiert, zu deren Aufrechterhaltung und Verwaltung die Staatsinterventionen überhaupt stattfinden. Staatlichkeit als solche wird implizit zur anthropologischen Konstante, zur immer schon existierenden und weiterhin immer notwendigen Bedingung menschlichen Zusammenlebens stilisiert.

Verkürzte Globalisierungskritik

Natürlich ist es für eine Interessenvertretung der abhängig Beschäftigten im Rahmen der alltäglichen Behauptung im Klassenstaat unausweichlich, sich auf den Staat und dessen Politik zu beziehen. Wird der Staat aber zum Fetisch, zur verinnerlichten und unhinterfragten Instanz, dann gerät die Tatsache aus dem Blick, daß jede soziale oder auch politische Errungenschaft, die im Rahmen eines Nationalstaates erkämpft wird, immer Exklusivität beinhaltet, die im Wesen des Staates prinzipiell angelegt ist. Ist man sich über die Exklusivität des nationalen Kampfes, also die Tatsache, daß politische oder soziale Fortschritte auf Nationalstaatsebene in der Regel alle nicht zu diesem Nationalstaat zählenden Menschen ausschließt, nicht zumindest bewußt, droht sowohl sozialer Reformismus als auch sozialistischer Klassenkampf in Nationalismus abzugleiten.
In einer verkürzten Globalisierungskritik sind zahlreiche Gefahren angelegt. Ebenso wie dem bösen Markt der vermeintlich gute Staat gegenübergestellt wird, gibt es die Tendenz, dem angeblich verantwortungsvollen und Arbeitsplätze schaffenden produktiven Kapital, das positiv bewertet wird, das abstrakte, wurzellose, zerstörerische und asoziale Finanzkapital gegenüberzustellen. Das Finanzkapital ist schon auf Grund der Kapitalverflechtungen nicht eindeutig personell oder institutionell lokalisierbar. Es existiert kaum Kapital, das nur in der Produktions- oder nur in der Zirkulationssphäre tätig wäre. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, würde die Fixierung auf den vermeintlichen Moloch Finanzkapital keinen Sinn machen und vielmehr die Gefahr in sich bergen, in eine gefährliche Nähe zu populistischen Argumentationen zu geraten, die in ihrer Konsequenz strukturelle Ähnlichkeiten zur nationalsozialistischen Unterscheidung in als arisch definiertes "schaffendes Kapital" und angeblich jüdisches "raffendes Kapital" aufweisen. [23] Um dem von vornherein zu entgehen sind Globalisierungsprozesse ausgehend von einem Gesellschaftsverständnis zu diskutieren, das sowohl Markt und Staat als auch produktives und zirkulatives Kapital als notwendige Bestandteile kapitalistischer Warenproduktion begreift und kritisiert.
Perspektivisch muß die Diskussion zur Globalisierung über die Dichotomie von Markt und Staat hinauskommen und die gesellschaftliche Totalität ins Auge fassen. Gewerkschaften, die dazu etwas beitragen wollen, anstatt weiterhin den Mitorganisator der falschen gesellschaftlichen Totalität abzugeben, sollten sich auf ihren historisch immer wieder eingeforderten Doppelcharakter besinnen, [24] der sie nicht von vornherein darauf festlegt und beschränkt, die Sachwalter der ehrlichen Arbeit und die Apologeten des Staates zu sein.

Anmerkungen

[1] Leicht überarbeitete Fassung eines Beitrags für den von der Gewerkschaft der Privatangestellten initiierten und von Hans Sallmutter herausgegebenen Sammelband "Wieviel Globalisierung verträgt unser Land? Zwänge und Alternativen." Wien 1998.
[2] Vgl. Schandl, Franz/ Schattauer, Gerhard: Kapitalismus — Versuch einer Skizze. in: Dies.: Die Grünen in Österreich. Entwicklung und Konsolidierung einer politischen Kraft. Wien 1996, S. 20.
[3] Vgl. Jessop, Bob: Die Zukunft des Nationalstaates: Erosion oder Reorganisation? Grundsätzliche Überlegungen zu Westeuropa. in: Becker, Steffen/ Sablowski, Thomas/ Schumm, Wilhelm (Hg.): Jenseits der Nationalökonomie? Weltwirtschaft und Nationalstaat zwischen Globalisierung und Regionalisierung. Berlin — Hamburg 1997, S. 50.
[4] Vgl. Krug, Uli: Der regionale Wettbewerbsstaat. Europa am Ende des Keynesianismus. In: "Bahamas", Nr.24, 1997, S. 13.
[5] Vgl. Röttger, Bernd: Neoliberale Globalisierung und eurokapitalistische Regulation. Die politische Konstitution des Marktes. Münster 1997, S.10.
[6] Vgl. Schandl/ Schattauer, a. a. O., S.21.
[7] Vgl. Hirsch, Joachim: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus. Berlin — Amsterdam 1995, S. 26.
[8] Vgl. Hirsch, Joachim: Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat. Berlin 1998, S. 22 ff.
[9] Vgl. Altvater, Elmar/ Mahnkopf, Birgit: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster 1997, S. 343.
[10] Vgl. ebd., S. 377.
[11] Vgl. Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat, a. a. O., S. 156. Das bedeutet aber nicht, das Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus nun von irgendeiner herrschenden Clique zwecks Durchsetzung neoliberaler Politikvorstellungen bewußt forciert werden. Sie sind vielmehr Basisideologien der Warengesellschaft und als solche ebenso, wenn auch in anderer Stärke und Ausprägung, strukturelles Zubehör keynesianischer Regulation.
[12] Vgl. Krug, a. a. O., S. 12 ff.
[13] Vgl. Hirsch: Vom Sicherheitsstaat..., a. a. O., S. 81.
[14] Vgl. exemplarisch Ebermann, Thomas/ Trampert, Rainer: Die Offenbarung der Propheten. Über die Sanierung des Kapitalismus, die Verwandlung linker Theorie in Esoterik, Bocksgesänge und Zivilgesellschaft. Hamburg 1995.
[15] Vgl. "Gegenstandpunkt", Nr. 4, 1996, S. 95.
[16] Vgl. Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat, a. a. O., S. 28.
[17] Vgl. Initiative Sozialistisches Forum: Metaphysik der Deutschmark. 1997 o. O.
[18] Der Tiger läuft frei — Kapitalismus pur? ORF 2, 26. 8. 1998.
[19] Vgl. Altvater, Elmar: Geld, Globalisierung, hegemoniale Regulierung. in: Becker/ Sablowski/ Schumm, a. a. O., S. 96 ff.
[20] So etwa bei Dohnanyi, Klaus v.: Im Joch des Profits? Eine deutsche Antwort auf die Globalisierung. Stuttgart 1997, S. 108 ff.
[21] Vgl. Zwickel, Klaus: Streiten für Arbeit. Gewerkschaften contra Kapitalismus pur. Berlin 1998, S. 102.
[22] Boxberger, Gerald/ Klimenta, Harald: Die 10 Globalisierungslügen. Alternativen zur Allmacht des Marktes. München 1998, S. 96.
[23] Vgl. dazu beispielsweise Lohoff, Ernst: Geldkritik und Antisemitismus. In: "Weg und Ziel", 56. Jg., Nr.2, 1998, S. 26 ff.
[24] Vgl. dazu Zoll, Rainer: Der Doppelcharakter der Gewerkschaften. Zur Aktualität der Marxschen Gewerkschaftstheorie. Frankfurt/M. 1982.
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