Die mysteriösen Umfragen der New York Times

Die klassische déformation professionelle von Journalisten besteht darin, immer so tun zu müssen, als wüssten sie über den Gegenstand der jeweiligen Berichterstattung bestens bescheid. Wer auf dem umkämpften Medienmarkt reüssieren will, kann sich zumindest nach außen hin Zweifel nicht leisten. Deshalb sind die seltenen Momente so amüsant, in denen die souveräne Fassade zu bröckeln droht, in denen die Realität sich einfach nicht nach den eigenen Einschätzungen richten will. Unterhaltsam ist dies dazumal, wenn Zeitungen davon betroffen sind, die allgemein als Aushängeschilder seriösen Journalismus’ gelten. Die New York Times bietet gerade ein solches Schauspiel.

Der Hintergrund der Geschichte ist auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregend. Die NYT führte in Zusammenarbeit mit CBS News Mitte Juli eine Meinungsumfrage durch, deren Thema eigentlich Hillary Clintons mögliche Präsidentschaftskandidatur war. Eher beiläufig wurden auch einige Fragen über die Präsidentschaft George Bushs sowie den Krieg im Irak gestellt. Auf die Frage, ob die USA rückblickend das Richtige getan hatten, als sie im Irak einmarschierten, antworteten 42 Prozent der Befragten mit „ja“, während 54 Prozent zum Ausdruck brachten, die USA hätten sich nicht auf den Krieg gegen Saddam einlassen sollen. So weit, so unspektakulär.

Interessant wurde die Sache erst, als die NYT-Journalisten diese Zahlen mit dem Ergebnis einer ähnlichen Befragung verglichen, die im vergangenen Mai durchgeführt worden war. Denn plötzlich zeigte sich, dass in den letzten zwei Monaten die Zustimmung der Bevölkerung zum Kriegseinsatz der USA nicht etwa gesunken, sondern – ganz im Gegenteil – um 7 Prozent (von 35 auf 42) gestiegen ist, während umgekehrt die Zahl derjenigen, die den Krieg für einen Fehler halten, um 7 Prozent gesunken ist (von 61 im Mai auf 54 Prozent im Juli). Dieses Resultat hat die Journalisten der NYT auf dem völlig falschen Fuß erwischt. Seit Jahren legt sich das Blatt ins Zeug, um George Bushs Politik, insbesondere natürlich den Irakkrieg, zu diskreditieren. Bezieht man sein Wissen über die Entwicklungen im Irak nur aus der Times, so muss man zwangsläufig das gesamte Unternehmen als grandioses Fiasko bewerten, wurde doch in einem fort nur von Tod und Verderben berichtet, was zwar nicht völlig falsch ist, aber eben nur einen Teil der Realität abbildet.

Der ganze journalistische Aufwand im Kampf gegen George W. Bush und den Irakkrieg soll also vergebens gewesen sein? So schnell gab sich die NYT nicht geschlagen. „That’s why when we had a poll finding about the war that we could not explain, we went back and did another poll on the very same subject.” Doch die erneut durchgeführte Umfrage führte wieder nicht zum gewünschten Ergebnis. Auch diesmal war das Resultat „counterintuitive“. Allen Bemühungen zum Trotz – „none of us wanted to give up a picture perfect summer weekend to do this, but we all knew we had to“ –, wieder waren 42 Prozent der Meinung, die USA haben mit dem Krieg im Irak das Richtige getan; mit 51 Prozent fiel der Anteil der gegenteiligen Meinungen diesmal sogar noch geringer aus. Nicht nur das: Waren im Mai noch 76 Prozent der Ansicht, der Krieg im Irak laufe für die USA sehr schlecht, so waren es jetzt nur mehr 66 Prozent.

Mit derart “mysteriösen” Umfrageergebnissen wusste die NYT nichts anzufangen, also stellte sich große Ratlosigkeit ein: „Same Old Question, Different Answer. Hmmm” lautet der Titel, unter dem das Mysterium der Leserschaft schließlich präsentiert wurde. Der naheliegende Gedanke, dass ein großer Teil der Amerikaner, im Unterscheid zur Belegschaft der Times, der Forderung nach einem möglichst schnellen Rückzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak nichts abgewinnen kann und darin eher ein Rezept für ein absehbares Desaster sieht, wird in den Redaktionsräumen in New York vermutlich längere Zeit nicht Einzug halten. Ebenso wenig die Erkenntnis, dass die Bevölkerung ihre Informationen über die Entwicklungen möglicherweise aus anderen, weniger voreingenommenen Quellen als der NYT bezieht und neueste (vorsichtig als positiv zu bewertende) Entwicklungen im Irak die Stimmungslage in den USA beeinflussen können. „Once in a while there is a poll finding that doesn’t make sense.“ Hauptsache die Blattlinie stimmt; wenn die Leute außerhalb der Redaktionsstube sich irren, ist das deren Problem.

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