Der Mythos von Kreiskys Nahostpolitik

Wenn es um den so genannten Nahostkonflikt geht, genießt in Österreich vor allem ein Mann das Image des mutigen und weitsichtigen Politikers. Bruno Kreiskys besondere Leistung sei es gewesen, früher als viele andere Politiker erkannt zu haben, dass Fortschritte in Richtung eines Friedens im Nahen Osten nur unter Einbeziehung der PLO unter der Führung Jassir Arafats möglich seien. Für diese Haltung sei Kreisky in den siebziger Jahren vor allem von den Israelis hart kritisiert worden, doch auch sie hätten letztlich einsehen müssen, dass er richtig lag und schwenkten schließlich, nur kurz nach Kreiskys Tod, mit dem Oslo-Friedensprozess auf seine Linie ein. Diese weit verbreitete Sichtweise beruht auf zwei Annahmen: Erstens habe Kreisky in Arafat richtiger Weise einen “moderaten” Führer der Palästinenser erkannt, zweitens sei das Unterfangen, Arafat in einen Verhandlungsprozess einzubeziehen, von Erfolg gekrönt gewesen. In den neunziger Jahren, in der Blütezeit des Friedensprozesses, mag es Gründe für dieses optimistische Resümee gegeben haben; heute sollte man es besser wissen.

Das hindert die Verehrer Kreiskys allerdings nicht daran, weiter am Mythos von dessen erfolgreicher Nahostpolitik festzuhalten. Das jüngste Beispiel dafür bietet die eben erschienene Biografie Kreiskys von Wolfgang Petritsch. Darin ist zu lesen, dass Arafat sein erstes Treffen mit Kreisky im März 1974 mit den Worten begann: “Israel muss von der Landkarte verschwinden!” Das waren klare Worte, und wie man heute weiß, hat Arafat an dieser grundsätzlichen Überzeugung bis an sein Lebensende festgehalten. Nur eine Seite danach schreibt Petritsch jedoch über Kreisky: “Es war ihm wichtig, das sachliche Gespräch mit dieser führenden Persönlichkeit des palästinensischen Widerstandes zu suchen und nicht zuletzt dadurch auch zu verhindern, dass die extremen Gruppierungen in der PLO weiter an Einfluss gewannen.”

Man kann sich nur erstaunt die Augen reiben: Eben erst belegte Petritsch mit dem Zitat Arafats, dass dieser in Bezug auf Israel in etwa so “gemäßigt” war, wie es heutzutage der “wipe-Israel-from-the-map”-Ahmadinedschad ist, um nur wenige Zeilen danach das “sachliche Gespräch” mit Arafat als das geeignete Mittel hervorzuheben, um die “extremen Gruppierungen” in den Reihen der Palästinenser auszubremsen. Vielleicht kann man von Petritsch nicht verlangen, diesen dezenten Widerspruch zu erkennen, aber man kann ihm dankbar dafür sein, ungewollter Weise offen ausgedrückt zu haben, worin das Ideal (nicht nur) sozialdemokratischer Nahostpolitik in Europa besteht: Sachlich darüber zu verhandeln, wie Israel von der Landkarte verschwinden soll, damit die “Extremisten” nur ja keinen Zulauf bekommen.

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