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Ruf nach dem Gegensouverän

Eine Intervention von Café Critique

 
Die übelsten Hinterlassenschaften der Arbeiterbewegung sind jene Denkformen, in denen die illusorischen Vorstellungen der bürgerlichen Gesellschaft über sich selbst mit dumpfen antibürgerlichen Ressentiments amalgamiert wurden, statt als verkehrtes Weltbewusstsein einer verkehrten Welt der Kritik unterworfen zu werden. "Das Recht wie Glut im Kraterherde nun mit Macht zum Durchbruch dringt", sangen die Sozialdemokraten aller couleur einschließlich der Bolschewiki, statt das gleiche Recht freier Subjekte als die juristische Form zu erkennen, in der im Kapitalverhältnis gesellschaftliche Unfreiheit und Ungleichheit sich durchsetzen. Statt die Sozialisationsform "Volk" als Beleidigung der Idee einer in freier Assoziation vereinigten Menschheit zu denunzieren, rief die Arbeiterbewegung die "Völker" zum "letzten Gefecht" und wollte als Internationale, die sie sich nur als Summe nationaler Zwangsverbände vorstellen konnte, "das Menschenrecht erkämpfen" - ganz so, als definiere nicht die Deklaration der Menschenrechte von 1789, in der das Recht auf Eigentum zu einem "geheiligten" Recht erklärt wird, gerade die Funktionsbedingungen eben jener bürgerlichen Gesellschaft, die die Arbeiter, wie es in der "Internationale" ganz richtig heißt, "zum Hunger zwingt" und in "ein Nichts" verwandelt hat [1]. Da die Sozialisten Marx zwar pflichtschuldigst auf den Sockel hoben, ihn ansonsten aber geflissentlich ignorierten, und eben deshalb weder vom Staat noch von der bürgerlichen Gesellschaft einen Begriff hatten, konnten sie im Sinne der bürgerlichen Ideologie Ausbeutung nur als Rechtsbruch, Herrschaft nur als Usurpation verstehen. Ihre Vorstellung von den Kapitalisten als den Friedensstörern in einer rechtsförmigen Idylle hat weniger mit der Marxschen Ökonomiekritik gemein, die die Kapitaleigentümer als Repräsentanten eines zum selbstreferentiellen Prozess verselbständigten gesellschaftlichen Verhältnisses begreift, als mit der späteren Vorstellungswelt der Nazis: "Die Müßiggänger schiebt beiseite/Diese Welt muss unser sein!/Unser Blut sei nicht mehr der Raben und der mächt'gen Geier Fraß/Erst wenn wir sie vertrieben haben/scheint die Sonn' ohn' Unterlass". Im Appell der "Internationale" an die "Völker", durch die Vertreibung der Müßiggänger von der Erde das wahre Menschenrecht zu setzen, erscheint schon - kein Recht ohne dazugehörge staatliche Gewalt - der "Gegensouverän" (Manfred Dahlmann), der die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft, denen allein sich die Möglichkeit der Emanzipation verdankt, dadurch zu beseitigen versucht, dass er die im bürgerlichen Recht festgeschriebenen Restriktionen und Vermittlungen abschafft, die vermeintlichen Störenfriede ausmerzt und an die Stelle der alten Gesellschaft eine Vergesellschaftungsform setzt, in der das "gemeinnützig" gewordene Kapital mit der zur Gemeinschaft der "Werktätigen" veredelten Arbeiterklasse zur untrennbaren Einheit verschmilzt.

Kein bisschen merkwürdig ist es daher, wenn Felicia Langer, die bis Anfang der 90er Jahre Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Israels war, ihre Bücher vorzugsweise in der DDR publizierte und nach eigener Aussage damals über Stalin nur Gutes glauben wollte, nun der SonntagsZeitung gegenüber angibt, keine Kommunistin mehr zu sein, und trotzdem genau das gleiche Blech von sich gibt, wie man es etwa aus der DKP oder der KPÖ zu hören bekommt. "Gerechtigkeit" und "Völkerrecht" sind die Schlagwörter, derer sie sich in ihren Reden und Schriften am häufigsten bedient: die obersten Ziele eines Juristensozialismus, der von der proletarischen Revolution nichts übrig ließ als die Affinität zum Staat. Schon von Berufs wegen - sie ist studierte Juristin - muss Langer mit der Kritik des Rechts auf Kriegsfuß stehen, und so ist ein über und neben den souveränen Einzelstaaten stehendes "Völkerrecht" für sie dann auch eine Selbstverständlichkeit, obwohl doch die Geltung dieses "Rechts" bloß fiktiv ist, weil in diesem Fall "keine Gewalt vorhanden ist, welche gegen den Staat entscheidet, was an sich Recht ist, und diese Entscheidung verwirklicht", so dass es "in dieser Beziehung", also beim internationalen Recht, "immer beim Sollen bleiben" muss (Hegel) [2]. Felicia Langer spricht tatsächlich vom "Völkerrecht", als handelte es sich um eine Naturgegebenheit, und als ebenso naturgegeben erscheinen ihr die Subjekte dieses vermeintlichen Rechts, die "Völker". Gegenüber der UNO, die sie als "Weltgemeinschaft" bezeichnet und deren Resolutionen sie als unantastbare Ratsprüche zitiert, legt sie eine fast schon kindlich anmutende Gläubigkeit an den Tag.
Langers Denken kreist um die "Völker" und ihre "Rechte", und weil dies so ist, weil für sie Emanzipation nur als Verwirklichung von Kollektivrechten und Leid und Elend nur als Rechtsbruch denkbar sind, ist sie unfähig, die Gründung des Staates Israel als das zu begreifen, was sie ist, als Verteidigungsmaßnahme gegen den weltweit grassierenden Vernichtungswahn und damit als Institutionalisierung jüdischer Emanzipationsgewalt. Dass die Überlebenden der Vernichtung, denen während des zweiten Weltkrieges jede Tür verschlossen war, einen Platz auf der Erde zum Leben brauchten; dass es künftig nicht mehr sein sollte, dass Juden wehrlos ihren Mördern ausgeliefert seien; dass zu diesem Zweck ein jüdisches Staatswesen geschaffen wurde, das den Einzelnen vom Wohlwollen antisemitischer Regierungen und Bevölkerungen unabhängig machte; dass es angesichts der antisemitischen Drohung seitens der arabischen Nachbarn, die den neuen Staat unter der Parole "Treibt die Juden ins Meer" überfielen, wie auch angesichts der Naziaktivitäten der palästinensisch-arabischen Führung um Amin al-Husseini ohne Krieg nicht abgehen konnte; dass schließlich Krieg niemals lustig ist und dabei auch Zivilisten umkommen; dass, nachdem sich die geflohenen Araber nach dem Krieg noch immer nicht zur Anerkennung Israels bequemen wollten, ihnen irgendwann der Zugriff auf das Land entzogen wurde - all das ist zu einfach, als dass es Langer in den Kopf wollte. Zu sehr widerspricht eine jegliche Staatsgründung juristischen Kategorien, zu sehr fällt die Sonderstellung der Juden als designierte Opfer des universellen Vernichtungswahns, der dem Gegensouverän immanent ist, aus dummsozialistischen Gerechtigkeitsvorstellungen heraus.

Israel ist die staatgewordene Erinnerung daran, dass der Juristensozialismus und die Idiotie einer Erkämpfung des "Menschenrechts" durch die "Völker" sich an Auschwitz blamiert haben. Vielleicht deshalb überzieht Langer diesen Staat mit einem sonst schwer verständlichen Hass. Jede nur erdenkliche Grausamkeit schreibt sie Israel zu, wobei sie es mit den Fakten nicht immer so genau nimmt; jedes zur jüdischen Selbstverteidigung bitter notwendige militärische Vorgehen denunziert sie als "völkerrechtswidrig", jede politische Maßnahme als "ungerecht", für jeden Toten im Krieg macht sie Israel verantwortlich. Ihrem schon in Blut-und-Boden-Ideologie umschlagenden "Völkerrechts"-Fetischismus gemäß kann sie die israelische Siedlungspolitik und den strategischen Straßenbau nur als mutwilligen "Raub" eines Landes verstehen, das von Natur aus dem palästinensischen "Volk" gehört. Israel ist für sie letztlich das Böse schlechthin, das aus bloßer Bosheit die Palästinenser "terrorisiert", "provoziert", "demütigt", "gezielt mordet", ihnen "das Recht zum Leben genauso wie das zum Sterben verweigert", ein "Apartheidssystem" errichtet und "ein friedliches Miteinander verhindert". Diese Wahnvorstellungen funktionieren nur unter der Voraussetzung, dass die "Tod-den-Juden"-Aufrufe im palästinensischen und arabischen Fernsehen ausgeblendet bleiben, aber in Sachen Realitätsverleugnung ist Langer virtuos: so behauptet sie z. B. wahrheitswidrig, dass die Hamas nach dem Deal mit der Fatah in Mekka im Februar dieses Jahres Israel anerkannt habe - tatsächlich ließ die Hamas damals verlauten, "Es gibt nichts, was sich Israel nennt, weder in der Realität noch in der Vorstellung" - oder dass die zweite Intifada, die mit Schüssen auf israelische Soldaten und Grenzpolizisten sowie dem Herunterwerfen von Felsbrocken auf betende Juden und Touristen an der Klagemauer begann, anfangs "überhaupt nicht gewalttätig" gewesen sei, weil sie "tatsächlich fast nur mit Steinen bestritten wurde". Dem "Freiheitskampf der Palästinenser" gilt Langers uneingeschränkte Sympathie. Zwar distanziert sie sich von Selbstmordattentaten, macht aber auch für diese Israel verantwortlich - wofür sie die an Dummheit kaum mehr zu überbietende Formel fand, dass "die Menschen wegen der Siedlungen sterben". Statt den Palästinensern abzuverlangen, endlich ihre verrückte Idee von einem judenfreien Palästina aufzugeben, der sie als Kollektiv nun schon seit mehr als einem halben Jahrhundert anhängen, gibt sie Durchhalteparolen aus wie "Aber die Palästinenser kapitulieren nicht, sie geben nicht auf" und bekennt schließlich ganz freimütig: "Ich habe an die Intifada geglaubt und glaube weiter an sie", denn: "Ich glaube vor allem an das Volk, an das palästinensische Volk." Angesichts solch närrischer Liebe zu einem der übelsten antisemitischen Mordkollektive, die derzeit existieren, verwundert es wenig, dass Langer einen Lieblingsfetisch dieses Kollektivs, das sogenannte Rückkehrrecht der Flüchtlinge, als "ein absolutes Recht", als "Menschen- und Völkerrecht" bezeichnet und vorgibt, nicht zu wissen, dass dieses "Recht" auf die Zerstörung Israels als eines jüdischen Staates hinausläuft - obwohl sie dies spätestens 2005 auf einer Konferenz in Köln hätte lernen können, wo in ihrer Anwesenheit und ohne ihren Protest Salman Abu-Sitta, der Koordinator des "Komitees für das Rückkehrrecht des palästinensischen Volkes", zum allgemeinen Beifall versprach, der "rassistische", weil jüdische Staat könne nur durch demographische Überwältigung im Zuge der Verwirklichung des "heiligen Rückkehrrechtes" der palästinensischen Flüchtlinge und ihrer Nachkommen abgeschafft werden.
Dass Langers "absolutes" Menschen- und Völkerrecht beim Sollen bleiben muss, dass die Intifada bisher nicht gesiegt hat, ist natürlich auf Dauer frustrierend. "Wie konnte Israel 40 Jahre straffrei eine derart verbrecherische Politik betreiben, zahlreiche UNO Resolutionen missachten aber die Weltgemeinschaft schweigt dazu?" ist die große Frage, mit der sie sich herumplagt. Weil der Welt-Gegensouverän sich vorerst noch
im Gründungsstadium befindet, weil die USA gegen Verurteilungen Israels im UN-Sicherheitsrat ihr Veto einlegen und mit ihrer Armee dafür einstehen, beschwert sich Langer bei George W. Bush, "kann Israel das Völkerrecht ignorieren, so wie auch Sie es tun. Das Völkerrecht, das die Weltgemeinschaft so dringend benötigt und das Sie mit Füßen treten." Deshalb richtet sie an die europäischen Staaten den Appell, sich "einzumischen" und "auf Israel Druck auszuüben". Besonders Deutschland, der demokratisierte Volksgemeinschaftsstaat, in dem sie seit 1990 lebt und nach eigener Aussage "viele sehr gute Freunde gefunden" hat - wahrscheinlich Leute, die jeden ihrer antisemitischen Sätze mit "mein bester Freund ist Jude" beginnen - soll sich von der "Antisemitismuskeule" befreien. Mit der nämlich "erpresse" Israel seine Kritiker: "Israel missbraucht die Geschichte, unsere Tragödie, den Holocaust, um jede Verurteilung israelischen Vorgehens im Keim zu ersticken und als Antisemitismus zu diffamieren. Das alles, um ungestört die Unterdrückung der Palästinenser fortsetzen zu können." In Wahrheit missbraucht nicht Israel die Erinnerung an den Holocaust, wenn es sich im Bewusstsein der Katastrophe den Vernichtungsabsichten seiner Nachbarn zur Wehr setzt und feindselige UN-Resolutionen ignoriert, sondern Felicia Langer tut dies, wenn sie an die Lüge, Israel unterdrücke die Palästinenser um der Unterdrückung willen, folgendes anschließt: "Ich sage das als Überlebende des Holocaust, deren Ehemann in 5 Nazi-Konzentrationslagern inhaftiert war." Kein Wunder, dass sie sich mit solchen Einlassungen bei neudeutschen Geschichtsbewältigern beliebt macht, die sich gerade wegen Auschwitz berufen fühlen, wieder über Leben und Tod von Juden zu entscheiden, und denen dabei eine Alibijüdin, die sich als Legitimationsbeschafferin anbietet, mehr als willkommen ist. In dieser Funktion tingelt Felicia Langer nun schon seit Jahren durch Deutschland und Österreich, von Konferenz zu Konferenz, von Demonstration zu Demonstration. Diverse Preise hat man ihr dafür schon verliehen, darunter den der "Bruno Kreisky Stiftung für Verdienste um die Menschenrechte", die Langers sozialdemokratischen Rechtsidealismus und ihre Feindseligkeit gegen Israel voll teilen dürfte.



[1] Die Drohung zu verhungern ist in den heutigen Metropolen abgeschwächt, aber keineswegs verschwunden, wie die immer wieder aufkommende Debatte darüber, ob man arbeitsunwilligen Erwerbslosen nicht einfach die Stütze streichen soll, zeigt. Wie es einem ergehen kann, wenn man den Anforderungen des Arbeitsmarkts nicht gerecht wird oder mangels Nachfrage gar keine Gelegenheit mehr dazu hat, wird einem täglich durch den Anblick abgerissener Gestalten vor Augen geführt, die sich bei eisiger Kälte als Bettler durchschlagen müssen. Heute mehr denn je gilt, dass die Individuen als Anhängsel des Verwertungsprozesses mitgeschleift werden, über den sie nichts vermögen. Was auch immer ihr Entgelt sei, stets bleiben sie "festgehalten im Zustand der noch ungeschichtlichen Kreatur, die, ob besser oder schlechter, von der Hand in den Mund lebt", stets bleibt ihnen "die Aneignung der durch die Arbeit geschaffenen gesellschaftlichen Produktivkräfte versagt, die erstmals in der Geschichte die Menschen davon befreien, alle Energie auf die Erhaltung ihrer Leiblichkeit verwenden zu müssen, und ihnen damit historische Möglichkeiten eröffnen, über die frei zu entscheiden ist." (Wolfgang Pohrt: Theorie des Gebrauchswerts. Über die Vergänglichkeit der historischen Voraussetzungen, unter denen allein das Kapital Gebrauchswert setzt, Berlin 2001, S. 115). Hierauf zielte die Rede vom "Nichts". Sie war bei Emmanuel Joseph Sieyès abgeschaut, der im Januar 1789 proklamiert hatte: "1°. Qu'est-ce que le Tiers-Etat? Tout. 2°. Qu'a-t-il été jusqu'à présent dans l'ordre politique? Rien. 3°. Que demende-t-il? A y devenir quelque chose." "Jene Genialität, welche die materielle Macht zur politischen Gewalt begeistert, jene revolutionäre Kühnheit, welche dem Gegner die trotzige Parole zuschleudert: Ich bin nichts, und ich müßte alles sein", die Marx an Sieyès rühmte (MEW 1, S. 389), ist in der "Internationale" freilich schon zurückgenommen: im betulich-kraftmeierischen "Alles zu werden strebt zuhauf" klingt bereits die sozialdemokratische Wahlkampfparole durch.
[2] Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, §330.
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