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Never Ending Story

Neuerscheinungen zum linken Antisemitismus

von von Stephan Grigat

(Context XXI, 2/2001)

 
Auch wenn viele Linke immer noch aus allen Wolken fallen, wenn man ihnen etwas über linken Antisemitismus erzählen will, ist die Debatte darüber so neu nicht. Einer gewissen Aufmerksamkeit kann sich die Kritik am Antisemitismus in der Linken spätestens seit dem Golfkrieg 1991 sicher sein. Bereits damals wurde im Grunde alles notwendige zur Kritik des als Antizionismus daherkommenden Antisemitismus gesagt, beispielsweise von der Initiative Sozialistisches Forum, einem Arbeitskreis unabhängiger Linkskommunisten und -kommunistinnen in Freiburg, der seine Texte vom Anfang der neunziger Jahre nun in Buchform erneut veröffentlicht hat. Die Gründe für den linken Antisemitismus werden in erster Linie in der unzureichenden Ökonomiekritik und der kaum vorhandenen Staatskritik der Linken ausgemacht: "Die ‘Linke‘ ist nur insofern gegen den Antisemitismus mindest immun und der Möglichkeit nach kritisch, als sie die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als Kapital- und Staatskritik begreift — also weder als Kritik der Zirkulation durch die Produktion noch als Denunziation der Macht mittels der Menschenrechte, sondern als kritische Sabotage des Totalitätscharakters kapitalisierter Gesellschaften." Gerade das, was der Linken offensichtlich am heiligsten ist, wird als Einfallstor des Antisemitismus gekennzeichnet — die Politik: "Die ‘Linke‘ hat am Antisemitismus teil, insoweit sie den Ausbeutungscharakter der Ökonomie mit politischen Mitteln aushebeln will. Als schon staatstragende oder noch bloß staatswillige ‘Linke‘ erbt sie die kategorialen Bestimmungen und die objektiven Praxisformen von Staatlichkeit als solcher, deren erste und prominenteste: die Homogenität des Staatsvolkes und der Identifizierung der Individuen als Nationalstaatsbürger, zum fundamentalen Bestand antisemitischer Agitation gehört."
Die ISF rechnet mit so ziemlich jedem Unsinn ab, der zur Grundausstattung der Linken gehört und erklärt den Zusammenhang dieses Unsinns mit dem Antisemitismus von links. Sie räumt mit rechten wie linken Mythen über die israelische Staatsgründung auf und rückt den Zionismus ins richtige Licht: "Der Zionismus ist die falsche Antwort auf den Antisemitismus, die sich, grauenhafterweise erst im nachhinein, als die einzige nach dem Zustand der Geschichte vorläufig angemessene erwiesen hat, während die immer noch richtige Antwort: Revolution für die staaten- und klassenlose Gesellschaft, vom Stalinismus zur weltfremden Utopie abseitiger Spinner erniedrigt worden ist." Dementsprechend gibt es auch einen zentralen Unterschied zwischen der antinationalen Kritik israelischer Linker und dem Antizionismus insbesondere österreichischer und deutscher Linker, die in der israelischen Nationalideologie im vollen Einklang mit Adolf Hitler den "Feind aller Völker" erblicken: "Wenn die israelische Linke gegen den Nationalismus in Gesellschaft und Staat angeht und das Antizionismus nennt, entspricht das der Tradition und ist ein bloßer Name für diese Kritik. In Deutschland und unter den Freunden des homogenen Volkstums generell dagegen ist ‘Antizionismus‘ Anzeichen der Projektion und daher kein Name für eine Sache, die vielleicht auch ganz anders heißen könnte, sondern vielmehr eine Chiffre und ein Code."
Die Texte der ISF, in denen auch Antimilitaristen und —militaristinnen einige Munition für ihre Kritik finden können (etwa Ausführungen dazu, warum Soldaten keine Mörder, sondern Schlimmeres sind), zeugen vom Bewußtsein über die Grenzen von Aufklärung. Zugleich geben sie sich Mühe, trotz aller sachgerechten Polemik eine Kritik zu favorisieren, die auf die Sache zielt, nicht vorrangig auf das Individuum, auch wenn die Eigenheiten des Individuums keine Entschuldigung für die von ihm vertretene Sache sein können:
"Nach der Seite der Gesellschaft hin betrachtet sind Antisemitismus und Antizionismus ideologiekritisch nur zu brechen und praktisch nur zu kritisieren, wenn der gesellschaftliche Gehalt der antisemitisch-antizionistischen Agitation nicht subjektivistisch reduziert und durch die ‘gute Absicht‘ entschuldigt oder relativiert wird. Nur den Einzelnen gegenüber kann — privat — angenommen werden, daß nicht das gemeint wurde, was zum Ausdruck kam, mag es auch widerlich genug sein; dem Agitator dagegen muß, als öffentlicher Person, das Gesagte als wirklich Gemeintes auf den Kopf zugesagt werden."
In den siebziger, achtziger und frühen neunziger Jahren hatte der Antizionismus in der BRD eine dreifache Funktion: "Erstens war er die objektive Agentur des Antisemitismus im Lager der Linken, einer Linken, die eben dadurch (...) ihre Zugehörigkeit zum nationalen Kollektiv demonstrierte. Antizionismus war die Form, in der sich die Linke, aller Opposition zum Trotz, mit dem Gründungsverbrechen der Nation einverstanden erklärte und ihren Anteil reklamierte. Zweitens war der Antizionismus die Repräsentanz des durch die Sowjetunion (...) dargestellten Hegemonialanspruchs des Marxismus-Leninismus über die Linke. (...) Im Antizionismus gestand die Linke ihre fundamentale Unfähigkeit zur Kritik der traditionellen Arbeiterbewegung wie zur Kritik der Vergesellschaftungsweise sowjetischen Typs ein. Und drittens erlaubte der Antizionismus, unterm Vorwand internationalistischen Engagements, die Wiederaneignung der Idiotie von Volk, Vaterland und Muttersprache. Volk, der Inbegriff der Konterrevolution, Volk, die antiemanzipatorische Kategorie schlechthin und also der Gegenbegriff zu Gesellschaft (...) stieg auf zur zentralen Kategorie des Internationalismus. ‘Dem Volke dienen‘ war der Freibrief, die deutsche Geschichte zum Selbstbedienungsladen zu machen, um sich dem Volk der Denker und Henker anzudienen."
Im heutigen Deutschland von Schröder und Fischer hat sich diese dreifache Funktion weitgehend erübrigt: "Die antizionistische Linke hat sich erledigt, ihr Auftrag — mit Hilfe des Antizionismus die deutsch-völkische Kontinuität zu wahren und die Nation zu entschulden — ist erfüllt. (...) Da die ehemals antizionistische Linke nun ihr nationales Projekt Deutschland hat, kann sie ihre Identifikation mit den unterdrückten Völkern aufgeben und sich anschicken, die ‘Diktatoren‘ und ‘unbelehrbaren Nationalisten‘ dieser Welt unmittelbar, mit der geballten Macht des ‘Modells Deutschland‘ im Rücken, zur Räson zu bringen." Es ist nicht auszuschließen, daß in Zukunft auch israelische Politiker und Politikerinnen zu jenen "unbelehrbaren Nationalisten" gerechnet werden, die nur noch durch deutsche "Friedenstruppen" auf den rechten Weg zurückgeführt werden können.
In Österreich verhält sich alles etwas anders. Zum einen ist man der Entwicklung hin zum zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsfanatismus mal wieder ein wenig hinterher, was sich aber durch eine ja gar nicht so unwahrscheinliche zukünftige rot-grüne Koalition in rasantem Tempo ändern könnte. Zum anderen ist die Konstellation in Österreich tatsächlich eine andere, wenn auch wohl nur verschobene. Hier arbeiten antiimperialistische Volksfreunde von links und irakbegeisterte sowie Gaddafi hofierende postfaschistische Radikaldemokraten von der FPÖ von verschiedenen Seiten an der Transformation des sowohl im linken wie im rechten Flügel der demokratischen Volksgemeinschaft latent vorhandenen Antisemitismus hin zu einem zur Tat schreitenden.

Gefühl statt Kritik

Die ISF und andere Kritiker und Kritikerinnen aus dem Spektrum der antideutschen Linken sahen sich Anfang der neunziger Jahre mit ihren Polemiken gegen den linken Antisemitismus noch einer wild um sich schlagenden Abwehrfront gegenüber.
Inzwischen ist die Beschäftigung mit Antisemitismus in der Linken in weiteren Kreisen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Sie ist offenbar sogar dermaßen selbstverständlich, daß sie ohne großes Nachdenken auskommt. Das Buch "Wir sind die Guten" dokumentiert, wie die Kritik des Antisemitismus, die sich zunächst einen Begriff von ihrem Gegenstand zu machen hätte (was nicht mit der inzwischen in Teilen der Linken chic gewordenen pseudokritischen Attitüde zu verwechseln ist, anstatt von Antisemitismus von "Antisemitismen" zu sprechen), durch einen gefühlvollen Sumpf aus Befindlichkeit, Selbstmitleid und Verdruckstheit ersetzt werden kann. Dem Herausgeber und der Herausgeberin, die sich die radikale Linke zu einem an ein nationales Kollektiv erinnerndes "wir" konstruieren, scheint es nicht mehr um eine Überwindung des Antisemitismus zu gehen, sondern um ein besseres Auskommen mit ihm: "Unser Antisemitismus ist nicht schlimmer oder harmloser als der anderer gesellschaftlicher Gruppen, wir sollten uns mit unserem Antisemitismus jedoch besser auskennen." Einen anderen Satz in der Einleitung des Buches muß man erst dreimal lesen, bevor man glaubt, daß er wirklich dort steht. Es geht dem Herausgeber und der Herausgeberin darum, den "Antisemitismus in den eigenen Kreisen zu enttabuisieren". Und so berichtet dann auch der Beitrag von Willi Bischof von "Entdeckungen und Erfahrungen bei dem Versuch" eben jenen Tabubruch, für den ansonsten Figuren wie Martin Walser oder Horst Mahler zuständig sind, in die Tat umzusetzen. Mag sein, daß es sich hierbei nur um unglückliche Formulierungen handelt. Aber auch als solche verraten sie den Willen, sich über Antisemitismus bloß keinen ernsthaften Gedanken zu machen.
In den meisten Beiträgen des Bandes, der allein dadurch, daß sich in ihm beispielsweise auch ein halbwegs brauchbarer Text zur autonomen Antifa in der BRD findet, nicht besser wird, ist man mit persönlichem Geschwätz zu Antifaaktionen, mit privaten Details zur Kinderbetreuung in autonomen Zusammenhängen und allerlei anderem langweiligem Zeug konfrontiert, das zum Verständnis des Antisemitismus rein gar nichts beiträgt, aber eindrucksvoll das Elend der unter Autonomen nach wie vor so beliebten Politik in der ersten Person illustriert.
So begrüßenswert es auch ist, daß sich Personen aus der autonomen Familie des Themas annehmen und versuchen, dadurch eine breitere Debatte anzuregen — das Ergebnis ist einfach ein schlechtes Buch, dessen Beiträge größtenteils auch noch so miserabel formuliert und lektoriert sind wie schon lange kein Text mehr, der den Weg zwischen zwei Buchdeckel eines linken Verlages gefunden hat. Zu all dem paßt dann eine Literaturliste, die mit ganzen neun Titeln auskommt und so die Ignoranz gegenüber den bisherigen Diskussionen zum Thema, die man auch den meisten Beiträgen anmerkt, nochmals dokumentiert.
Der Verlag freut sich inzwischen über zahlreiche positive Rezensionen seines Buches. Offenbar bedient es ein Bedürfnis nach einer Auseinandersetzung mit linkem Antisemitismus, die eher auf eine Art alternativer Vergangenheitsbewältigung inklusive Generationengespräch hinausläuft, anstatt dem Antisemitismus in der Linken mittels Ideologiekritik jegliche Grundlage zu entziehen.

Initiative Sozialistisches Forum: Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie. Ça ira-Verlag, Freiburg 2000, 155 Seiten, 24,- DM
Willi Bischof/ Irit Neidhardt (Hg.): Wir sind die Guten. Antisemitismus in der radikalen Linken. Unrast-Verlag, Münster 2000, 188 Seiten, 26,80 DM
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