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Sekundärer Antisemitismus

Wiederkehr des Verdrängten

von Alex Gruber

(calcül 6/1999)

 
Die postfaschistische Demokratie baut auf dem Sozialpakt, den der Nationalsozialismus gewaltsam durchgesetzt hat auf und steht so in direkter Kontinuität zu diesem. Sie ist, "strukturell gesehen, Realisierung des gleichen faschistischen Staatskonzeptes", kehrt "phänomenal betrachtet aber die ganz anderen Züge eines demokratisch erneuerten parlamentarisch-repräsentativen Staatswesens" hervor, etabliert sich jedoch sogleich wieder als "faschistischer Einheitsstifter, als ein die paradoxe Identität der differenten gesellschaftlichen Kräfte in seiner übergesellschaftlichen Gestalt verkörpernder und gegen alle gesellschaftlichen Divergenzen in eigener Person behauptender Repräsentant der Volksgemeinschaft." Umso vehementer muß dieser Staat jeglichen Zusammenhang leugnen und sich als das ganz andere darstellen. Die dazu notwendige Abtrennung der nationalsozialistischen Geschichte wurde durch die "Stunde-Null"- Ideologie erreicht, mittels derer behauptet wird, Deutschland habe sich nach dem 8. Mai 1945 radikal geändert und stehe in völliger Diskontinuität zu seinem Vorgänger. In Österreich wurde diese Abgrenzung durch den Mythos erreicht, Österreich sei das "erste Opfer der nationalsozialistischen Aggression" gewesen, der zum obersten Grundsatz des staatspolitischen Umgangs mit der NS-Vergangenheit wurde. So verschwanden die Täter und Täterinnen sowie deren Geschichte nach dem 8. Mai 1945 gänzlich in dieser Auftrennung, der solcherart verbal konstruierte vollständige Bruch mit dem Nationalsozialismus, mit seinen Ursachen und Folgen, war und ist das identitätsstiftende Moment der postfaschistischen Demokratie.
Einher mit dieser Auftrennung ging die Behauptung, daß der Antisemitismus der Vergangenheit angehöre, weil ihm nur jene kleine Clique anhing, die für die NS-Herrschaft und ihre Verbrechen verantwortlich war. "Damit war die Differenz von Tätern und Opfern von Beginn an nivelliert; wenn niemand Täter war, waren alle Opfer."

Abwehr der Erinnerung

Die öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit stand also von Anfang an unter dem Vorzeichen, einen Schlußstrich ziehen und die Vergangenheit bewältigen zu wollen. So hieß es bereits in der Unabhängigkeitserklärung der provisorischen Regierung vom 27. April 1945, "daß die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers kraft dieser völligen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Annexion des Landes das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, zur Bekriegung von Völkern, gegen die kein wahrer Österreicher jemals Gefühle der Feindschaft oder des Hasses gehegt hat (...) Jene freilich, die nur aus Willensschwäche, infolge ihrer wirtschaftlichen Lage, aus zwingenden öffentlichen Rücksichten, wider innere Überzeugung und ohne an den Verbrechen der Faschisten teilzuhaben, mitgegangen sind, sollen in die Gemeinschaft des Volkes zurückkehren und haben nichts zu befürchten."
Der Übergang zu einer auf politische wie ökonomische Stabilität und auf "Fortschritt" ausgerichteten Politik machte das "gewollte Vergessen" zu einem Pfeiler des politischen Konsenses und der Stabilität. "Den notorischen Schlußstrichziehern war und ist jede Aufklärung über die faschistische Mentalität und ihre bundesrepublikanische (sowie österreichische; A. G.) Fortsetzung ein Greuel." Die auch nach der militärischen Niederlage ungebrochene Identifikation mit der Nation mußte in Übereinstimmung gebracht werden, "mit dem Wissen vom Frevel: man leugnet oder verkleinert ihn, um nicht der der Möglichkeit jener Identifikation verlustig zu gehen." Das ungebrochen positive Verhältnis zur deutschen sowie zur österreichischen Nation braucht den Schlußstrich unter eine Vergangenheit, die als das größte Verbrechen der Menschheit und als nationale Schande firmiert. Die Erinnerung an die Vernichtung des europäischen Judentums, die ohne massenhaftes Mitmachen nicht funktioniert hätte, mußte aus der nationalen Geschichte externalisiert und so zur Geschichte der "Anderen", der Jüdinnen und Juden, gemacht werden. Damit wurden sie zu den Repräsentantinnen und Repräsentanten der Vergangenheit projiziert. Auschwitz, das aus der deutschen und österreichischen Nationalgeschichte ausgeschlossen wurde, wurde so zum Problem des Judentums gemacht, und gleichzeitig gegen jene gewendet, die an die Vernichtung erinnern.
Die ersehnte positive nationale Identität erfordert eine identfikationsfähige Vergangenheit - die es aber angesichts der Vernichtung des europäischen Judentums nicht geben kann. Wer diese objektive Grenze nicht zur Kenntnis nehmen will, wird die Träger und Trägerinnen der Erinnerung als "lästige Störenfriede" abqualifizieren, die "keine Ruhe geben wollen." "Die deutsche (und österreichische; A. G.) Identitätssuche evoziert erneut die Abgrenzung zur jüdischen 'Gegenrasse' (...)" Wer "stolz ist, ein Deutscher oder eine Deutsche bzw. ein Österreicher oder eine Österreicherin zu sein", empfindet es als störend, daß die Wertigkeit der von ihm oder ihr gewählten kollektiven Identität immer wieder durch die Erinnerung an die Vergangenheit gemindert wird. Die damit verbundene Schlußstrich-Absicht und der Wunsch, "endlich in Ruhe gelassen zu werden", wird von der Existenz von Jüdinnen und Juden und der des Staates Israel durchkreuzt: Jeder Jude und jede Jüdin stehen dem "gesunden Nationalbewußtsein" im Wege, weil sie an die nationale Untat erinnern, was Henryk Broder zu dem Satz veranlaßte: "Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen."
"Die Abwehr der Erinnerung an das Unsägliche das geschah, bedient sich eben der Mittel, die es bereiten halfen", nämlich antisemitischer Projektionen, die lediglich eine neue Ausprägungsform erhalten. Der sekundäre Antisemitismus ist eine Reaktion des Antisemitismus auf die gesellschaftlichen Veränderungen nach der Vernichtung des europäischen Judentums. Nach Auschwitz konnte der Antisemitismus in seiner alten Form nicht fortbestehen, da offen antisemitische Äußerungen tabuisiert waren. "Weil die Antisemiten nach Auschwitz keine mehr sein können, kam es zum Phänomen des Antisemitismus ohne Antisemiten, der in Deutschland (und Österreich; A. G.) zugleich ein Antisemitismus ohne Juden ist - ein Beleg mehr für die Produktivität einer Ideologie, die sich ihren Gegner erst ganz am Schluß, wenn es um den Endkampf geht, in der Gestalt 'des Juden' konstruiert." Die Trennung vom "primären" Antisemitismus ist also eher analytischer Natur, da dieser in den sekundären aufgenommen und in ihm widergespiegelt wird. Der "Antisemitismus wegen Auschwitz" bildet so die Grundlage für umfassende antisemitische Paranoia, die alle Motive des modernen Antisemitismus perpetuiert. (Selbst-)Destruktive Element werden abgespalten und auf das Judentum projiziert, das zur personalisierten Repräsentation, all dessen wird, was dem bürgerlichen Subjekt und seiner Zugehörigkeit zum nationalen Kollektiv bedrohlich erscheint.
Der sekundäre Antisemitismus gründet einerseits in den ungebrochenen gesellschaftlichen Bedingungen, die das bürgerliche Subjekt für Antisemitismus und Nationalismus prädisponieren, andererseits in der dazu notwendigen Verdrängung der Vernichtung des europäischen Judentums, ohne der eine bruchlose Identifikation mit der deutschen bzw. österreichischen Nation nicht mehr möglich ist. Die Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen trägt immer ein latent antijüdisches Moment in sich, auch ohne sich explizit gegen Juden und Jüdinnen zu wenden; da jüdische Menschen zudem die abgespaltene Vernichtung repräsentieren, verwandeln sich diese Versuche der Relativierung in sekundären Haß, der auf das Repertoire des modernen Antisemitismus zurückgreift. Der Wunsch, endlich einen Schlußstrich ziehen zu können, wendet sich gegen die, die ihn zu verhindern scheinen, die Jüdinnen und Juden, die Auschwitz als äußere Instanz repräsentieren. Der grüne Politiker Reimund Helms etwa tat sich mit der Äußerung hervor: "Ich habe wirklich den Eindruck, daß die Juden dadurch, daß sie uns ständig unter Druck setzen, daß sie dadurch einen Gegendruck erzeugen. Vielleicht dient es auch unserer weiteren Verständigung, wenn man auf jüdischer Seite sieht, daß es gerade in der jungen Generation viele Kollegen gibt, die herzlich darum bitten, jetzt doch endlich einmal mit diesen ständigen Forderungen in Ruhe gelassen zu werden."
Conditio sine qua non der deutschen bzw. österreichischen Nation nach Auschwitz ist die Versöhnung der Opfer mit den Tätern und Täterinnen. Wer sich dieser (scheinbar) verweigert und auf die damit einhergehende Relativierung hinweist, wird als unversöhnlicher und rachsüchtiger Verfolger konstruiert. Der sekundäre Antisemitismus ist demnach als Haß auf die "Störenfriede" zu verstehen, die an die Vernichtung und deren Verbindung zum heutigen Subjekt erinnern. Die Niederlage des Nationalsozialismus war für die Deutschen bzw. Österreicher und Österreicherinnen eine narzißtische Kränkung, die durch den Zusammenbruch der kollektiven Phantasie deutscher Allmacht verursacht wurde, und die aus der Welt zu schaffen versucht wird.
Der Versuch, die nationale Identifikation aufrechtzuerhalten brachte und bringt eine "Tendenz zur irrationalen Abwehr und zum aggressiven Zurückschlagen" hervor, um sich der Vernichtung zu entledigen, die Vergangenheit in Übereinstimmung mit den narzißtischen Wünschen zu bringen und die Realität so zu modeln, daß die Schädigung ungeschehen gemacht wird. Die Restauration der deutschen bzw. österreichischen Nation nach 1945 kann nur über den sekundären Antisemitismus führen und muß sich so gegen das Judentum richten.

Strategien der Abwehr

Die Abwehr der Erinnerung, die sich mit antisemitischen Stereotypen verknüpft, bedient sich unter anderem des Konstrukts der "typisch jüdischen Geldgier": die Jüdinnen und Juden hätten nacktes materielles Interesse an der Verfolgung. Während die Deutschen sowie die Österreicher und Österreicherinnen nur "normal" weiterleben möchten, würden sich die Jüdinnen und Juden noch an ihrem eigenen Untergang bereichern und könnten deswegen die Vergangenheit nicht ruhen lassen, ja sie würden sogar Vorwürfe erfinden, um sich besondere Privilegien zu sichern. So schrieb etwa die Tageszeitung "Die Presse" im Rahmen der Diskussion um den Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim: das "Weltjudentum" trage "ein gehöriges Quantum Schuld daran, daß ein neuer Antisemitismus nicht mehr wegzuleugnen ist." Diese "Ewiggestrigen", deren "Geschäftsgeheimnis" darin bestünde "den Antisemitismus erst zu schaffen, um ihn dann anzuprangern", würden "keine Chance ungenutzt lassen, aus einer düsteren Vergangenheit ein Geschäft zu machen."
Eine der jüdischen Wunderwaffen gegen das "gesunde Nationalbewußtsein" soll die Kollektivschuld-These sein: Diese wurde angeblich nach 1945 aufgestellt, um deutsche und österreichische Identität unmöglich zu machen, und nur solche Deutsche bzw. Österreicher und Österreicherinnen würden in der Welt akzeptiert sein, die der "zur Flagellanten-Geste verkommenen Selbstbezichtigungsrhetorik" anhängen. Da dies aber jegliche "Normalisierung" und gleichberechtigte Teilnahme an den weltpolitischen Aktivitäten ausschließt, muß die Kollektivschuld-These permanent ausgetrieben werden. Nach Günther Anders ist diese These nur deshalb in der Welt, damit sie von Deutschen bzw. Österreichern und Österreicherinnen zurückgewiesen werden kann. Durch die Bestreitung der absichtlich am Leben erhaltenen These sollen die Überlebenden nicht nur als unversöhnlich gekennzeichnet, sondern auch als Lügner und Lügnerinnen hingestellt werden, um so die deutsche und österreichische Vergangenheit endgültig zu entsorgen. "Gäbe es das Wort nicht", so Anders, "Ihr würdet es erfinden, um es zu bekämpfen. So wie Ihr, wenn es uns Juden nicht gegeben hätte, Juden erfunden und sogar hergestellt hättet, um uns verfolgen und liquidieren zu können."
Die Jüdinnen und Juden werden also als durch und durch rachsüchtig konstruiert: sie seien nicht zur Versöhnung bereit und könnten nicht verzeihen. Kurt Waldheim etwa führte in einer Rede vor einer Delegation des Kriegsopferverbandes aus: "Diese Lobby, die es dort gibt an der Ostküste Amerikas, die ist ungeheuer brutal und rücksichtslos und hat nur einen Wunsch: Rache zu üben. (...) Sie mögen die Genugtuung haben, daß sie das erreicht haben, unter Zwang und unter ungeheurem Druck auf die Administration. Die Folgen werden nicht so sein, wie sie sich' s vorgestellt haben. Sie sehen nicht, daß wir bereit sind diese Herausforderung anzunehmen. Die werden sich noch wundern, die werden sich noch wundern." Es wird immer wieder auf eine "mächtige publizistische Maschinerie in den USA" angespielt, die gegen die Deutschen und die Österreicher und Österreicherinnen "eine Verfolgung bis ins siebte Glied betreibe", also "in alttestamentarischer Rachsucht befangen" sei und unfähig wäre "zur christlichen Geste der Demut, die nicht nur Frieden, sondern Aussöhnung heißt." "Der Gestus, es solle alles vergeben und vergessen sein, der demjenigen anstünde, dem Unrecht widerfuhr, wird von den Parteigängern derer praktiziert, die es begingen." Nicht die Mächtigkeit des Geschehenen - die staatlich betriebene Vernichtung von Millionen von Menschen - wird als Ursache der Macht der Erinnerung identifiziert, sondern die Macht der personalisierten Instanz dieser Erinnerung: die "verschwörerische Macht des Judentums", welche über dunkle Kanäle Einfluß auf Deutschland und Österreich nehme, weswegen diese nicht zur "Normalität" zurückfinden könnten. So heißt es etwa in der FAZ, die nicht umsonst den Untertitel "Zeitung für Deutschland" trägt: "Daß bei uns die Verteidigungsbereitschaft hingegen so gering ist, mag umgekehrt auch auf die Juden zurückzuführen sein. die vielen Deutschen die Lust am Selbstbewußtsein und damit am gesunden Nationalbewußtsein genommen haben (...) Juden, die das heutige Deutschland und die heute in Deutschland lebenden Menschen auf die Anklagebank setzen, fördern damit den Antisemitismus" So werden die ehemaligen (und zukünftigen) Opfer als Täter projiziert, gegen die Notwehr angesagt ist, und die für den Antisemitismus selbst verantwortlich sind, weil "sie keine Ruhe geben können." Chaim Schneider analysierte diese Denkfigur als Botschaft, daß Jüdinnen und juden sich anständig benehmen müßten, "denn sonst wird es leider wieder antisemitische Reaktionen geben. Natürlich sind wir Deutschen keine Antisemiten mehr, aber wenn ihr Juden uns dermaßen provoziert, dann können wir beim besten Willen nichts dagegen tun, dann ist unser Antisemitismus geradezu eine zwanghafte Folge eures Verhaltens." "Regungen, die vom Subjekt als dessen eigene nicht durchgelassen werden und ihm doch eigen sind, werden dem Objekt zugeschrieben: dem prospektiven Opfer (...) Die psychoanalytische Theorie der pathischen Projektion hat als deren Substanz die Übertragung gesellschaftlich tabuierter Regungen des Subjekts auf das Objekt erkannt." Das Subjekt projiziert seine nicht offen artikulierbaren Aggressionsgelüste als böse Intention in die Außenwelt, gegen die es sich zu wehren habe. So werden die ehemals Verfolgten über die Konstruktion, daß sie, indem sie an die Verfolgung erinnern, in Wirklichkeit Verfolger seien, erneut zu Verfolgten.
Ein weiterer probater Ausweg Antisemitismus zu chiffrieren, ist die Kritik an Israel, welches einer der beliebtesten Tummelplätze deutscher und österreichischer Selbstentlastung ist. Israel, dessen Existenz allein schon die Erinnerung an Auschwitz wachhält, steht dem Bedürfnis nach deutschem und österreichischem Nationalgefühl im Weg, und die Beziehung zu Israel war immer der Versuch, das Bedürfnis nach Entschuldung der deutschen und österreichischen Vergangenheit auszuagieren. Dies konnte sich proisraelisch äußern, wenn etwa in Moshe Dayan der "Wüstenfuchs" Rommel erkannt und seine "Blitzkriegsstrategie" bewundert wurde, wie antiisraelisch, wenn von der "Endlösung der Palästinenserfrage" schwadroniert wurde. "Die machen' s genauso wie wir, war die Aussage im Guten wie im Bösen." In der Bekämpfung der deutschen und österreichischen Vergangenheit an Israel wird die "Normalisierung" des "gesunden Nationalbewußtseins" betrieben, daß sich wieder einmal gegen die Jüdinnen und Juden richtet.
Die Öffentlichkeit feierte den Sieg Israels im "Sechs-Tage-Krieg" von 1967 mit einer "Blitzkriegs"begeisterung, in der sich der offizielle Philosemitismus mit der kaum verhohlenen Genugtuung vermischte, daß "die Juden endlich Untaten begingen" und Krieg führten "wie andere auch", das Israel also ein "ganz normaler Staat wie jeder andere" sei. Daneben besteht ein zwanghaftes Bedürfnis danach, Israel mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen. Im Zuge der Libanoninvasion des Jahres 1982 wurde behauptet, die Juden würden sich so verhalten, "als hätten sie durch unsere Taten eine Art Mordbonus erhalten." Der Grüne Kalender folgerte befriedigt: "Angesichts der zionistischen Greueltaten verblassen (...) die Nazigreuel", stellte die Frage, "wann den Juden endlich ein Denkzettel verpaßt wird" und schloß schließlich mit der Naziparole: "Kauft nicht bei Juden!" Damit sind endgültig die Deutschen bzw. Österreicherinnen und Österreicher zu denjenigen geworden, die die richtigen Lehren aus der Geschichte gezogen haben. "Das ist der einzige Vorteil, den uns diese belastende Geschichte bietet, daß wir die Freiheit und die Menschenrechte deswegen mit größerer Entschiedenheit verteidigen können, weil wir wissen, daß sie bei uns einmal mißachtet und mit Füßen getreten worden sind." Während Deutschland also wegen der "einzigartigen Verbrechen" das antifaschistische Land par excellence geworden sei, und "aufgrund der Verantwortung, die daraus erwachse", überall auf der Welt (besonders in Serbien - ebenfalls aufgrund "besonderer historischer Erfahrungen") für den Frieden Krieg führen müsse, hätten die Jüdinnen und Juden, die Lektion, die ihnen in Auschwitz beigebracht wurde, nicht verstanden und würden die Palästinenser so behandeln, wie Hitler sie behandelt hat. Dabei hätten doch gerade sie "in der eigenen Geschichte erfahren (...) wie man mit Minderheiten nicht umgehen sollte, und wohin der Mangel an Toleranz führt", wie Rudolf Augstein im "Spiegel" notierte.
Philosemitismus - eine Erscheinungsform der Sonderbehandlung

Die moralische Überhöhung von Jüdinnen und Juden als Gewissensinstanz stellt lediglich die andere Seite des Verdrängungsmechanismus dar. Die idealisierten Bilder sind nichts als Projektionen und müssen von der Wirklichkeit enttäuscht werden, "weil Menschen nicht den psychischen Anforderungen erinnerungsabwehrender Subjekte entsprechen können (...)" Die Überidentifizierung schlägt dann in Frustration und Aggression um, daß die Jüdinnen und Juden nach Auschwitz nicht die besseren Menschen sind, daß sie die Vernichtungslager also nicht als Fortbildungseinrichtungen begriffen haben. Der Philosemitismus ist dem Antisemitismus aufs Engste verwandt, er ist nichts als die andere Seite der gleichen Medaille.
Je gründlicher die Deutschen bzw. Österreicher und Österreicherinnen erforschen, was jüdisch sei, desto fundamentaler erfahren sie ihre nationale Identität. So berichtete etwa ein deutscher Jugendlicher während seines Aufenthaltes in Israel: "Mein Deutschsein ist mir hier im Lande sehr bewußt geworden, nicht nur beim Besuch in Yad Vashem. Auf der anderen Seite erlebe ich hier eine Unmenschlichkeit, die ich mir in diesem Lande nie vorstellen konnte. Und dann denke ich, daß wir gerade als Deutsche nicht schweigen und die Augen vor dem Unrecht, das mit den Palästinensern geschieht, verschließen sollten, denn sonst machen wir uns ja wieder schuldig." Die Deutschen bzw. Österreicherinnen und Österreicher nehmen die Juden und Jüdinnen also als Heilmittel ihrer gesellschaftlichen Probleme in Anspruch und machen damit die Opfer nochmals zu Objekten, als ob diese ermordet wurden, um nationale Seelenqualen zu kurieren. Solcherart wird Auschwitz für die Schaffung von Identität instrumentalisiert. Aus der Standardfloskel, "gerade wir als Deutsche bzw. Österreicher und Österreicherinnen" spricht die eingebildete besondere Verantwortung, welche diese Gutmenschen für sich aus der Tatsache ableiten, daß das europäische Judentum vernichtet wurde. "Die Reduktion der Opfer auf eine bloße Funktion für den Fortschritt des humanen Weltgeistes oder gar des deutschen Kulturgeistes, tut ihnen nochmals Gewalt an." Sie sind nicht gestorben, um irgendjemand irgendwelche Lehren zu erteilen, ihr Leiden hat keinen späteren Sinn. Der Versuch, ihm solchen abzupressen, ist nichts als Rationalisierung, die versucht Auschwitz mit subjektiv-rationalen Interessen in Einklang zu bringen. Diese nachnationalsozialistische Kostenanalyse, der Gedanke der pädagogischen Nützlichkeit der Vernichtungslager, versucht noch diesen etwas Gutes abzugewinnen, indem sie als Fortbildungseinrichtungen reklamiert werden und daraus eine exklusive Fürsorgepflicht für Israel sowie die Jüdinnen und Juden abgeleitet wird.
Aus der manischen Beschäftigung mit jüdischen Dingen spricht jene "Attitüde (...), mit der die Vernichtungsgewinnler sich familiär über die Opfer hermachten." Die Jüdinnen und Juden sollen auf jede erdenkliche Art einverleibt werden und sei es, in dem aus der Vernichtung Kultur gemacht wird. Die Philosemiten und Philosemitinnen regulieren ihren Seelenhaushalt durch die Beteuerung, wie groß der Verlust durch die Vertreibung und Ermordung der Jüdinnen und Juden sei. Sie trauern also nicht um die ermordeten Menschen, sondern haben Mitleid mit sich selbst und behaupten, durch die Vernichtung wäre den Deutschen bzw., Österreicherinnen und Österreichern etwas angetan worden, da ihnen ein Teil ihrer Kultur geraubt worden sei. Daher die Vorliebe jüdische Friedhöfe, jiddische Folklore, Holocaust-Filme und ähnliches. Die Produkte der Kulturindustrie legen die Identifizierung mit den Opfern nahe, die so instrumentalisiert werden, um die Täter und Täterinnen sowie deren Nachkommen zu exkulpieren, also den Deutschen bzw. Östereicherinnen und Österreichern ihre "geschichtliche Läuterung" zu beweisen und denen nachträglich der Sinn nationaler Sinnstiftung abgepreßt wird.
Auschwitz wird so zur konsumierbaren Ware, in der die unbegreifliche Erfahrung standardisiert und individualisiert wird. Das "kalte und leere Vergessen" von dem Adorno noch sprach, ist so einer beliebigen Geschwätzigkeit gewichen und die Vernichtung des europäischen Judentums gerät in den Sog der repressiven Vergesellschaftung. "Der 'Holocaust' ist längst zu einer Metapher für größtmögliches Unglück, für einen Super-Gau der modernen Zivilisationsgeschichte geworden, den die modernen Gesellschaften, wenn sie in Frieden mit ihrer Geschichte leben wollen integrieren müssen. (...) Nicht mehr wer an Auschwitz erinnert, sondern wer im Sinne von Adornos Anspruch, das Unbegreifliche zu begreifen an Auschwitz erinnert, muß mit Ressentiment rechnen. Auschwitz ist im letzten Jahrzehnt hinter dem massenmedialen Produkt 'Holocaust' verschwunden. (...) Verbrechen wird in Kultur verwandelt (...)"

Aktuelle Entwicklung

Seit den späten achtziger Jahren - beginnend mit dem Historikerstreit - bestimmen immer offensivere Gesten der Relativierung die Öffentlichkeit der postnationalsozialistischen Demokratie. Bestimmte Hemmschwellen, die unter alliierter Kontrolle in Deutschland noch eher hoch lagen, wurden seit 1989 sukzessive heruntergeschraubt. Einhergehend mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, der Wiedergewinnung nationaler Souveränität und der Formierung des nationalen Kollektivs kam es zu immer offeneren Relativierungen und (sekundär) antisemitischen Ausfällen. Das begann bereits am 9. November 1989. Der seinerzeit regierende Bürgermeister von Berlin Walter Momper ließ damals verlautbaren: "Der neunte November wird in die Geschichte eingehen." Das in nationalem Wahn taumelnde Kollektiv und seine freiwillig gleichgeschaltete Presse mußten erst vom Ausland daran erinnert werden, daß dieses Datum längst ein historisches war.

Mittlerweile sind die öffentlichen Gedenken an die Reichspogromnacht auf den 10. November ausgelagert, um den 9. November als Tag der nationalen Identifikation von der Erinnerung an die Vernichtung des europäischen Judentums zu befreien.
Den vorläufig letzten Höhepunkt der Entsorgung der Vergangenheit bildet die Rede Martin Walsers anläßlich der Verleihung des "Friedenspreises des deutschen Buchhandels". In dieser sprach Walser aus, "was alle freien Bürger denken, daß nun endlich Schluß mit dem Erinnerungs- und Betroffenheitszirkus sein müsse, das sage ihm sein Gewissen." Er machte die bundesrepublikanische Betroffenheitskultur verantwortlich, einen Anschlag auf die "Gewissensfreiheit der deutschen Nation" zu verüben. "Jeder kennt unsere geschichtliche Last, die unvergängliche Schande, kein Tag an dem sie uns nicht vorgehalten würde (...) Aber in welchen Verdacht gerät man wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein normales Volk, eine gewöhnliche Gesellschaft?" Walser halluzinierte sich in die Rolle des Verfolgten, um jene die seine Relativierungen kritisierten, von vornherein als "rachsüchtige Verfolger" zu brandmarken. Er beschäftigte sich in seiner Rede nur vordergründig mit dem Holocaust-Denkmal, was er wirklich will ist, daß endlich Schluß ist mit Reuebekenntnissen und Selbstanklagen, daß endlich wieder "Normalität" einkehrt. Die Walser-Rede ist der Anfang vom endgültigen Ende der deutschen Betroffenheitskultur, die "Vergangenheitsbewältigung" als "patriotische Tat" und "Voraussetzung dafür, mit erhobenem Kopf ein heutiger Deutscher zu sein" begreift und die damit dem nationalistischen Zeitgeist nicht mehr entspricht. Sich als Nachfolgegeneration der Täter zu begreifen und deren Taten niemals zu vergessen, galt immer schon als Ansinnen rachsüchtiger, unversöhnlicher Mächte, dem man sich zu beugen hatte, solange die nationale Souveränität noch nicht wiederhergestellt war. Diese Zeiten gehen nun zu Ende, was sich auch im wahrscheinlichen Scheitern des Projekts Holcaust-Mahnmal in Berlin manifestieren wird.
Schon 1995 demonstrierte die Junge Union unter dem Slogan "Kein Juden-Denkmal in Berlin!" und sie war mit dieser Forderung näher am Puls des Zeitgeistes, als ihr selbst das damals vielleicht bewußt war. Nach den Bundestagswahlen 1998, gerade als endlich ein Entwurf gefunden war, wurde die Planung des Mahnmals gestoppt. "Der Grundstein der neuen Republik wird nicht auf Reue beruhen wie uns auch Schröder verkündet." Worauf er beruhen soll, darüber gibt der ehemalige Bundeskanzlers Helmut Schmidt Aufschluß, der in der ZEIT verkündete, daß gegen die "exzessive Freiheit einiger zehntausender habgieriger Dealer und Manager, die auf den kurzfristigen Finanzmärkten herumtoben" die Etablierung eines nationalen Willens anstünde, der durch die "gemeinsame Anstrengung von Volk und Führung" dem "globalen Irrsinn der Spekulanten" ein Ende setze. "Dieser dritte Weg, nicht links nicht rechts, sondern pragmatisch", wie es der Dann-doch-nicht-Wirtschaftsminister Jost Stollmann formulierte, müsse "ein NEUER WEG und ein eigener DEUTSCHER WEG sein (...)"
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