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Monetäres Mutterkreuz

Rassismus als Familienpolitik

von Renate Göllner

(Konkret, Nr. 6, 2000)

 
Es waren keine neuen Töne, als Jörg Haider Mitte der achtziger Jahre in seinem "Plädoyer für die Dritte Republik" verkündete, daß "die feministische Illusion" gescheitert sei. Es gelte nun, Frauen zu ihren "ureigendsten Anliegen" zu ermutigen: Aufzucht der Kinder, die gefälligst groß und tüchtig werden sollen, das sei ihre wahre Aufgabe. Schon Jahre zuvor hatte Haider das Zusammenleben ohne Trauschein als "denaturiert" bezeichnet, das dem "Ideal im nationalen Sinn" nicht entspreche. Sechzehn Jahre später sind die Freiheitlichen an der Regierung und es stellt sich die Frage, wie dieses "Ideal" umgesetzt, und der "Denaturierung" begegnet werden kann. Dank eines Koalitionspartners, der sich mehr denn je zu seinem christlich-sozialen Weltbild bekennt, war zunächst die Abschaffung des Frauenministeriums, einer eigenen Abteilung des Bundeskanzleramtes und ein Symbol der Kreisky-Ära, eine der ersten Maßnahmen, die von der neuen Regierung gleich nach deren Amtsantritt durchgeführt wurde. Sogenannte Frauenangelegenheiten wurden kurzerhand in das neue Ministerium "Soziale Sicherheit und Generationen" transferiert, wo sie mittlerweile unter Leitung der freiheitlichen Ministerin Sickl neben Jugend, Familie, Behinderte, Umwelt und Senioren rangieren. Zu glauben, daß Frauenagenden künftig wenigstens einen gleichberechtigten Platz neben jenen der Familie einnehmen werden, wäre freilich weit gefehlt. Sickl geht es um eine grundlegende Neubewertung der Familie, vor allem aber der "Familienarbeit". Und um die Bäuerinnen, die ihr, die auf dem Land aufgewachsen ist, ganz besonders am Herzen liegen.
Sickl, eine ehemalige Schuldirektorin, Haider-Intima und Mitbegründerin der rechten Grünpartei VGÖ, war zwar mehrere Jahre in der Kärntner Landesregierung, wird aber nicht nur in Journalistenkreisen als äußerst unerfahren, inkompetent und heillos überfordert beschrieben. Wiederholt entzog sie sich peinlichen Interviews, indem sie durch den Hintereingang ihres Ministeriums die Flucht antrat. Sie, die in einem Nazi-Umfeld groß geworden ist, und deren Sohn seit einiger Zeit bekennender Nazi ist, möchte über einschlägige Themen lieber nicht reden. Tut sie es dennoch, gibt sie gleichsam zwanghaft preis, was sie doch so gerne verbergen möchte: "Die Überfremdung", sagte sie beispielsweise, "ist bei uns kein Thema, wenn man die im Land befindlichen Ausländer integriert". Während eines informellen Treffens der EU- Sozialminister in Lissabon setzte man die Neue, mit der ohnehin kaum jemand sprechen wollte, neben Giampiero Alhadeff, Nachkomme einer der angesehendsten jüdischen Familien von Rhodos und Chef der NGO "Solidar". Ein inszenierter Smalltalk? Alhadeff jedenfalls erzählte Sickl während eines Essens von seiner Heimatinsel, wo Ende der dreißiger Jahre 2000 Juden lebten. Nach dem Krieg waren es nur noch sechs. Was die österreichische Ministerin prompt mit der Frage quittierte: "Wohin ist der Rest gegangen?"
Doch mit dergleichen lästigen Vergangenheitsproblemen muß sich Sickl ohnehin nur herumschlagen, wenn sie fern der Heimat weilt. Bleiben die EU- Sanktionen aufrecht, dürften ihr Auslandsaufenthalte künftig weitgehend erspart bleiben, und sie kann sich mit ganzer Energie der Umsetzung ihrer Agenden widmen. Was den Bereich der Familie betrifft, so gibt es im Regierungsprogramm bereits eindeutige Aussagen, ein Kapitel, das übrigens zu den zentralsten und politisch aussagekräftigsten des gesamten Programms gehört. Nicht, daß hier einer SPÖ-ÖVP Koalition nachgetrauert wird, die seit Jahren rassistische Ausgrenzung betrieb und zudem viele der jetzt geplanten Maßnahmen ebenso beschlossen hätte. Dennoch markiert der Regierungswechsel einen Bruch: gerade am Beispiel der Bedeutung der Familie tritt die neue ideologische Stoßrichtung besonders deutlich zutage.
Einer der wesentlichen Punkte des neuen Familienprogramms ist die Unterstützung der Familien als "Staatsziel" in der Verfassung zu verankern, als "sichtbares Zeichen der Anerkennung" ihrer "Leistungen" für die Gesellschaft. Welche "Leistungen" die Institution Familie erbringt, ist hinlänglich bekannt: Wird doch dort der Staatsbürger in spe zuallererst mit einem Großteil jener Tugenden vertraut, die ihn später einmal auszeichnen sollen. Hier lernt er oder sie in der Regel, wer zu befehlen und wer zu gehorchen hat, lernt zwischen mein und dein zu unterscheiden, wer Freund und wer Feind ist, wer dazugehört und wer draußen zu bleiben hat, kurzum, das gesamte rassistische und sexistische Einmaleins. Solcherart "Leistungen" sollen ab dem Jahr 2002 auch durch eine Neuregelung des Karenzgeldes honoriert werden, das nun treffender als Kinderbetreungsgeld, analog zum Muttergeld der Nazis, bezeichnet wird. Nicht nur an jene soll es ausbezahlt werden, die vor der Schwangerschaft berufstätig waren, sondern an alle Frauen. Es handelt es sich also tatsächlich nicht mehr um Karenz: während es in dem einen Fall um eine bloß kurzfristige Unterbrechung einer beruflichen Tätigkeit geht, ist mit dem Begriff des Kinderbetreuungsgeldes eine besondere Aufgabe und Kompetenz gemeint, die im Wesentlichen der Frau und Mutter obliegt und die auch nicht prinzipiell zeitlich begrenzbar ist. Zwar sollen dieses Geld alle Mütter und Väter, die ihre Kinder betreuen, beziehen können, doch besteht kaum Zweifel, wer in dieser prekären Arbeitsmarktsituation Haus und Kinder wird hüten müssen. Und es gibt absolut keinen Grund anzunehmen, daß die lächerlich geringe Zahl der 1,5 Prozent Kinder betreuender Väter ansteigen wird.
Neu ist auch, daß das Kinderbetreuungsgeld länger als bisher ausgezahlt werden soll: während bislang einem Elternteil 18 Monate zustanden, sind es nunmehr 24 Monate, der andere soll nun 12, statt bisher 6 Monate zu hause bleiben können. Dafür stehen ihr, bzw. ihm monatlich läppische 6000.- Schilling zu, das sind ca. 860.- DM; Rentenanspruch inbegriffen. Darüber hinaus wird nicht nur die Grenze des Zuverdienstes um das nahezu Doppelte erhöht werden, auch eine Einkommensobergrenze, wie sie bis dato bestand, soll es künftig nicht mehr geben. Als Leitlinie ist erkennbar: Dem österreichischen Staat sollen alle verheirateten Mütter gleich viel wert sein. Egal ob Putzfrau oder Millionärsgattin. Für ausländische Frauen sind zwei Varianten im Gespräch: Frauen, die nicht im Besitz eines österreichischen Passes sind, sollen entweder einen Aufenthalt von 5 Jahren, oder eine mindestens 3 jährige Beschäftigungsdauer in Österreich nachweisen können, bevor sie in den Genuß dieses Geldes kommen. Kriegen sie früher ein Kind, haben sie Pech gehabt. Und ob tatsächlich auch arbeitslose Mütter und Sozialhilfeempfängerinnen das Kinderbetreuungsgeld in Anspruch nehmen dürfen, wird sich erst zeigen. Weiterhin diskriminiert bleiben auch Alleinerzieherinnen, weil sie das dritte Karenzjahr, mangels entsprechendem Ehegatten, nicht in Anspruch nehmen dürfen. Begünstigt werden soll offenkundig wer sein Kind in der "natürlichen Gemeinschaft" einer ostmärkischen Familie bekommt.
Das Kinderbetreuungsgeld, das früher eine Art Versicherungsleistung darstellte, ist nun eine Familienleistung und unmittelbar an den Mutter-Kind Paß gekoppelt. Nur die Frau, die bestimmte Untersuchungen vor und nach der Geburt absolviert, hat auch Anspruch auf seine vollständige Auszahlung. Verzögert sich der Arztbesuch, wird ein Malus in Abzug gebracht. Was früher auf Freiwilligkeit basierte, geschieht also künftig unter Zwang. Dadurch aber wird einer lückenlosen, flächendeckenden Überwachung und Erfassung von Krankheit und Behinderung Tür und Tor geöffnet. Dies ist wahrscheinlich die gravierendste und folgenschwerste Maßnahme, die vor allem auch den eugenischen Andeutungen eines Jörg Haider ziemlich nahe kommt: "Lohnend", so schrieb er in "Die Freiheit, die ich meine", "wäre eine Untersuchung, aus welchen Familien die Kinder mit Alkohol-, Gewalt- und Drogenproblemen kommen und aus welchen Familien Persönlichkeiten hervorgehen, bei denen keine Tendenz zum Abbruch der Ausbildung und zum beruflichen und moralischen Scheitern besteht".
Nehmen Frauen, verlockt durch das Kinderbetreuungsgeld, eine verlängerte Karenzzeit in Anspruch, werden sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt noch mehr verringern. In Zukunft wird es für sie noch weit schwieriger als bisher, ihre berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen, zumal anzunehmen ist, daß auch ein Großteil der Gelder für Wiederein-gliederungsmaßnahmen und Frauenförderungsprogramme gestrichen werden, und auch der Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen höchst ungewiß ist. Geplant ist hingegen eine "Ausweitung von Teilzeitarbeit" und die "Entwicklung von Meßkriterien zur Nutzbarmachung von in der Familienphase erworbenen Qualifikationen und Implementierung etwa bei der Personalrekrutierung im öffentlichen Dienst. Daß noch dazu das Angebot an Frauenberatungsstellen einer Evaluierung unterzogen, und damit grundsätzlich in Frage gestellt, dafür aber das Angebot an Familienberatungsstellen vergrößert wird, zeigt zudem, wem künftig unter die Arme gegriffen, bzw. wessen Interessen gewahrt werden sollen. Zwar wurde von seiten des Sozialministeriums immer wieder versprochen, daß es keine Kürzungen bei Frauenprojekten geben werde, dennoch bangen seit Regierungsantritt zahlreiche Projekte - viele haben seit Monaten keine Subventionen erhalten und wissen nicht wovon sie Miete und Gehälter bezahlen sollen - um ihre Existenz. Doch selbst wenn ihnen für dieses Jahr noch finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden, längerfristig rechnen viele Frauen mit einer sukzessiven Beschneidung ihrer Ressourcen.
Die Methode freilich ist altbekannt: Gerät der Staat in die Krise, werden Arbeitsplätze rar, sind Frauen stets die ersten, die aus dem Arbeitsprozeß ausgegliedert werden sollen. Rückholung an Heim und Herd heißt die Parole, weibliche Reproduktion ist wieder gefragt. Auf der Strecke bleiben all jene, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen sind, die über ein geringes oder gar kein Einkommen verfügen. Und wer gar versuchen sollte, sein Leben vom Arbeitslosengeld zu fristen, wird künftig zur staatlichen Zwangsarbeit eingeteilt, muß Taubenscheiße putzen oder Hundekot einsammeln. Denn auch das ist Teil der neuen, rechten Ordnung. Diese neue rechte Ordnung wird freilich auch in anderen europäischen Ländern und unter sozialistischer Regie Schritt für Schritt durchgesetzt. Wenn künftig in Österreich die Unterstützung der Familie in der Verfassung verankert sein wird, so wird hier nur nachgeholt, was auch in verschiedenen anderen EU- Staaten zum Teil geschehen ist. Nur: Es kommt eben auf den Kontext an; ist es nicht gespenstisch, wenn ausgerechnet in einem Land, in dem man sich so lange weigerte, die Verbrechen seiner Eltern und Großeltern überhaupt wahrzunehmen und zu thematisieren, plötzlich der Familie, der Ort an dem (post)faschistische Kontinuität tradiert wird, staatlicher Wertschätzung zu teil wird?
Mit einer gleichen oder ähnlichen Familienpolitik werden in diesem Land eben andere Ressentiments geschürt.
Der Idealisierung der Familie entspricht umgekehrt die Dämonisierung sexueller Straftäter als sogenannte Kinderschänder, ein Begriff, der erst durch Haider in Österreich gleichsam "salonfähig" gemacht wurde. Ebenso offenkundig wie die Projektionen jener, die diesen Begriff verwenden, ist zugleich auch die Verlogenheit, die sich dahinter verbirgt, um von den tatsächlichen, alltäglichen Gewaltverhältnissen in der Familie nicht reden zu müssen. "Der Kinderschänder" erfüllt genau diese Funktion. Denn daß der überwiegende Teil sexueller Straftaten innerhalb dieser angeblich so heilen Welt, bzw. in deren Umfeld begangen wird, daß die Täter sich vorwiegend aus dem Kreise männlicher Verwandtschaft rekrutieren, und daß darüber nach wie vor beharrlich geschwiegen wird, ist gerade von der Frauenbewegung immer wieder thematisiert worden. Es ist eine längst bekannte Tatsache, daß die Kleinfamilie die Brutstätte derartiger Verbrechen ist, der Ort, an dem Mädchen und Frauen isoliert und eingesperrt zumeist männlicher Macht ausgeliefert sind. Statt therapeutischer Maßnahmen ist eine massive Verschärfung des Sexualstrafrechts geplant, im Gespräch sind längere Freiheitsstrafen und öffentliche Bekanntmachung von Vergewaltigern.
Der neue Kanzler ist stolz auf diese Familienpolitik, die, so sagte er, nun nicht mehr im Gegensatz zur Frauenpolitik stehe. Und obwohl dem Österreicher seine Familie immer schon besonders viel bedeutete, und die Familienförderung in diesem Land zu den höchsten der Welt zählt, sollen nun dafür gleich sieben Milliarden Schilling, das ist eine Milliarde DM mehr, berappt werden; ob diese Form der "Gebärprämie" (Johanna Dohnal) angesichts der Budgetsituation auch tatsächlich finanzierbar ist, bleibt abzuwarten. In Wirklichkeit aber geht es gar nicht um die tatsächliche Durchsetzung von sozialpolitischen Maßnahmen, sondern vielmehr um Reklame für Babys made in Austria, um die mediale Propagierung und Inszenierung einer bestimmten Abstammungsgemeinschaft, die den "Ausländern" entgegengestellt werden soll. Krisenbewältigung durch einen "schlanken Staat", von Haider immer wieder beschworen, zieht nicht nur einen sozialen Kahlschlag nach sich, sondern fördert und verstärkt in erhöhtem Maße rassistische Einstellungen. Die Familienpolitik ist nur die andere, gleichsam "positive Seite" der rassistischen Ausländerpolitik; mit ihr werden hierzulande jene Projektionen mobilisiert, die die neoliberale Politik flankieren: denn auch diese Regierung wird die Sehnsucht nach volksgemeinschaftlicher Sicherheit nicht erfüllen können.
Die Projektionen folgen dieser Logik: Sind die Grenzen erst einmal dicht und ist die Zuwanderung gestoppt, muß die Kinderproduktion im eigenen Land angekurbelt werden. Wurden bislang je nach Bedarf billige Arbeitskräfte aus dem Ausland angekarrt, so soll die Nachwuchssicherung nun zur nationalen Aufgabe gemacht werden. Statt "Überfremdung" kleine Ostmärkler. Gebären muß wieder attraktiv gemacht werden, Anreize müssen geschaffen werden, etwa durch eine längere Auszahlung des Kinderbetreuungsgeldes: eine Art monetäres Mutterkreuz. Bedeutete Sozial- und Familienpolitik immer schon einen Zugriff auf weibliche Reproduktion, so wird sie jetzt in ihrer rassistischen Konsequenz weiter getrieben. "Familie und Volk sind organisch gewachsenen Gegebenheiten, die in der Politik Berücksichtigung finden müssen", heißt es im Programm der FPÖ von 1985. Tatsächlich, es geht ums Volk, genauer um die deutschsprachige Mehrheit der Österreicher, das "deutsche Mehrheitsvolk". Und um dieses ist es, glaubt man demographischen Prognosen, langfristig gar nicht gut bestellt, zumal der Geburtenrückgang seit 1993 mit 5 Prozent, einen innerhalb Westeuropa überdurchschnittlich hohen Wert darstellt, und ein Viertel bis ein Fünftel aller Frauen in Österreich ihren sogenannten "biologischen Aufgaben" erst gar nicht nachkommt, und es vorzieht kinderlos zu bleiben. Hält die freilich auch strukturell bedingte Babyflaute weiterhin an, so werden in den kommenden Jahren erstmals mehr Menschen in Österreich sterben, als Kinder geboren werden. Was national not tut, ist, den Bevölkerungsrückgang zu stoppen; ist dies doch sowohl die ideologische als auch materielle Voraussetzung, um die Grenzen noch fester abzuschotten. So wird jede Mutter, (und jeder Vater) ob sie das nun will oder nicht in neuer Weise staatstragend im buchstäblichen Sinne des Wortes, Mittel zum Zweck rassistischer und nationalistischer Ziele. Jedes Kind, das als Bürger dieses Staates das Licht der Welt erblickt, stellt einen indirekten Beitrag dar, Migranten und Migrantinnen aus Österreich fernzuhalten.


Sämtlich Zitate aus:

Brigitte Bailer-Gallanda: Haider wörtlich. Führer in die dritte Republik, Wien 1995

Brigitte Bailer-Galanda/Wolfgang Neugebauer: Haider und die "Freiheitlichen" in Österreich, Berlin 1997

Jörg Haider: Die Freiheit, die ich meine. Das Ende des Proporzstaates. Plädoyer für die Dritte Republik, Frankfurt/M.1993
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