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Wer stoppt den Iran?

Die europäische Diplomatie hat ihr Scheitern und Racheakte gegen Israel und Amerika gleich einkalkuliert

von Thomas Becker

Veröffentlicht in Bahamas 45/04

 
"This is not an Israeli problem. This time it is a world problem. Iran is seeking to become a world power."
Yuval Steinitz, Vorsitzender des Ausschusses für Außen- und Verteidigungspolitik des israelischen Parlaments[1]

Man stelle sich vor, der Hirnforschung sei es gelungen, ein einfaches Verfahren zu entwickeln, ein handliches Gerät, womit die unbewußten Gedanken und bewußten Hintergedanken eines Menschen zu lesen wären, der gerade ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Statement vorträgt. Nicht nur bei Politikern wie Yasser Arafat und Joschka Fischer würde einem das manchen Aufwand ersparen, der ohne solch einen Lügendetektor für Recherche, Analyse, Spekulation und Argumentation anfällt, um die Diskrepanz zwischen Gesagtem und Gedachtem zu enthüllen. Wollte man z.B. wissen, ob die Atomanlagen des Iran wirklich für die Energieproduktion bestimmt sind, wie die Unschuldslämmer in Teheran unbekümmert verlautbaren, oder für die Produktion von Atomwaffen - man bräuchte während der Ansprache eines Ayatollahs nur noch auf den Knopf zu drücken und wüßte Bescheid. Die mühseligen Nachforschungen der Inspektoren der Internationalen Atomenergie Agentur und die endlose Bettelei ihres Direktors, die iranische Staatsführung möge doch bitte die ihr unterstellten friedlichen Absichten mit halbwegs stimmigen Informationen untermauern, würden auf einen Schlag genauso offensichtlich unsinnig wie die europäische Diplomatie, die jeden neuen Vertragsbruch des Iran mit jeweils unglaubwürdigeren Vereinbarungen und Versicherungen zu bemänteln weiß. Und man würde auch gleich wissen, ob deren grotesk anmutendes Vorhaben, die iranische Staatsführung durch gutes Zureden von ihrem Crashkurs abzubringen, nicht von vornherein bloß die Absicht verbergen sollte, ihr den Rücken so lange frei zu halten, bis die Dinge so weit gediehen sind, daß der Iran nur noch mit Gewalt davon abzubringen ist, eine Atombombe zu fabrizieren.

Freilich ist man nicht auf Wundermittel angewiesen, um die Lügen aufzudecken, mit denen sich der antisemitische Terror weltweit rechtfertigt, um sich vor Kritik und Gegenwehr zu schützen. Wenn der Palästinenser-Präsident einst in das Mikrophon eines CNN-Reporters säuselte, er wünsche sich nichts sehnlicher als den Frieden mit Israel und verurteile den Terror, der aber nur Ausdruck der Verzweiflung seines von den Juden endlos gekreuzigten und von der Welt im Stich gelassenen Volkes sei: man brauchte nur die Reden zum Vergleich heranziehen, die er in Ramallah vor heimischem Publikum schwang, oder einen Blick in das Unterrichtsmaterial einer seiner Schulen zu werfen, um zu erkennen, was der Boden solcher Verzweiflung ist, woraus des Terror wächst. Die Sonntagsreden des deutschen Außenministers über den Frieden und die Versöhnung zwischen Abend- und Morgenland messe man an den Taten eines Marwan Barghouti, der als Anführer der Tanzim und Al Aqsa Märtyrer-Brigaden den Terror in der Westbank mit den Millionen organisierte, welches die Europäische Union allmonatlich in die Taschen der palästinensischen Autonomiebehörde steckt, bis ihn israelische Streitkräfte im April 2002 im Zuge der Operation Defensive Shield verhafteten und für immer ins Gefängnis warfen. Die Bestimmung des Zwecks der Atomanlagen des Iran ergibt sich aus einer einfachen Analyse ihrer technischen Charakteristika, sowie des Charakters der Politik der Anlagenbetreiber, der Clique, die den Iran seit der sogenannten islamischen Revolution von 1979 beherrscht und nun zur Weltmacht aufbauen will. Der Gedanke daran, daß sie mit den von ihr abhängigen Terrorgruppen Hizbullah, Hamas und Islamischer Jihad eine Waffe in der Hand hält, die dieser Aufgabe am Ende nicht gewachsen sein wird, ist ein starkes Motiv für die Atombombenproduktion.

Daß eine solche Bestimmung des Zwecks und Motivs nicht per Knopfdruck zu haben ist, vergrößert den Aufwand, der erforderlich ist, um ein Ergebnis hervorzubringen, nicht jedoch die Qualität und Genauigkeit des Ergebnisses. Kein noch so ausgeklügelter Apparat könnte aus dem Schädelinneren eines Ayatollahs etwas herausholen, was nicht schon an seinen Taten sich längst offenbart hätte. Ein Mangel an Überzeugungskraft ergibt sich allerdings für diejenigen, welche die Analyse nicht selber vollbringen oder nachvollziehen, denn für sie hat das Ergebnis keine andere Qualität als die Lüge, die es bestreitet: eine Behauptung gleich der anderen, die man glauben kann oder nicht. Und darauf, daß die Weltmeinung auf Glauben gründet, statt auf Analyse, gründet die Propaganda der Gotteskrieger, so auch die Lügenpropaganda der iranischen Herrscherclique. Sie kann die Weltöffentlichkeit an der Nase herumführen, weil die sich an der Nase herumführen läßt. Das bedeutet nicht, daß die Weltöffentlichkeit nur eine passive Rolle spielen würde, nur die Bühne abgäbe, worauf die Mullahs das Schauspiel ihrer Unschuld darstellten. Sie ist nicht nur als Forum aktiv, das mit dem Iran einen unkritischen Dialog pflegt, vielmehr als Sprachrohr im gemeinsamen Kampf um die Zukunft der Welt, für Frieden und Gerechtigkeit gegen Imperialismus, Rassismus, Individualismus und Zionismus. Die Internationale Atomenergie Agentur, das zuständige Organ der Vereinten Nationen, deren Funktion es sein soll, die Etablierung neuer Atommächte zu verhindern, ist selbst an der Verdunkelung der Absichten des Iran beteiligt, deren Aufklärung ihre Sache sein soll.

Der Iran versteht die Diplomatie nicht

Seit zwei Jahren ist der Agentur das bis dahin geheimgehaltene Atomwaffenprogramm des Iran bekannt. Die Ortsbesichtigungen ihrer Inspektoren seit dem Frühjahr des vergangenen Jahres, deren Berichte jedes technische Detail über die Funktion jeder einzelnen Anlage des Atomwaffenprogramms dokumentieren, lieferten ein von Mal zu Mal lückenloseres Beweismaterial. Die Arbeiten an den Anlagen zur Anreicherung von Uran und Plutonium sind so weit fortgeschritten, daß der Iran in zwei oder drei Jahren über die ersten Atomwaffen verfügen wird, sofern ihn niemand daran hindert. Seit der Iran im Oktober vergangenen Jahres in einer Vereinbarung mit Großbritannien, Frankreich und Deutschland sich "freiwillig" dazu verpflichtet hatte, sämtliche Aktivitäten im Zusammenhang mit der Uran- und Plutoniumanreicherung "auszusetzen", sind weitere Details über Umfang, Fortschritt und Charakter des Atomwaffenprogramms bekannt geworden, vor allem über die Entwicklung und Produktion von weiterentwickelten P-2-Zentrifugen, über den Umfang der Experimente mit Techniken der Laser-Anreicherung und über Experimente mit der Produktion von Polonium-210, das zusammen mit Beryllium als Neutroneninitiator in einer Atomwaffe Verwendung findet. Den Besuch von Inspektoren, die überprüfen wollten, ob der Iran seine "freiwillige" Verpflichtung zum "Aussetzen" der Urananreicherung einhält, gestatteten der Iran erst im April dieses Jahres, ein halbes Jahr später als vereinbart, nachdem im März selbst Mohamed ElBaradei, der Direktor der Internationalen Atomenergie Agentur, der sonst die Ruhe selbst ist, eine seiner halblauten Drohungen nach Teheran schickte.

ElBaradei hatte sich geärgert, weil er von Amts wegen dazu verpflichtet ist, Beweismaterial zu sammeln. Die Internationale Gemeinschaft hat dann das Gefühl, daß was getan wird, und die Weltöffentlichkeit ist unbesorgt. Die "freiwillige" Verpflichtung zum "Aussetzen" der Uran- und Plutoniumanreicherung sollte ja beweisen, daß die Agentur eine sinnvolle Arbeit leistet und die Dinge im Griff hat. Und zugleich sollte sie beweisen, daß der Iran rein friedliche Absichten und nichts zu verbergen hat. Was man in Teheran nicht ganz begreift: ElBaradei muß das Beweismaterial, das er sammelt, nicht gegen den Iran zur Anklage bringen. Das hat ElBaradei noch nie getan. Das ist auch nicht, was seine Brötchengeber, die Internationale Gemeinschaft - hier konkret in der Gestalt der Vereinten Nationen und ihrer islamisch-deutsch-europäischen Mehrheit - von ihm verlangen. Er soll sich nicht wirkliche Sorgen machen. Er soll dafür sorgen, daß sich keiner Sorgen macht.

Folglich ist Herr Direktor selber zwar regelmäßig "concerned", manchmal sogar "serious concerned", kann sich dann aber doch nie zu der besorgniserregenden Feststellung durchringen, daß sich der Iran nicht an die Verträge hält, die er unterschrieben hat, und daß die aus den Charakteristika der verwendeten Technologien zu schließende militärische Zweckbestimmung seines Atomprogramms einen Bruch des Vertrags über die Nichtverbreitung von Atomwaffen darstellt, dessen Aufsichtsbehörde die Internationale Atomenergie Agentur ist. Die Iran-Resolutionen der Agentur wiederholen nur immer die Formel: "not fully comply", um zu sagen, daß der Iran den Vertrag zwar nicht einhält, ihn aber auch nicht gebrochen hat. Die besorgten Resolutionen der Agentur kennen, und vermeiden das Zauberwort, das den Iran als Krisenfall einstufen und auf die Tagesordnung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen bringen würde: "noncompliance".

Das Wort, das den Vertragsbruch attestiert, ist die stärkste Waffe, die ElBaradei hat, die er aber nicht gegen den Iran benutzen will. Aber der Ayatollah kennt keine Gnade. Nachdem man in Teheran zuerst nicht begreifen wollte, daß die Überprüfung ihrer "freiwilligen" Verpflichtung zum "Aussetzens" der Uran- und Plutoniumanreicherung nur die Vertragstreue des Iran beweisen sollte, verärgerte man Herrn Direktor gleich noch einmal, als man ihn öffentlich darüber aufklärte, was er insgeheim sowieso wußte, aber lieber für sich gehalten hätte, daß der Iran nämlich niemals daran gedacht hatte, die Uran- und Plutoniumanreicherung aufzugeben, und daß die Freiwilligkeit des Aussetzens eben darin bestehe, daß er seine Anlagen nach Belieben ein- und ausschalten könne. Und da man in Teheran meinte, ElBaradei und die Europäer hätten das nicht begriffen, ließ man Ende Juli auch die Gespräche in Paris, wo man den Iran noch einmal hinter verschlossenen Türen das Einmaleins internationaler Diplomatie erklären wollte; die Europäer hätten ihr Versprechen gebrochen, die Internationale Atomenergie Agentur dazu zu veranlassen, die Akte Iran zu schließen, so daß man sich nicht länger an die Vereinbarungen gebunden fühle, die man sowieso nie zu erfüllen bereit war. Der deutsche Außenminister faßte daraufhin seine Sprachlosigkeit in die Worte: "Ich hoffe, dass Teheran begreift, daß es einer Fehlkalkulation unterliegt. Ich mache mir da angesichts der jüngsten Nachrichten doch erhebliche Sorgen"; Irans Regierung müsse begreifen, dass es in ihrem eigenen Interesse sei, "durch die Tür zu gehen, die wir geöffnet haben".[2]

Europäische Diplomatie

John R. Bolton, Staatssekretär für Waffenkontrolle und internationale Sicherheit im amerikanischen Außenministerium, hat das Schauspiel, das der Weltöffentlichkeit hier geboten wurde, anläßlich eines Hearings des Repräsentantenhauses in Washington am 24. Juni wie folgt illustriert: "Im Oktober 2003 sagte Hasan Rowhani, Chef des Nationalen Sicherheitsrats des Iran, daß die Suspension der Anreicherung zwar sofort beginnen könne, sie könne aber einen Tag oder ein Jahr dauern. Rowhani sagte später genauer, die Suspension der Anreicherung sei temporär, und am 29. November 2003, daß ‚eine permanente Suspension nie ein Thema gewesen ist und sein wird'. Am 7. März 2004 sagte er, daß es ‚nichts permanentes gibt... wann wir wieder damit anfangen liegt allein in der Hand unseres Systems'. Der oberste Führer, Ali Khamenei, sagte am 2. November, daß der Iran die Anreicherung ‚um keinen Preis aufgeben wird'. Die Aussagen waren in der vergangenen Woche noch deutlicher. Rowhani reagierte verärgert auf die Iran-Resolution der Internationalen Atomenergie Agentur von vergangener Woche und sagte, daß ‚der Iran seine Entscheidung über die Suspension überdenken und in den kommenden Tagen einige Uran-Aktivitäten unternehmen wird'. Ein Sprecher des Außenministeriums, Herr Hamid Reza Assefi, sagte am 20. Juni, der ‚Iran fühlt sich nicht mehr an die Vereinbarungen mit dem Trio der Europäischen Union gebunden und wird seine Atompolitik überarbeiten und in den kommenden Tagen die neuen Entscheidungen bekanntgeben'. Der iranische Präsident, Mohamed Khatami, erklärte, der Iran sei durch ‚keine moralische Verpflichtung' zur Suspension der Anreicherung gezwungen, und habe das Recht, die Entscheidungen der Internationalen Atomenergie Agentur zu ignorieren." Bolton hielt angesichts dessen die Frage für angemessen, "ob das Unterfangen zwischen dem Iran und den Europäern den gewünschten Effekt hat, den Iran von seinem Atomwaffenprogramm abzubringen".[3] Diese Frage ist sicher nicht unberechtigt, nur etwas zu einfach zu beantworten: Nein, bisher hat kein Unterfangen der Europäer den Iran von irgend etwas abgehalten. Bolton hätte vielleicht zuerst fragen sollen, ob das überhaupt der "gewünschte Effekt" ist.

Wie aber soll man etwas über die Wünsche der hier handelnden Personen sagen können, wenn man nicht in ihre Köpfe hineinsehen kann? Wenn man jemanden beobachtet, wie er mit der einen Hand einen Nagel mit der Spitze gegen die Wand hält, während er mit dem Hammer in der anderen Hand auf den Nagelkopf schlägt, schließt man daraus, daß er einen Nagel in die Wand schlagen will. Wenn man einen Herrn dabei beobachtet, der von Amts wegen dazu veranlaßt ist, die Etablierung neuer Atommächte zu verhindern, wie er einer gerade entstehenden Atommacht die passenden Ausreden und die nötige Zeit verschafft, ihr Werk zu vollenden, ehe es durch amerikanische oder israelische Militärschläge beendet wird, so schließt man daraus nicht, daß er die Absicht hat, jemanden davon abzubringen, sich Atomwaffen zu verschaffen. Man schließt daraus eher, daß der Herr sein Amt mißbraucht oder ihm nicht gewachsen ist. Aber das Amt selbst beherbergt in diesem Fall den Widerspruch, wie das ganze Vertragswerk zur Nichtverbreitung von Atomwaffen überhaupt. Der Vertrag gewährt ausdrücklich jedem Staat das Recht zur "friedlichen" Nutzung der Atomenergie, worauf man sich in Teheran auch immer wieder gerne beruft. Die Technologie eines "friedlichen" Atomprogramms ist von der eines militärischen aber nicht eindeutig unterschieden. Erst durch eine gründliche Analyse der einzelnen Komponenten in ihrem Zusammenhang ist der Charakter des Gesamtprogramms zu erkennen; und erst wenn das Ergebnis dieser Analyse im Zusammenhang mit der Politik derjenigen gebracht wird, die das Programm betreiben, wird das Ergebnis eindeutig - wie im Falle des Iran. Das Ausmaß der dabei anfallenden Kleinarbeit und die Menge der Details, die in das Gesamtbild eingehen, ergibt andererseits genügend Interpretationsspielraum, der zu einer Argumentation genutzt werden kann, die auf keinen Schluß hinausläuft, sondern immer irgend ein Detail findet, das noch geklärt werden müsse, bevor ein Urteil gefällt werden könne - wie im Falle der Internationalen Atomenergie Agentur und der europäischen Diplomatie. Besonders verdächtige Anreicherungs-Komponenten werden dann für reine Forschungszwecke installiert, Schwerwasserreaktoren liefern, statt waffenreines Plutonium, Radioisotope für die Medizin, und aus Polonium-210 werden Batterien statt Bomben gebastelt. Dann aber ist das ganze Vertragswerk über die Nichtverbreitung von Atomwaffen zu nichts anderem nütze als dazu, den wirklichen Zweck eines Atomprogramms zu verschleiern. Ein Staat kann dann alle Komponenten seines Waffenprogramms in Ruhe aufbauen, bis zu dem Punkt, an dem nur noch die einzelnen Teile zusammengesetzt werden müssen, um eine Waffe daraus zu fertigen.

Europäische Politik

Ob das nun der "gewünschte Effekt" des Unterfangens zwischen dem Iran und den Europäern ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden, schon weil nicht vorausgesetzt werden kann, daß der Iran und die Europäer hier von identischen Wünschen angespornt werden. Der Iran hegt zweifellos den Wunsch, sein Atomwaffenprogramm unter dem Schutz der Internationalen Atomenergie Agentur und der europäischen Diplomatie zum Abschluß bringen zu können. Zur Not macht er es auch ohne sie. Für die Europäer ist das aber kein realistisches Szenario. Der Anlaß ihrer diplomatischen Aktivitäten war im Herbst des vergangenen Jahres die Drohung, den Iran, der bis dahin auf die Anfragen ElBaradeis keine Reaktion gezeigt hatte, des Vertragsbruchs zu bezichtigen und den Fall zum Thema des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zu machen. Der politische Druck, der dazu geführt hatte, daß dem Iran ein Ultimatum für Ende Oktober gesetzt wurde, kam aus Washington. Der spektakuläre Besuch des britischen, französischen und deutschen Außenministers in Teheran, der u.a. die "freiwillige" Verpflichtung zum "Aussetzen" der iranischen Uran- und Plutoniumanreicherung bewirkte, fand eine Woche vorher statt. Zu dieser Zeit waren bereits die amerikanischen und israelischen Pläne bekannt, die Atomanlagen des Iran notfalls mit gezielten Militärschlägen zu zerstören bevor es zu spät ist. Die Feststellung des Vertragsbruchs durch die Internationale Atomenergie Agentur und eine Bestätigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hätte Sanktionen, und am Ende möglicherweise die Militärschläge legitimieren können, falls der Iran auf die europäische Diplomatie nicht eingestiegen und sich dadurch einen Zeitaufschub verschafft hätte. Der "gewünschte Effekt" der europäischen Diplomatie war es also, eine solche Legitimation zu verhindern. Daß dadurch Amerika oder Israel davon abgehallten werden könnten, sich auch ohne Legitimation durch die Vereinten Nationen gegen die Bedrohung aus dem Iran mit allen Mitteln zu verteidigen, kann niemand erwarten; doch wenn es soweit ist, sollen die Angriffe wenigstens genauso "völkerrechtswidrig" wie zuvor der Irakkrieg sein.

Für die Europäer gibt es dabei nichts zu verlieren. Für den zwar praktisch ausgeschlossenen, aber doch rein theoretisch denkbaren Fall, daß die Verhandlungsdiplomatie den Iran zur "freiwilligen" Aufgabe seines Atomwaffenprogramms führen würde, könnte der "Friedenswillen" des europäischen Antiimperialismus und Antizionismus über die "Kriegslüsternheit" Amerikas und Israels triumphieren. Für den nicht bloß wahrscheinlichen sondern sicheren Fall, daß der Iran an seiner Mission, die Sharia als Weltordnung zu etablieren, festhält und deshalb unter allen Umständen Atommacht werden will, und nur mit Gewalt daran gehindert werden kann, werden Amerika und Israel nur einen Anlaß mehr für den europäischen und islamischen Antiamerikanismus und Antisemitismus geliefert haben; darauf hat die europäische Diplomatie die Weltmeinung vorbereitet. Der dritte Fall, daß der Iran seine Pläne nicht aufgibt, in zwei oder drei Jahren die ersten Atombomben zu bauen, und niemand ihn in der Zwischenzeit daran hindert, ist für Amerika nicht hinnehmbar, und Israel muß ihn für sich ausschließen, weil in diesem Fall seine Existenz als solche unmittelbar in Frage gestellt wäre.

Ein israelischer Angriff

Noch ist sich Israel sicher, der Bedrohung durch den Iran standhalten zu können. Diese Einschätzung ist ja eine der Voraussetzungen der Pläne der israelischen Streitkräfte, die iranischen Atomanlagen notfalls durch eine gezielte, wirksame und kurze Militäroperation zu zerstören. Auch wenn Israel durch den Charakter der Aktion seine Absichten deutlich zu erkennen gäbe, die auf die Zerstörung der militärisch relevanten Anlagen des iranischen Atomwaffenprogramms beschränkt sind, müßte es sicher mit einer Racheaktion rechnen. Wären in die Pläne der israelischen Streitkräfte nicht alle möglichen Gegenschläge einkalkuliert, müßte Israel zweifeln, ob es einem möglichen Gegenschlag standhalten könnte, so wären die Pläne nutzlos. Noch hält Israel das Risiko für kalkulierbar. Die atomare Bewaffnung des Iran aber würde das Kräfteverhältnis auf dramatische, auf unkalkulierbare und unerträgliche Weise zu Ungunsten Israels verändern.

In Teheran wurde ein Racheakt immer wieder angekündigt. Verteidigungsminister Ali Shamkhani hatte schon im Februar 2002 dunkel damit gedroht, der Iran werde einen israelischen Angriff auf seine Atomanlagen "auf eine Weise beantworten, von der noch kein israelischer Politiker je geträumt hat", und auf die Zerstörung eines Atomreaktors durch die israelische Luftwaffe vor 20 Jahren im Irak anspielend, der damals ebenfalls kurz vor der Produktion einer Atombombe war: "Der Iran ist kein kleines Land wie der Irak. Der Iran hat eine machtvolle Artillerie, eine disziplinierte Armee und eine ausgeklügelte Luftabwehr".[4] Shamkhani, der Israel, wie in seinen Kreisen üblich den "kleinen Satan" nennt, ist persönlich maßgeblich verantwortlich für den in den 70er Jahren mit Siemens entwickelten Atomreaktor in Bushehr, der jetzt mit russischer Hilfe fertiggestellt werden soll und bei einem möglichen Angriff der israelischen Luftwaffe ein Ziel von höchster Priorität abgäbe. Zuletzt drohte Hassan Rowhani, jener Chef des Nationalen Sicherheitsrats, der aus Verärgerung über die ständigen Besuche der Inspektoren und die nervtötenden Fragen des Direktors der Internationalen Atomenergie Agentur im Juni die Wiederaufnahme der Uran- und Plutoniumanreicherung angekündigt hatte, Israel "schmerzhafte" Konsequenzen an für den Fall, daß es die iranischen Atomanlagen angreift: "Ich glaube nicht, daß Israel so eine Dummheit begehen wird, weil es genau weiß, wie wir antworten werden".[5]

Die Drohungen bleiben dunkel, so daß mit allem gerechnet werden muß. Gegen Angriffe mit Mittelstreckenraketen, über die der Iran seit letztem Jahr verfügt, glaubt sich Israel Dank seines mit amerikanischer Hilfe entwickelten Raketenabwehrsystems Arrow, das Ende Juli erfolgreich getestet wurde, verteidigen zu können. Der Iran verfügt aber auch über Chemiewaffen. Die gefährlichste, kaum zu kalkulierende Waffe, über die der Iran gegenwärtig verfügt, sind jedoch die Terrorgruppen, die Israel vom Libanon und von den palästinensischen Autonomiegebieten her bedrohen: Hizbullah, Hamas und Islamischer Jihad.

Der Iran bezahlt, bewaffnet und befehligt diese Terrorbanden, während sie in Syrien und im Libanon, wo die Hizbullah einen Staat im Staat führt, ihre Büros, Trainingslager und Waffendepots unterhalten. Es würde nicht viel mehr als eines Augenzwinkerns eines Ayatollahs bedürfen, um von Teheran aus ein Massaker zu veranlassen, das von der Hizbullah in Israel oder gegen Juden in einem anderen Teil der Welt ausgeführt wird, vergleichbar etwa mit dem Bombenanschlag auf den Sitz der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires im Juli 1994, bei dem fast hundert Menschen umgebracht wurden. Davor wird Israel auch nicht die deutsche Geheimdiplomatie beschützen, die doch mit der Hizbollah so gut kann, daß sie für sie aktive Kämpfer im Austausch gegen von ihr ermordete israelische Soldaten aus den Gefängnissen zu erpressen versteht. Dennoch wird Israel handeln, wenn kein anderer es tut, weil ein atomar bewaffneter Iran die Situation noch auf dramatische Weise verschlimmern würde.

Ein amerikanischer Angriff

Nicht grundsätzlich anders stellt sich die Situation für Amerika dar. In Washington weiß man, wer die Hizbullah ist, seit sie durch eine bis dahin beispiellose Welle von Selbstmordanschlägen im Jahre 1983 die amerikanischen Truppen zum Abzug aus dem Libanon zwangen. Schon damals war Imad Fayez Mugniyah, heute der militärische Führer der Hizbullah, an einem der schwersten Anschläge beteiligt: "Der Angriff gegen das US Marine Corps in Beirut war ein besonders spektakulärer Anschlag. Ein großer Lastwagen, beladen mit 5,450 kg of TNT, brach durch das Haupttor in den Komplex ein, drang ein und explodierte in dem Gebäude, das dadurch komplett zerstört wurde. 241 amerikanische Soldaten wurden dabei getötet. Das forensische Labor des FBI beschrieb den Bombenanschlag als den größten konventionellen Angriff in der Welt, den seine Experten jemals untersucht hatten".[6] Mugniyah ist die Nummer 2 in der Hierarchie der Hizbullah, und der Verbindungsmann zum Iran in der Shura, dem Entscheidungsgremium der Terrororganisation; er soll die Schlüsselfigur sein für die Verbindungen zwischen Hizbullah, Iran, den palästinensischen Islamisten und Al Qaeda. Amerika, wo die Hizbullah ähnlich Al Qaeda auf Terrorzellen zurückgreifen kann, ist nicht weniger gefährdet als Israel. Zudem würde der Iran mit Racheaktionen im Irak, durchgeführt von den dort auf sein Kommando verpflichteten Terrorgruppen, der Hizbullah oder den sogenannten Revolutionsgarden, auf einen amerikanischen Angriff auf seine Atomanlagen reagieren. Aber auch Amerika wird handeln, wenn es kein anderer tut, weil die atomare Bewaffnung des Iran ein kaum zu korrigierender Rückschlag im Krieg gegen den Terror wäre.

Durch den Krieg in Afghanistan ist eine große Zahl von Terroristen aus den Camps Al Qaedas zur Flucht in den Iran getrieben worden, von wo aus sie schon vor dem 11. September 2001, unter ihnen die Todespiloten, über Syrien nach Beirut, Hamburg, Istanbul, Casablanca, Madrid, Rom oder New York gelangten. Sie treffen sich heute alle wieder in den Zentren des "Widerstands" im Irak. Auch Hizbullah-Führer Sheikh Hassan Nasrallah ist mit von der Partie. Er hatte der Kriegserklärung, die Osama Bin Laden zwei Monate vor ihm ausgesprochen hatte, am 11. November 2001 seine eigene hinzugefügt: "Laßt uns die Definition des Imam Khomeini übernehmen, der gesagt hat, daß dies der Krieg der Arroganten gegen die unterdrückten Völker der Welt ist".[7] Krieger der iranischen "Revolutionsgarden" und der libanesischen Hizbullah gehörten zu den Allerersten, die sich mit den Baathisten und Faschisten überall aus dem Mittleren Osten und aller Welt zur großen Schlacht gegen Amerika, das sie alle den "großen Satan" nennen, verbündeten. Der bisherige Verlauf des Kriegs gegen den Terror, der Verlust Afghanistans und des Irak, drängt den Iran in die Rolle einer letzten mächtigen Bastion des Jihad, in das Zentrum des Terrors und seiner Bekämpfung. Der Iran ist ein legitimes Ziel im Krieg gegen den Terror. Amerika wird sicher nicht darauf warten, bis sich seine Herrscher mit Atomraketen bewaffnet haben. Oder mit den knappen Worten eines amerikanischen think tanks: "Wenn der Iran seine Unterstützung des gegen Israel und die Vereinigten Staaten gerichteten Terrors nicht aufgibt, wird er - früher oder später -Gegenstand einer weiteren amerikanischen Aktion sein, die Anwendung von Gewalt mit eingeschlossen. Das wird eine Sache von Priorität, je näher der Iran der Verfügung über Atomwaffen gekommen ist".[8]



[1] Zitiert nach: Israel can't go it alone against Iran, AFP, 19. Juli 2004
[2] Atomgespräche landen in der Sackgasse, taz, 2. August 2004
[3] Iran's Continuing Pursuit of Weapons of Mass Destruction, Testimony by Under Secretary of State for Arms Control and International Security John R. Bolton to the House International Relations Committee, Subcommittee on the Middle East and Central Asia, Committee on International Relations, U.S. House of Representatives, Washington, D.C., 24. Juni 2004
[4] Iran warns Israel against striking at its nuclear reactor, israelinsider, 5. Februar 2002
[5] Wie Anmerkung 1
[6] FBI investigation report as cited by the Marine Corps Gazette, February 1984, zitiert nach: zitiert nach: Hezbollah, Profile of the Lebanese Shiite Terrorist Organization of Global Reach Sponsored by Iran and Supported by Syria, Intelligence and Terrorism Information Center at the Center for Special Studies (C.S.S), Juni 2003
[7] Sheikh Hassan Nasrallah, al-Manar Television, 11. November 2001, zitiert nach: Hezbollah, Profile of the Lebanese Shiite Terrorist Organization..., siehe Anmerkung 6
[8] IRAN'S BOMB American and Iranian Perspectives, THE NIXON CENTER March 2004

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