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Wahlen in Österreich

von Stephan Grigat

(Originalfassung eines Beitrags, der in redaktionell bearbeiteter Form
in der Nummer 49/2002 der "Jungle World" erschienen ist.)

 
Das entscheidende Ergebnis der Wahl in Österreich lautet: die konservativen Nachlaßverwalter des Austrofaschismus, die bis heute das Bild des klerikalfaschistischen Diktators Engelbert Dollfuß in ihren Parlamentsräumen hängen haben, gewinnen auf Kosten der SS-lobredenden und NS-verharmlosenden Freiheitlichen. Gemeinsam haben die beiden Nachfolgeorganisationen faschistischer Bewegungen nach wie vor die Mehrheit.
Jörg Haider hat sich die absehbare Niederlage der FPÖ weitgehend vom Hals gehalten. Er wird die Wahlschlappe der ehemaligen Führung der Freiheitlichen anlasten - insbesondere Finanzminster Karl-Heinz Grasser, den Haider bereits implizit als Judenknecht geoutet hat, als er ihm bescheinigte, er ziele mit seiner Politik offenbar auf "das Wohlwollen der Ostküste." In irgendeiner Form wird der Kärntner Landeshauptmann versuchen, sich als Retter des freiheitlichen Projektes in Position zu bringen. Sollte es doch nicht zu einer Neuauflage der schwarz-blauen Koalition kommen, kann Haider sich abermals dem Mitregieren aus der Opposition heraus widmen.
Wie gut er das kann, und in welchem Ausmaß eine große Koalition willens ist, beispielsweise in Fragen der Migrationspolitik die Intentionen Haiders in konkrete Politik umzusetzten, ließ sich in den neunziger Jahren in Österreich studieren.
Natürlich hätte eine rot-grüne Regierung in einer postnazistischen Kapitalverwertungsgesellschaft nicht viel anders gemacht als die bisherige Koalition. In der Sozial-und Wirtschaftspolitik stehen sich Parteien, die sich allesamt auf die Verwertung des Werts verpflichtet haben, zwangsläufig sehr nahe. Revanschismus war und ist bei den Sozialdemokraten bestens aufgehoben. Und die Grünen haben bekanntlich nichts gegen Abschiebungen, da sie auch nichts gegen Staat und Nation einzuwenden haben. Angesichts der Aufgeregtheit, mit der die zivilgesellschaftlich orientierten Teile der Protestbewegung gegen die schwarz-blaue Regierung auf die Wahlen hingefiebert haben, muß an eine banale Einsicht materialistischer Demokratiekritik erinnert werden. Die Wähler bekommen nach der Wahl genau das, was ihnen vorher auch versprochen wurde: Eine Regierung, welche die Erfordernisse von Staat und Kapital exekutiert und eine Opposition, die dieses Anliegen zum Wohle der Nation mit konstruktiver Kritik begleiten wird.
Also alles egal? Nicht ganz: Subventionen an Zeitungen wie dem "Junge Freiheit"-Ableger "Zur Zeit" oder an das "Haus der Heimat", in dem Nazis und Funktionäre der palästinenstischen Gemeinde in Wien über ihre gemeinsamen Anliegen plaudern, wären unter einer rot-grünen Koalition zumindest am Beginn der Legislaturperiode kaum vorstellbar gewesen. Daß aber auch die grüne Unterstützung für offensiven Geschichtsrevisionismus nur eine Frage von "Lernprozessen", also von Opportunismus ist, haben die deutschen Parteifreunde bereits unter Beweis gestellt.
Eines haben die Wahlen in Österreich aber gezeigt: Offensichtlich funktioniert die gegen Grüne und zeitweise auch gegen Sozialdemokraten gerichtete ressentimentgeladene Gräulpropaganda, die versucht, Bilder von drogenbetäubten Marxovegetariern und unverbesserlichen Russenfreunden zu produzieren, in Österreich noch deutlich besser als in der BRD. Je angepaßter die Grünen werden, umso irrwitzigere Vorhaben werden ihnen von ihren Gegnern unterstellt. Projektionen spielen bei der Beurteilung politischer Parteien in Österreich offenbar eine größere Rolle als in der BRD.
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