Der alte Fritz

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen durfte der Generalsekretär der Gesellschaft für österreichisch-arabische Beziehungen, Fritz Edlinger, für die Wiener Zeitung einen Kommentar verfassen. Während er Ende April gegen die “seit Jahrzehnten von Israel betriebene Politik der ethnischen Säuberung” zu Felde zog, Khomeini gegen Kritik verteidigte und darüber delirierte, dass die Politik der USA im Nahen Osten in den vergangenen sieben Jahren “die Lebensgrundlagen ganzer Völker vernichtet, Millionen Todesopfer (sic!) gefordert und viele Millionen aus ihrer Heimat vertrieben” habe, hat es ihm diesmal wieder ein spezielles dieser bemitleidenswerten Völker angetan: die Palästinenser im Gazastreifen – und offenbar hat er vor, rechtlich gegen die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) vorzugehen. Verwundern kann all das freilich nicht, führt man sich einige Wegmarken seiner bisherigen politischen Tätigkeit vor Augen.

Das Jahr 1982 markierte einen Wendepunkt in den österreichisch-israelischen Beziehungen. Die zwölfjährigen nahostpolitischen Aktivitäten Bruno Kreiskys (1) sowie der Libanonkrieg hatten zur Folge, dass 1982 “zweifellos den Höhepunkt der Israelkritik in Österreich” darstellte, wie Helga Embacher und Margit Reiter ausführen. “Nie zuvor und auch kaum nachher bestand in Österreich ein derart negatives Bild von Israel”. Schon damals wurde eifrig darüber debattiert, was man denn bei der Kritik an Israel alles sagen dürfe und was nicht. Allerdings gab es auch Fälle, bei denen es nicht viel zu diskutieren gab, sondern in denen nach Embacher/Reiter “offen zu Tage tretende antisemitische Ressentiments” geäußert wurden. Ein solches Beispiel war ein Brief des damaligen Vorsitzenden der Jungen Generation (JG) der SPÖ, eines gewissen Fritz Edlinger, an die IKG. Darin prangerte er die “billige(n) und oberflächliche(n) Appelle an das schlechte Gewissen beziehungsweise die Verpflichtung zur Wiedergutmachung” an und erklärte der IKG, sie müsse ihre “unkritische Verbissenheit” bei der Parteinahme für Israel in Frage stellen, sonst “spreche ich Ihnen schlichtweg die moralische Berechtigung ab, über öffentliche Erklärungen und Aktivitäten von österreichischen Organisationen [gemeint ist die JG, Anm. F.M.] ein Urteil abgeben zu können.” Embacher/Reiter kommentieren Edlingers Brief so:

“Ihm waren nicht nur die ohnehin spärlich fließenden ‘Wiedergutmachungs’-Zahlungen ein Dorn im Auge, sondern er verstand es auch, die österreichischen Juden in altbekannter Manier vom österreichischen Wir-Kollektiv abzugrenzen und ihnen subtil die Instrumentalisierung der Shoah für politische Zwecke zu unterstellen. Der anmaßende Ton des Briefes sowie die aggressive und uneinsichtige Reaktion auf den gegen ihn gerichteten Antisemitismusvorwurf, verweist – wenn nicht auf latent antisemitische Ressentiments – so zumindest auf den völligen Mangel an historischer Sensibilität des Schreibers.”

Schon damals antwortete Edlinger auf Kritik mit der Behauptung, er sei aus dem Zusammenhang gerissen zitiert worden bzw. die “Montage” seiner Zitate in einem kritischen Artikel habe seine Aussagen verfälscht. Dieser Taktik ist er bis heute treu geblieben, und bis heute kann man relativ sicher sein, dass sich sein Vorwurf in Luft auflöst, sobald man sich die Mühe macht, ihn zu überprüfen.

Machen wir einen Sprung ins Jahr 2005. Edlinger, der in der Zwischenzeit der Vertreter der SPÖ im Nahostkomitee der Sozialistischen Internationale und dort vermutlich bestens aufgehoben war, firmierte als Herausgeber eines Buches mit dem Titel Blumen aus Galiläa im Wiener ProMedia-Verlag. Durch dessen Autor Israel Shamir höre man, so Edlinger, “das ‘andere’ Israel, das in Europa – und vor allem im deutschsprachigen Mitteleuropa – kaum zu Wort kommt.” Shamir hatte allerdings mit dem allseits beliebten “anderen Israel” wenig zu tun. Er war schwedischer Staatsbürger, hörte auf den bürgerlichen Namen Jöran Jermas, war orthodoxer Christ und pflegte Kontakte zu Neonazikreisen. Dass dessen Ansichten vom Judentum im deutschsprachigen Raum kaum zu hören seien, wie Edlinger beklagte, mag daran liegen, dass es sich dabei um gänzlich ungeschminkten, rohen Antisemitismus handelt. Karl Pfeifer hat eine umfangreiche Sammlung von Zitaten aus Shamirs Werk zusammen gestellt, die keines weiteren Kommentars bedarf. Um nur zu zeigen, wovon wir sprechen: Shamir ist überzeugt, dass es sich beim Judentum grundsätzlich um eine rachsüchtige Religion handle, weil es die Offenbarungen des Neuen Testaments und des Koran nicht anerkenne. Die USA seien sowieso ein jüdischer Staat, und auch ansonsten wimmelte nur so von “nie da gewesene(n) Einsicht(en) in die Seele der Juden und ihrer mammonitischen Unterstützer.” Selbst die nicht unbedingt für ihre israelsolidarische Ader berüchtigte Antiimperialistische Koordination (AIK) kam nicht umhin, das Machwerk zu kritisieren: “Shamirs Analysen spiegeln die gängige Palette antisemitischer Vorurteile wider und tun in diesem Sinne dem politischen Anliegen des palästinensischen Volkes nichts Gutes.”

Der Fall Shamir/Jermas war in einer Hinsicht ein besonders instruktives Beispiel: Edlinger argumentiert immer wieder, seine Ablehnung der israelischen Politik habe nichts mit Judenhass zu tun. Beschädigt es nicht ein wenig die Glaubwürdigkeit dieser Argumentation, wenn der gleiche Mensch dann ein ohne Einschränkungen antisemitisches Buch herausgibt?

Ich kann nur darüber spekulieren, wie es zu dieser Herausgeberschaft kam: Es mag sein, dass Edlinger Shamirs/Jermas’ Hetzschrift vor der Veröffentlichung nicht einmal gelesen hatte. In diesem Fall hätte ihm genügt, dass jemand nach allen Regeln der Kunst über Israel herzieht, um das Buch mit seinem Namen zu “veredeln”. Wenn der Autor sich darüber hinaus noch zum Vertreter des “anderen” Israel stilisiert, umso besser. Das wäre zwar intellektuell lausig, aber immer noch besser als die alternative Möglichkeit, ganz bewusst einen antisemitischen Text herausgegeben zu haben. In jedem Fall jedoch hätten Edlinger und der Verlag handeln und das Buch aus dem Verkehr ziehen müssen, nachdem öffentlich auf dessen skandalösen Inhalt aufmerksam gemacht wurde. Doch davon konnte keine Rede sein. Nachdem selbst Gruppierungen, die ansonsten zur Solidarität mit der Hamas aufrufen, Shamirs/Jermas’ Machwerk astreinen Antisemitismus attestiert hatten, erklärte Hannes Hofbauer im Namen des Verlags: “Der Angriff auf das Buch von Israel Shamir zielt unserer Meinung nach eindeutig darauf ab, Kritik an Israel mit der Keule des Antisemitismusvorwurfs unmöglich zu machen.”

Genau diese “Keule des Antisemitismusvorwurfs” sieht Edlinger nun erneut auf sich und seine Mitstreiter im Geiste niedergehen, nachdem die Initiative “Gaza muss leben” sich gleich zwei Mal neue Räumlichkeiten suchen musste, um eine Veranstaltung durchführen zu können – sowohl das Albert-Schweitzer-Haus als auch die Arbeiterkammer Wien setzten Edlinger und Konsorten kurzerhand vor die Tür, nachdem sie darauf aufmerksam gemacht worden waren, mit welchen Gruppen und Personen sie sich eingelassen hatten. Worin die angekündigten rechtlichen Schritte gegen die IKG bestehen sollen, bleibt abzuwarten. Edlinger empört sich in der Wiener Zeitung darüber, dass der Generalsekretär der IKG, Raimund Fastenbauer, die mitveranstaltende AIK als “antisemitische Organisation” bezeichnet habe, “ohne allerdings Beweise vorzulegen.”

Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit ist zu vermuten, dass es die geforderten “Beweise” aus der Sicht des Herausgebers einer antisemitischen Hetzschrift, dem offen zu Tage tretende antisemitische Ressentiments sowie ein völliger Mangel an historischer Sensibilität bescheinigt wurden, gar nicht geben kann. Zu fragen wäre freilich, warum die Wiener Zeitung, immerhin das amtliche Veröffentlichungsblatt der Republik Österreich, sich erneut zur Propagandaplattform eines äußerst fragwürdigen Politaktivisten degradieren ließ.

 

(1) Ephraim Kishon kommentierte diese Politik in einem Interview (profil 2/1982) einmal folgendermaßen: “Es gibt keine österreichische Nahostpolitik, sondern nur eine die Grenzen der Geschmacklichkeit weit überschreitende Reihe von unqualifizierten Meinungskundgebungen und subjektiven Interpretationen Bruno Kreiskys zum Nahostkonflikt.”

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