Hauptsache, es bewegt sich was!

“Warum die Versöhnung von Fatah und Hamas zu begrüßen ist” – so lautet der Untertitel der Kolumne Georg Hoffmann-Ostenhofs im aktuellen profil. Wer den darauf folgenden Text liest, wird sich allerdings wundern: Dass Hoffmann-Ostenhof und zutreffende Argumente eine in der Regel eher offene Beziehung führen, davon kann man sich Woche für Woche aufs Neue überzeugen; dass er aber eine “Warum”-Behauptung aufstellt, ohne auch nur den Versuch einer nachvollziehbaren Begründung zu geben, ist selbst für ihn eine bemerkenswerte Leistung.

Im Gegensatz zu bisherigen “Versöhnungs”-Abkommen, die allesamt bereits gescheitert waren, noch bevor die Tinte auf dem Papier getrocknet war, bestünde dieses Mal die Chance, dass Fatah und Hamas tatsächlich eine haltbare Einigung erzielt haben könnten, weil “der Wille zur Einigkeit eine robuste Basis in den Realitäten vor Ort” habe. Auf der einen Seite sei die Fatah von Mahmoud Abbas geschwächt: Mit dem ägyptischen Präsidenten Mubarak habe Abbas seinen wichtigsten Unterstützer verloren, und auch die palästinensische Bevölkerung würde ihrem Präsidenten trotz deutlich spürbarer Verbesserungen der Lebenssituation im Westjordanland immer weniger Vertrauen entgegen bringen. Und noch einen Schuldigen gibt es für Abbas’ prekäre Lage. Sie haben sicher erraten, um wen es sich dabei handeln könnte: “Seine Versuche, mit Israel doch noch zu Verhandlungen zu kommen, scheiterten aber gründlich. Israel will einfach nicht. Und baut unverfroren weiter seine Siedlungen in den besetzten Gebieten.”

Wenn diese Einschätzung stimmen würde, könnte man mit Abbas tatsächlich Mitleid haben. Dumm nur, dass diese Schilderung nicht einmal eine schlechte Karikatur der Realität ist. Ein kurzer Rückblick: Im November 2009 verhängte Israel als Reaktion auf amerikanischen Druck ein auf zehn Monate begrenztes Moratorium über den Siedlungsbau im Westjordanland, um erneut direkte Verhandlungen mit den Palästinensern zu ermöglichen. Vertreter der US-Administration waren voll des Lobes für diesen Schritt. Außenministerin Clinton bemerkte: “Today’s announcement by the government of Israel helps move forward toward resolving the Israeli-Palestinian conflict”. Der Sondergesandte für den Friedensprozess, George Mitchell, stellte fest: “It falls short of a full settlement freeze, but it is more than any Israeli government has done before and can help movement toward agreement between the parties”. Zu den erwünschten direkten Verhandlungen kam es freilich erst in letzter Sekunde, weil sich Abbas über Monate hinweg weigerte, sich mit den Israelis an einen Tisch zu setzen, solange nicht auch ein Baustopp für Jerusalem verhängt würde. Das stand allerdings für Israel nie zur Debatte und war eine Forderung, auf die bis dato nicht einmal die Palästinenser gekommen waren. (Es war US-Präsident Obama, der damit vorgeprescht war und damit mögliche Verhandlungen im “Friedensprozess” zum Scheitern verurteilte, ehe sie überhaupt begonnen hatten.) Das Moratorium über den Siedlungsbau war der israelische Versuch, ein Zeitfenster für Verhandlungen zu öffnen. Etliche Male erklärte Netanyahu, er sei jederzeit zu Verhandlungen bereit. Ebenso oft antwortete Abbas, Verhandlungen kämen überhaupt nicht in Frage, solange Israel nicht diese oder jene Vorbedingung erfülle. Die Geschichte nun auf Hoffmann-Ostenhof’sche Weise so darzustellen, als habe Abbas nach dem Vorbild Fred Feuersteins an die israelische Tür geklopft und laut “Bibi” geschrien in der Hoffnung, Netanyahu würde ihn endlich erhören, ist eine groteske Verzerrung der Realität.

Aber nicht nur Abbas sei momentan geschwächt, auch die Hamas habe schon bessere Zeiten erlebt. Nicht zuletzt hätten die Ereignisse in den umliegenden Staaten gezeigt: “Islamistischer Radikalismus ist einfach out. Kaum einer glaubt mehr, dass der Koran die Menschen aus der politischen und ökonomischen Misere herausführen könnte.” Kaum einer glaubt das also. Außer vielleicht die Hisbollah, die de facto den Libanon unter ihre Kontrolle gebracht hat. Und die ägyptischen Muslimbrüder, die gerade angekündigt haben, eine eigene “unabhängige” Partei zu gründen, und im Hinblick auf Parlamentswahlen in Ägypten guter Dinge sein können. Und die Salafiten in Ägypten und anderswo, denen selbst die Muslimbrüder zu “moderat” sind. Und die Djihadisten, die in Libyen in den Reihen der Aufständischen gegen Gaddafi kämpfen. Und die iranische Führung, die zwar bei der eigenen Bevölkerung verhasst ist, sich aber an der Macht halten konnte und weiter, mittlerweile relativ ungestört, an der Bombe basteln kann. Und die Palästinenser im Gazastreifen, die die Hamas mit einer soliden Mehrheit an die Macht wählten. Und die Palästinenser im Westjordanland, die bei dort abzuhaltenden Wahlen möglicherweise das gleiche tun werden. Und die Wahhabiten in Saudi-Arabien, bei denen der Abfall vom wahren Glauben schon beginnt, wenn Frauen Auto fahren dürften. Und die Djihadisten, die seit Jahren im Jemen am Werk sind. Und die Taliban in Afghanistan, ebenso wie die in Pakistan. Und, und, und… Aber abgesehen davon, glauben Sie dem Hoffmann-Ostenhof, ist islamistischer Radikalismus total out. Er weiß das, immerhin finden sich unter seinen Freunden genauso wenig radikale Islamisten wie in seinem Stammlokal.

Am Wichtigsten aber erscheint Hoffmann-Ostenhof, dass das “palästinensische Volk” als “eigenständiger Akteur auf der Bühne erschienen” ist, wie der von ihm zu Rate gezogene Experte analysiert. Und was für einen Experten er da gefunden hat: Immerhin ist John Bunzl in Österreich weltberühmt geworden für seine mit Sicherheit überhaupt nicht einseitige Betrachtungsweise Israels und des Nahostkonflikts. Diesem Experten zufolge gehen auch in “Palästina” die Jungen auf die Straße und protestieren für Demokratie und Freiheit. “Vor allem aber rufen sie nach dem Ende der Spaltung, nicht zuletzt, um geschlossen der israelischen Besatzung entgegentreten zu können.” Und das, da sind sich Hoffmann-Ostenhoff, Bunzl und die Hamas sicher einig, kann auf den “Friedensprozess” nur gute Auswirkungen haben.

“Ja, auch in Palästina ist die arabische Revolution angekommen”. Habe ich da was verpasst? Haben Demonstranten in Gaza das Hamas-Regime zum Teufel gejagt? Es ist schon seltsam: Da wurden in den vergangenen Monaten die Menschen in Tunesien und Ägypten bejubelt, die sich (zumindest vorläufig) ihrer diktatorischen Herrscher entledigt haben, und stets wurde als herausragendes Merkmal hervorgehoben, dass bei den Protesten die USA oder Israel kaum eine Rolle spielten, dass nicht, wie zuvor bei staatlich inszenierten Aufmärschen üblich, massenhaft USA- und Israelfahnen verbrannt wurden. Das erfrischende am “arabischen Frühling” bestand nach allgemeiner Einschätzung gerade im Bruch mit den herkömmlichen Mechanismen arabischer Politik. Und in “Palästina”? Da verbündet sich die eine korrupte, diktatorische Gang mit der anderen korrupten, diktatorischen Bande, um gemeinsam besser “der israelischen Besatzung entgegentreten zu können”, und das fällt bei Hoffmann-Ostenhof unter den Titel “Einzug des arabischen Frühlings in Palästina”? Es ist ein Gebot der Höflichkeit, diese Absurdität bloß als kognitive Dissonanz zur Kenntnis zu nehmen.

Der Westen wolle “mit Terroristen, als die die Hamas-Leute eingestuft werden, nicht verhandeln.” Will Hoffmann-Ostenhof mit dieser Formulierung etwa suggerieren, dass man die “Hamas-Leute”, die gerade eben erst das Ableben Osama bin Ladens öffentlich betrauerten, auch anders einstufen könnte, ja vielleicht sogar sollte? Jedenfalls könne man, nachdem man “von den Palästinensern Einheit und Demokratie verlangt” habe, “Abbas und seinen Leuten” jetzt nicht einfach den Geldhahn zudrehen, nur weil die “mit der Hamas gemeinsame Sache machen”. Die Hauptforderungen des Westens, und das dürfte nicht einmal Hoffmann-Ostenhof entgangen sein, sind freilich, dass die Hamas Israel anerkennen und der Gewalt abschwören müsse. Die hat allerdings gerade eben erneut erklärt, dass sie Israel niemals anerkennen und auch nicht mit dem verhassten Judenstaat verhandeln werde. Der Regierungschef einer zukünftigen Einheitsregierung müsse darüber hinaus von ihr bestellt werden. Kein schlechter Zeitpunkt also, die finanzielle Unterstützung dieser Regierung einzustellen? Hoffmann-Ostenhof sieht das natürlich anders und hat, schon wieder, eine große Expertin gefunden: “Wie sieht das denn aus, wenn der Westen wegen der Einsetzung einer Technokraten-Regierung, die demokratische Wahlen vorbereitet, Sanktionen gegen die Palästinenser verhängt?”, lässt er Hanan Ashrawi fragen, die “Grande Dame der palästinensischen Politik”. Wie jeder weiß, ist die Einsetzung einer Technokratenregierung natürlich nicht der Grund, weshalb jetzt über ein Einstellung der finanziellen Subventionen nachgedacht wird, sondern die Tatsache, dass dies eine Regierung von Hamas’ Gnaden ist. Ashrawi betreibt seit Jahrzehnten palästinensische Propaganda, daher kann man ihr nicht vorwerfen, derartige Scheinargumente in die Welt zu setzen. Bei Hoffmann-Ostenhof sieht die Sache allerdings anders aus, denn der verbreitet diese intellektuelle Unredlichkeit unter dem Deckmantel eines sich kritisch wähnenden Journalismus.

Falls Sie auf der Suche nach Argumenten, “warum die Versöhnung zwischen Fatah und Hamas zu begrüßen ist”, bis hierher nicht fündig geworden sind, so muss ich Sie enttäuschen – auch im letzten Absatz aus Hoffmann-Ostenhofs erlauchter Feder bleibt die Suche vergeblich. “Was die nun eröffnete neue Perspektive einer palästinensischen Einheit für den Nahost-Konflikt bedeutet, kann noch nicht abgeschätzt werden.” Warum sollte sie dann aber zu begrüßen sein? “Sicher aber ist, dass da einiges in Bewegung kommt. Und das kann in der verzweifelten, seit Jahren festgefahrenen Situation nur gut sein.” Darauf läuft es also hinaus: Hoffmann-Ostenhof kann nicht abschätzen, wozu die momentane Entwicklung führen wird, aber die Hauptsache für ihn ist, dass sich überhaupt etwas bewegt, mit welchen Konsequenzen auch immer. Was für ein intellektueller Offenbarungseid.

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