Über das Elend der islamischen Welt

Wer wissen will, weshalb sich große Teile der “islamischen Welt” im Vergleich zum Rest der Welt am absteigenden Ast befinden, der sollte sich diese Meldung nicht entgehen lassen: Der für die künftige Entwicklung der Lehre an den Universitäten zuständige Abteilungsleiter im iranischen Erziehungsministerium, Abolfazl Hassani, hat angekündigt, dass die Lehrpläne etlicher sozial- und geisteswissenschaftlicher Fächer einer gründlichen Revision unterzogen werden sollen. “Bis zum Ende des Jahres, so wird Hassani zitiert, sollen die akademischen Lehrfächer ‘Recht, Menschenrechte, Frauenforschung, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Medienwissenschaft, Politische Wissenschaft, Philosophie, Psychologie, Erziehungswissenschaft’ sowie Fächer, die englisch etwas vage mit ‘Administration’ und deren kulturelle und künstlerische Untergliederungen (‘cultural and artistic administration’) übersetzt werden, genauer auf ihre Inhalte und Ausrichtung überprüft werden.” Eingegriffen werden müsse, weil die in diesen Studienrichtungen gelehrten Inhalte nicht mit den religiösen Prinzipien der “Islamischen Republik” übereinstimmten, zu sehr an westlichem Gedankengut angelehnt seien und nicht auf “heimischen Ideen und Prinzipien” basierten. Damit folgt Hassani den Vorgaben des religiösen Führers der islamischen Diktatur, Ali Khamenei, der im letzten Jahr darauf hingewiesen habe, dass “die fraglichen Fächer zu Zweifeln an der Religion führen könnten, weswegen eine Änderung des Lehrplans ernsthaft in Betracht gezogen werden soll.” Nun ist nicht weiter überraschend, dass ein am Rande des Abgrunds stehendes Regime wie das iranische mittels rigider personeller wie inhaltlicher Säuberungswellen sein wegbröckelndes Fundament zu sichern sucht. Dass die westliche Wissenschaft aber mit dem Argument zurückgedrängt werden soll, sie widerspreche den religiösen Grundlagen des Islam, verweist auf ein tiefer gehendes Problem, das keineswegs auf das Terrorregime in Teheran beschränkt ist.

Es besteht kaum Zweifel daran, dass der Aufstieg des Westens in der Neuzeit mit der wissenschaftlichen Revolution zusammenhing, die im Europa des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts vor sich ging. Die Grundlagen dieser wissenschaftlichen Revolution wiederum wurden im Zeitalter der Renaissance im zwölften Jahrhundert in der christlichen Theologie und Philosophie gelegt. Ibn Warraq formuliert den entscheidenden Punkt folgendermaßen: “Only the West seems to have developed the notion that the natural world is a rational and ordered universe, that man is a rational creature who is able to understand, without the aid of revelation, or spiritual agencies, and able to describe that universe and grasp the laws the govern it.” (S.129) Die Welt als ein von Naturgesetzen geleitetes System, das vom Menschen als rational begabtem Wesen prinzipiell ergründet werden kann, ohne auf nicht hinterfragbare, offenbarte “Wahrheiten” zurückgreifen zu müssen, mithin die Befreiung wissenschaftlicher Vernunft aus den Klauen der Irrationalität – diese Vorstellung lag der wissenschaftlichen Revolution, lag dem Aufstieg des Westens zu Grunde.

Islamapologeten weisen an dieser Stelle gewöhnlich darauf hin, dass die europäische Renaissance ohne das in der islamischen Welt erhalten gebliebene Wissen aus antiker Zeit schwer möglich gewesen wäre. Während Europa im finsteren Mittelalter vor sich hin dümpelte, wären es islamische Denker gewesen, die die intellektuellen Errungenschaften etwa der griechischen Philosophie am Leben erhalten hätten. Hat der Westen also nicht in Wahrheit, so die routiniert gestellte Frage, seinen Aufstieg ausgerechnet der Blütezeit islamischer Wissenschaft zu verdanken?

Es stimmt, dass europäische Denker von der griechisch-arabischen Wissenschaft profitierten, mit der sie in Kontakt kamen. “Clearly, the West, as always, was receptive to the new ideas, and it is supremely ironic that while the Arab conquests in Spain an Sicily eventually led to fruitful contact with the West, in effect giving back to the West its own Greek heritage, … it was the Arabs’ very conquests in the first place that had shattered the Mediterranean unity and had cut the West off from classical heritage.” (S.127) Doch interessant ist, was dann passierte: Während europäische Denker die Werke eines al-Farabi oder eines Avicenna aufnahmen, wurden exakt die gleichen “islamischen Philosophen” in der islamischen Welt beschuldigt, dem giftigen Unglauben der antiken Griechen anzuhängen. Just zu dem Zeitpunkt, an dem der Westen sich, vermittelt über die islamischen Wissenschaftler, an die Befreiung der Rationalität machte, erklärte al-Ghazali, der nach wie vor zu den bedeutendsten Denkern des Islam gezählt wird, jedes Wissen für nutzlos, das aus dem Menschen nicht einen Allah und der Tradition ergebenen Moslem mache. Einzig religiöses “Wissen” zähle, alles andere führe geradewegs in die Hölle.

Dass jede Wissenschaft gefährlich sei, die dazu dienen könnte, die religiösen Ideen des Islam in Frage zu stellen, diese Vorstellung ist also keineswegs auf dem Mist eines Ali Khamenei gewachsen, sondern beherrscht große Teile der islamischen Welt seit hunderten von Jahren und ist einer der wesentlichen Faktoren, warum sie sich in einem so erbärmlichen Zustand befindet. Indem islamische Regime, egal ob Saudi-Arabien oder der Iran, daran festhalten und die menschliche Vernunft am Gängelband politischer und religiöser Herrschaft zu halten versuchen, perpetuieren sie eine Rückständigkeit, für die keine imperialistischen oder sonstigen üblen westlichen Machenschaften verantwortlich zu machen sind, sondern alleine sie selbst.

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