Österreich im Herbst

In Österreich, bemerkte die liberale Politikerin Heide Schmidt einmal im Hinblick auf das hierzulande völlig fehlende Bewusstsein von grundlegenden Rechten und Rechtsstaatlichkeit, ließe sich heutzutage nicht einmal das Briefgeheimnis durchsetzen. Wie richtig sie mit dieser Einschätzung lag, lässt sich anhand einiger Ereignisse der letzten Monate demonstrieren. Ein Streifzug durch Österreich im Herbst.

Im Juli ließ der damals noch quicklebendige Landeshauptmann Jörg Haider (BZÖ)  eine Gruppe angeblich krimineller Asylwerber in einen Bus packen, um sie kurzerhand und ohne jegliche rechtliche Grundlage aus Kärnten abzuschieben. Das Innenministerium, das von der Aktion Wind bekommen hatte, stoppte den Bus an der Grenze zur Steiermark und schickte ihn zurück.

Dabei ging es Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) nicht etwa um die Einhaltung rechtsstaatlicher Vorgehensweisen, die ihr, wie sie wenige Wochen später bewies, völlig egal waren. Am 7. Juli hatte ihre Partei die Regierung platzen lassen und damit Neuwahlen vom Zaun gebrochen. Kaum jemand zweifelte daran, dass die Gewinner dieses Urnenganges bei den Rechtsparteien FPÖ und BZÖ zu finden sein würden. Fekter ging es im Wahlkampf darum, ihr Profil als Hardlinerin in Asylrechtsfragen zu profilieren.

Am 25. August ging Haider, der keinen Zweifel daran aufkommen lassen wollte, wer hierzulande immer noch am besten gegen Asylsuchende hetzen konnte, in die Offensive. In einem Interview mit dem profil (35/2008) forderte er: “Ein straffälliger Asylant gehört weg, auch wenn er noch nicht rechtskräftig verurteilt ist.” Mit einer Verletzung der Unschuldsvermutung habe das nichts zu tun, denn wenn der Fall klar sei, “warum soll man dann noch ein Verfahren abwarten?” Sollte dies nicht möglich sein, hatte er noch eine andere Idee: “Sonst müsste man sagen, dass jeder Asylwerber in Österreich eine elektronische Fußfessel tragen muss, damit er nicht untertauchen kann”. Nachsatz: “Das tut ja nicht weh und ist nur eine Sicherheitsgarantie für die Österreicher.” Für den Einwand der Interviewer, dass dies mit zum Bedenklichsten gehörte, was Haider in seiner an Bedenklichkeiten wahrlich nicht armen Karriere je gefordert hatte, hatte der nur Spott übrig: “Ja, da kriegt der liberale Gutmensch wieder Sodbrennen, wenn wir Sicherheit für Österreich fordern.”

Der Versuch Haiders, die Innenministerin rechts zu überholen, blieb nicht unbeantwortet. Ende August forderte Fekter, Asylwerber sollten künftig nicht erst nach einem rechtskräftigen Urteil, sondern bereits nach einer staatsanwaltschaftlichen Anklageerhebung abgeschoben werden können. Ihre Sprecherin fügte hinzu, dass dies auch bei leichten Delikten wie “Diebstahl oder Raub” möglich sein müsse.

Wer gedacht hatte, dass Fekter Haider mit der mehr oder minder direkten Übernahme seiner Forderungen ausbremsen hätte können, der hat noch nicht verstanden, wie Politik in Österreich funktioniert. Anfang Oktober ließ Haider bekannt geben, dass in einem ehemaligen Jugendheim auf der Saualm in 1200 Metern Höhe eine “Sonderanstalt” für “mutmaßlich kriminelle” Asylwerber eingerichtet werde. Stefan Petzner – damals noch Haiders Pressesprecher, mittlerweile designierter Parteichef des BZÖ – führte aus: “Eine rechtsgültige Verurteilung ist keine Voraussetzung für die Unterbringung in einer Sonderanstalt.” Selbst beim Hetzen hatte der braungeröstete Kärntnerbua noch ein Scherzchen auf den Lippen: “Wir bringen kriminelle Ausländer an einen Ort bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen, der entsprechend gesichert ist, damit sie niemandem etwas tun können.”

Der Bürgermeister eines Kärntner Dorfes fand diesen Vorschlag großartig und legte in einem Interview mit dem Falter nach. Nicht Gerichte hätten über die Straffälligkeit von Ausländern zu urteilen, sondern der Führer: “Der Landeshauptmann ist der oberste Chef, der kann so etwas entscheiden.” Und die Unschuldsvermutung? “Wenn zehn Tschetschenen beieinander sind, einer gewalttätig wird und es nicht herauszufinden ist, wer es ist, dann heißt es bei uns eben: ‘Alle für einen oder einer für alle.’ So ist das hier. Im Zweifelsfall sind dann alle zehn abzuschieben. Fertig.”

Kärnten hat aufgrund von 1,8 Promille, von über 170 km/h, einer Thujenhecke, eines Hydranten und einer Betonmauer mittlerweile einen neuen “obersten Chef”, und von dem ist zu erwarten, dass er den Kurs seines Herren und Meisters getreu fortsetzen wird. Im Zuge der elenden Debatten über die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln hatte Gerhard Dörfler jedenfalls schon einmal eine Duftmarke gesetzt: “Der Rechtsstaat ist das eine, das gesunde Rechtsempfinden ist das andere.”

Dass es zur Verhaiderung des Landes keines Haiders mehr bedarf, stellte jetzt der Vorarlberger Landeshauptmann Herbert Sausgruber (ÖVP) unter Beweis: Tatverdächtige Asylwerber, so seine jüngst erhobene Forderung, müssten künftig bereits vor einer rechtskräftigen Verurteilung abgeschoben werden.

In Kärnten lässt derweilen das von Dörfler gelobte “gesunde Rechtsempfinden” die Sau raus: Die Kabarettisten Stermann und Grissemann, die vor zwei Wochen in ihrer ORF-Sendung Witze über Haider machten, sollten im Dezember in Kärnten auftreten. Nachdem der Organisator der Veranstaltung bereits mehrfach am Telefon bedroht und ihm angekündigt wurde, Stermann und Grissemann würden Kärnten im Holzsarg wieder verlassen, entging Eventmanager Ingo Krassnitzer auf einer Kärtner Autobahn nur knapp einem verheerenden Unfall, weil Unbekannte die Radmuttern an seinem Auto gelockert hatten. Der Auftritt des Kabarettistenduos wurde mittlerweile aus Angst vor rechter Gewalt abgesagt.

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