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Unterwerfung und Widerstand

Zum Beispiel Ayaan Hirsi Ali: Die Emanzipation der Einzelnen bleibt die Voraussetzung der Emanzipation aller

von Tjark Kunstreich

http://www.jungle-world.com/

 
"Liebe Ayaan, dich trifft keine Schuld. Du musst dafür sorgen, dass Theo nicht vergessen wird. Freiheit gehört nicht den ängstlichen Menschen", sagte Anneke van Gogh bei der Beerdigung ihres Sohnes an die Adresse der liberalen Politikerin Ayaan Hirsi Ali, die nicht teilnahm, weil sie untertauchen musste. Das Attentat galt eigentlich ihr, aber Theo van Gogh war einfacher zu kriegen. Die Mutter des am 2. November 2004 von einem Djihadisten ermordeten Autoren und Filmemachers nimmt Bezug auf Hirsi Alis erste Stellungnahme nach van Goghs Ermordung, in der sie bekannte, sich schuldig zu fühlen.

Hirsi Ali nahm am 18. Januar 2005 ihre parlamentarische Arbeit wieder auf und damit ihren Kampf für die Rechte moslemischer Frauen auf Bildung und eigenes Einkommen. Über den Charakter der Auseinandersetzung macht sie sich keine Illusionen: "Die Niederlande müssen wachsamer werden, und das nicht nur in politischem Sinne. Wir alle müssen auf mögliche Gewaltakte vorbereitet sein", schreibt sie in einer Stellungnahme zu ihrer Rückkehr. Van Gogh und sie hätten viel über die Gefahren ihres Films "Submission" diskutiert und seien zu dem Schluss gekommen, dass "dieser Film in einer offenen Gesellschaft möglich sein sollte. Während andere oft - und bewusst - den Mund hielten, hat Theo seine Stimme laut und klar vernehmen lassen." Sie benennt, was sie tut und worum es ihr geht, es sind die einfachsten und vielleicht deswegen gering geschätzten Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft, die sie für sich in Anspruch nimmt und die sie für alle garantiert haben will.

Dafür steht sie unter permanenter Todesdrohung. Van Gogh, schreibt Hirsi Ali, sei die Sorte Mensch gewesen, "denen man einzig in einer freien Gesellschaft begegnen kann. Auch wenn viele Leute ihn als nicht tolerabel empfanden, ist für mich allein die Tatsache, dass wir es ausgehalten haben, mit ihm und neben ihm zu leben, ein Zeichen von Zivilisation. Keine Frage: Ein Land ohne Theo (und Leute wie ihn) wäre in der Tat ein öder, grauer Ort." Nach dem kurzen Moment des Schocks scheint die multikulturelle Öde sich in den Niederlanden durchzusetzen: Während Hirsi Ali kundtat, schon an "Submission II" zu arbeiten "und vielleicht auch III und IV" zu drehen, wurde "Submission" beim Rotterdamer Filmfestival abgesetzt, wo der Film im Rahmen einer Podiumsdiskussion über Zensur gezeigt werden sollte.

Der Produzent Gijs van der Westerlaken wollte kein Risiko eingehen. "Heißt das dem Terror nachzugeben?", fragt er sich selbst in der International Herald Tribune: "Ja, aber ich bin kein Politiker oder Antiterror-Polizist, ich bin Filmproduzent." Die Leute, die hinter dem Attentat auf van Gogh stünden, hätten schon erreicht, was sie wollten, "das Land in Angst versetzen."

Unmittelbar nach der Rückkehr Hirsi Alis bekam der in den Niederlanden bekannte Künstler Rachid Ben Ali wegen islamistischer Morddrohungen Polizeischutz, er hält sich nicht mehr in seiner Wohnung auf. Am 15. Januar war eine Ausstellung seiner Werke im Cobra-Museum von Amstelveen von dem ebenfalls unter Dauerbewachung stehenden Amsterdamer Politiker Ahmed Aboutaleb eröffnet worden, die massive Reaktionen nach sich zog, denn Ben Ali setzt sich unter anderem mit dem Islamismus auseinander.
Ein Bild zeigt einen Imam Scheiße fressen bzw. sprechen, ein anderes Mohammed am Kreuz, dazu viel Splatter und das eine oder andere Hakenkreuz. Schon vor zwei Jahren wurde der Künstler wegen schwuler Themen in seinen Werken von Islamisten angegriffen, auf verschiedenen Internetseiten wurde angekündigt, er solle die Nummer zwei nach van Gogh sein, dessen Ermordung Ben Ali in seinen jüngsten Bildern aufgreift. Nun wurden die Drohungen so konkret, dass auch er sich verstecken muss.

Immerhin, das Cobra-Museum schließt die Ausstellung nicht. "Es wäre schade, wenn wir beginnen würden, Selbstzensur zu akzeptieren, wenn wir diese Protestkunst nicht zeigen würden", sagte John Frieze, der Kurator, wobei schon im Wort "Protestkunst" eine Distanzierung steckt. In der gleichen Weise wie "Submission" als Provokation bezeichnet wurde, und nicht die Bekundung, an den Filmemachern Rache zu nehmen. In den Niederlanden wird nun debattiert, was wichtiger ist: der "soziale Frieden" oder die Freiheit des Wortes und der Kunst. Auffällig ist der Widerspruch zwischen der Betonung, bei den Islamisten handele es sich um eine Minderheit, und der Annahme, durch die Kritik an dieser Minderheit, die der Mehrheit ihren Willen aufzwingen will, könnte der "soziale Frieden" gefährdet sein, der van Gogh bereits das Leben kostete.

Es ist der größte Sieg der Islamisten in Europa, dass der Islam nur noch als Kultur und "die" Moslems nur noch als Kollektiv wahrgenommen werden. Kein Wunder, dass deren größte Sorge den Dissidenten dieser Zwangskollektivierung gilt, denen sie nach dem Leben trachten. Die linke Rationalisierung, dass es sich bei Hirsi Ali und van Gogh nicht um Linke handele, sondern um Leute mit Verbindungen nach rechts, sie mithin nicht uneingeschränkt linker Solidarität würdig seien, ist Symptom des Ausweichens vor einer anderen Frage: Warum sollten sie links sein? Gibt es einen vernünftigen Grund für Hirsi Ali, sich den wohlmeinenden Antirassisten anzuschließen, deren Kulturrelativismus die conditio sine qua non des Islamismus ist und die, in Projektion eigener Wünsche, jedem das autochthone Kollektiv angedeihen lassen wollen?

Links sein heißt heute, wie in der Interim verlautbart, den Mord an van Gogh mit der Marginalisierung des Mörders, der allein schon als Moslem viel zu erleiden habe, und der Abneigung gegen das Opfer, das selbst schuld sei, wenn es sich keinem Konsens anschließen mochte, zu rechtfertigen. Es heißt vor allem Ignoranz gegenüber jenen, die sich vereinzelt gegen die Unterdrückung ihrer und anderer Individualität wehren, und zwar insbesondere, wenn die Unterdrückung durch den politischen Islam gemeint ist. Letzteres teilen auch Kritiker des Brachial-Antiimperialismus. Der immer folgende Verweis auf die Fundamentalisten in Christen- und Judentum, vor allem auf die christliche Rechte in den USA, ist verlogen, weil deren Opfer lediglich als Munition dienen, um das autoritäre Projekt des Islamismus mit den anderen in unstatthafter Weise gleichzustellen.
Während dem Ermordeten van Gogh ein Gedenken wegen einiger ohne Frage widerlicher antisemitischer Anwürfe verweigert wird, die ihn wiederum gerade nicht von Linken unterscheiden, sondern seine Abkunft aus diesem Milieu belegen - vor allem wenn man berücksichtigt, wann er diese Äußerungen getan hat -, wird im Verweis auf andere "Fundamentalismen" der ideologische Kern des Djihad geleugnet: der Antisemitismus, der den Antisemitismus der Nazis bruchlos in sein eigenes Weltbild integrieren konnte. Mit dem augenzwinkernden Verweis auf Alltagsantisemitismus wird ein Vernichtungsprojekt relativiert.

Individuellen Emanzipationsbestrebungen konnten die Linken noch nie etwas abgewinnen. Im besten Falle waren das gering geschätzte bürgerliche Errungenschaften (ein kleiner Fortschritt auf dem endlosen Weg zum Sozialismus), im schlechtesten Falle sind es diese Prozesse, die die Linken von der Erfüllung ihrer historischen Mission abhielten (ein Bestechungs- und Spaltungsversuch der Herrschenden). In Umkehrung des Gedankens aus dem "Kommunistischen Manifest" ist die Emanzipation einzelner demnach hinderlich auf dem Weg zur universellen Emanzipation, die erst die gesellschaftlich geschaffene Ungleichheit und damit den Grund für Diskriminierung von Gruppen beseitige. Dass Emanzipation als individuelle gar nicht mehr auftaucht und die einzelnen ausschließlich über ihre Zugehörigkeit definiert werden, hat den Zwang zur (Selbst-) Ethnisierung zur Folge. Es geht nicht mehr um die Gleichheit der Menschen, sondern um die Gleichstellung von Gruppen.

An der Ungleichheit im Kapitalismus ist dagegen zu kritisieren, dass sie selbst Resultat der Vergleichung in der Konkurrenz ist und nicht selbstbewusster Differenz, dass Individualität deshalb schöner Schein, aber eben nur Schein ist. Der Antiimperialismus hat in seinen verschiedenen Erscheinungsformen vom Volkskrieg bis zur Multikultur eine schlimmere als die kapitalistische Vergleichung im Sinn, eine vorbürgerliche Form der Zugehörigkeit, die lebenslang und unauflösbar ist, Identität um ihrer selbst Willen. Wer jemanden wie van Gogh schon in dieser Gesellschaft nicht aushalten kann, gibt bedrohlich antizipierend Auskunft über seine Vorstellung einer künftigen.

Ayaan Hirsi Alis Widerstand gegen den Zwang, ein moslemisches Kollektiv gefälligst konstruktiv zu kritisieren und ihren Platz als Quotenmigrantin einzunehmen, die von der Mehrheit Akzeptanz kultureller Eigenheiten fordert, ist vielleicht ein letztes Aufbäumen bürgerlicher Subjektivität - eine andere gibt es nicht - gegen die gesellschaftliche Regression. Er ist Verteidigung der Bedingungen und Möglichkeiten zur Subjektwerdung gegen die Zumutungen des Ethnisierungszwangs und Abwehr der mit ihm einhergehenden Vernichtungsdrohung. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet Antifaschismus.
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